Erstellt am: 2. 4. 2012 - 11:14 Uhr
Wenn der Soundtrack wichtiger wird als der Film
Seit Anfang März kürt FM4 statt einem Album der Woche wöchentlich einen "Artist of the Week".
"Es gibt eine neue Art von Einsamkeit, eine Einsamkeit, die dadurch entstanden ist, das du jede nur denkbare Art von Kommunikation jederzeit zur Verfügung hast, und dennoch bist du der einsamste Mensch der Welt, weil ..."
Ja weil? Ironischerweise geht der Rest des Satzes im Skype-Rauschen unter. Das ist nicht das Ende einer Fernbeziehung sondern der Beginn des Interviews mit Breton.
FatCat Records/Breton
Roman Rappak sitzt in einem Cafe in Südlondon und kämpft gegen das Rauschen der Leitung und die dampfenden Kaffeemaschinen im Hintergrund an. Er will mir erklären, um welche Themen - oder besser: Fragen - Breton kreisen, was sie interessiert, inspiriert und zum kommunizieren bringt: Wie Technologie uns befreit hat und gleichzeitig vereinsamen lässt. Warum ein Format wie ein Album ein unnatürliches, vom Markt diktiertes Format ist, und nicht die Form, in der man natürlich über seine Emotionen kommunizieren würde. Warum es das ultimative Ziel der Band ist, ihren Charakter und ihr Denken zu vermitteln, aber auch Platz für die Ideen des Publikums im Breton-Universum zu lassen.
FatCat Records/Breton
"Other People's Problems" ist auf FatCat Records erschienen
Warum es für sie Sinn ergibt, organische Elemente von Rockmusik mit synthetischer Musik zu kombinieren aber damit eine alte Gleichung auf den Kopfzustellen. "There is touches of life in electronic music and there is touches of evil monotony in human beings", meint Roman, bevor seine Stimme wieder vom Rauschen verschluckt wird.
Alltagswahrheiten auf den Kopf gestellt
Während ich verzweifelt auf Wiederwahl drücke, wird mir klar, warum sich die Band nach einem der Väter des Surrealismus benannt hat. Sie versuchen das, was sich als Alltagswahrheiten im Gehirn eingebrannt hat, ohne, dass wir viel darüber nachgedacht hätten, auf den Kopf zu stellen und so neue Perspektiven zu eröffnen. Das Gewohnte mit ungewohnten oder sogar sich widersprechenden Attributen zu belegen: "There is touches of life in electronic music and there is touches of evil monotony in human beings".
Wie recht er hat. Ich wiederhole diesen Satz als Mantra, bis die Leitung wieder steht und mir die Gründungsgeschichte von Breton erzählt wird. Es begann nicht als Band, sondern als lose geknüpftes Kollektiv. Mein neuer Skype-Freund Roman Rappak war Kunststudent, machte Kurzfilme und Soundtracks dazu. Als er Adam Aigner, den heutigen Schlagzeuger von Breton traf, sammelten sie die restlichen drei Kollegen ein, und Breton wurde von einem mit Sound arbeitenden Multimediakollektiv zu einer Band.
Breton/Filmstill aus Youtube
Die Mitglieder spielen alternierend Gitarre, Bass, Synths, Schlagzeug und Laptops. In jedem Council Estate ein Art Studio, um die Tristesse und die desolaten Großstädte zu ertragen und zu verarbeiten, das ist ein Anliegen.
Breton haben ihre Homebase im Südosten Londons. Mit den BretonLABS haben sie sich einen Raum geschaffen, in dem reges Kommen und Gehen herrscht, wo sie ihre Musik und ihre Filme machen und bereits Videos für Tricky oder Remixes für Maps&Atlases produziert haben.
Art Rock trifft auf cineastische Elektronik
Das erste Lebenszeichen von Breton war 2010 die EP "Counter Balance" auf dem Label Hemlock Recordings von Dubstep-Producers Untold, dort veröffentlichte auch James Blake. Jetzt sind Breton auf Fat Cat Records gelandet und somit Labelkollegen von Animal Collective und Sigur Ros, also von Bands, die wie Breton selbst, Individualität über Genregrenzen stellen. Ein Ort, an dem die Formatierung den Ausdruck so wenig wie möglich behindert, weil - wie Roman meint - Breton nach einem möglichst natürlichen und individuellen Weg der Kommunikation suchen.
Post Rock, Electro, Ambient, Math Rock, Dubstep beeinflusster Art Rock, all diese Genres umreißen die Richtung, in die Breton geht und obwohl ihre Musik stark mit den Filmen bzw. Videos, die sie dazu machen, verbunden ist, funktioniert sie auch im Kopfhörer mit geschlossenen Augen und Film im Kopf.
Art Rock trifft auf breite cineastische Elektronik. „Other people's problems“ hat elf Tracks und bei den Gigs von Breton gibt es fließende Übergänge, alles ist abgedunkelt und natürlich von Filmen begleitet. „Auf diese Weise können wir am besten das ganze Spektrum unseres Ausdrucks vermitteln“, meint Roman.
Breton wären nicht Breton, also ein Kunstkollektiv dessen ausufernde Kreativität keinen Halt vor Genregrenzen macht, wenn sie nicht auf eine Serie von Kurzfilmen begleitend zu ihrem Album gemacht hätten. Miniaturreisen, die uns in eine Welt eintauchen lassen.
Sehr Pragmatisch haben sie die Filme nummeriert und ONE, TWO, THREE, FOUR, FIVE genannt. Man sieht Breton in Sundlaugin, dem isländischen Studio ihrer Labelkollegen Sigur Ros aufnehmen.
Breton/Filmstill aus Youtube
Den poetischen, alchemistischen Entstehungsprozess von "Other people's Problems" und die Stimmung kann man durch diese Filme tausendmal besser als durch einen Text nachvollziehen, meint Roman. Kommunikation mit allen Mitteln und durch alle Kanäle. Vielleicht kann uns das davor schützen, im digitalen Rauschen zu den einsamsten Menschen der Welt zu werden.