Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Was hat Gott in der achten Nacht gemacht?"

David Pfister

Rasierklingen, Schokolade, Zentralnervensystem, Ananas, Narzissmus und Ausgehen.

27. 3. 2012 - 13:48

Was hat Gott in der achten Nacht gemacht?

Zwei Produktionen, die CocoRosie beim Donaufestival in Krems aufführen werden, habe ich am Wochenende in Hamburg gesehen. Es war intensiv.

Gott hat die Erde in sieben Tagen erschaffen. Aber was hat er in der achten Nacht gemacht? Wenn es nach CocoRosie geht, war er auch nach dem Schöpfungsakt der Erde weiter aktiv. Und hat fleißig weitergebaut. Welten, in denen die Uhren ohne Sündenfall und nervende Schlangen ticken. "Ein Genderparadies, in dem sich alle Grenzen auflösen?", könnte der hauptberufliche Sarkast denken. Ja und nein. Aber der Reihe nach.

Es ist gute Tradition, das dass Donaufestival in Krems jedes Jahr ArtistInnen bittet beim Kuratieren des Line-Ups zu helfen. Also die themenspezifische Partnerschaft für das Programm eines Wochenendes zu übernehmen. Den ProtagonistInnen wird da regelmäßig recht viel Narrenfreiheit erlaubt. Noch immer denke ich mit Vergnügen an David Tibet wie er seine religiösen Fetische wahr werden lassen konnte. Und mit dem amerikanischen Schwestern-Paar, den Avantgarde-PopperInnen CocoRosie werden dieses Jahr wie im Falle Tibet wieder ähnliche Töne und Themen bemüht. Mit Zynismus und Nüchternheit wird man bei dem Monumental-Programm von CocoRosie nicht weit kommen.

CocoRosie

Samantha West

Zwei Spektakel, die CocoRosie beim Donaufestival aufführen werden, sind Ko-Produktionen mit der Kampnagel Kulturfabrik Hamburg. Ich habe vergangenes Wochenende das Vergnügen gehabt, diese Projekte in Hamburg zu sehen und bin überzeugt, dass dem Donaufestival damit ein großer Wurf gelingen wird. Versuchen wir uns dem nicht ganz einfach zu durchschauenden Programm von CocoRosie mit einem Einsatzplan zu nähern.

Coconuts, Beautiful Boyz & little Monsters

Was tat Gott in der achten Nacht? Das werden CocoRosie mit vielen Gästen wie der nordindischen Folkgruppe Rajasthan Roots oder dem französische Beatboxer Tez in DIE ACHTE NACHT versuchen zu beantworten. Eine ausschweifende Konzert-Phantasie, die um die Idee eines alternativen Paradieses kreist. Ihre berühmt-berüchtigte Genre-Melange treiben CocoRosie hier auf eine noch nie gehörte Spitze, die gerade aufgrund der kompromisslosen Mischung ein entwaffnender Sinnesrausch ist.

CocoRosie

Jair Sfez

Höhepunkt des CocoRosie-Reigens dürfte ziemlich sicher das Tanztheater NIGHTSHIFT werden. Wie "Die Achte Nacht" ist "Nightshift" eine Hamburg-Koproduktion. Darin wird die Geschichte eines vernachlässigten Mädchens und seine Verwandlung erzählt. Das zentrale Thema aller CocoRosie-Festival-Performances.

Mit dem Filmprojekt HARMLESS MONSTER werden CocoRosie das Cinderella-Thema des Theaterstücks "Nightshift" auf Video weiterspinnen. Das Schwesternpaar hat Fans ermuntert mit selbst produzierten Filmen ein eigenes Harmless Monster zu schaffen. CocoRosie werden die ausgewählten Einsendungen live vertonen.

Harmless Monster wie auch die sogenannte "Popera" SOUL LIFE feiern exklusive Premieren am Donaufestival. In "Soul Life" unternimmt Schwester Sierra Casady eine Inkarnationsreise. Eine Seelenwanderung in Form von Arien. Jede Arie soll die Inkarnation einer Wesenheit darstellen bis zur Auflösung in dem Zustand Nirvana.

Mit der Ausstellung SUNDAY von Bianca Cassady und Jean-Marc Ruellan wird das Thema des vernachlässigten Kindes, das zum "harmless Monster" wird, dann auch noch einmal für die Galerie verarbeitet.

Und um all das herum haben CocoRosie auch noch ihre FreundInnen eingeladen, Shows zu spielen. Der sanfte Antony wird wieder nach Krems fahren. Ebenso wie Laurie Anderson oder Light Asylum. Diese beiden Parteien; Laurie Anderson und Light Asylum, proben übrigens dieser Tage schon in New York gemeinsame Nummern.

Cinderella Rockefella

"Ich habe nicht viele Sympathies für den Jesus-Typen", erzählt mir Bianca Cassady beim Interview. Bianca ist der HipHop-Kerl von CocoRosie. An diesem Tag sieht sie nahezu haargenau wie der junge Boy George aus, hat einen frisch geschnittenen Undercut, unwahrscheinlich dreckige Fingernägel und balanciert ein Stück Kirschtorte auf der Gabel. Lange dauert das Interview nicht, denn Bianca gibt präzis und konkret Antwort. Zu verbalem Firlefanz neigt sie nicht. Ein extremer Kontrast zu dem schwelgerischen Tanztheater "Nightshift", das mit Zitaten aus 6.000 Jahren Menschheitsgeschichte nur so um sich wirft. In "Nightshift" wird die Metamorphose eines Mädchens zu einem sogenannten "harmless Monster" beschrieben.

coco rosie

coco rosie

Die Kulisse, in dem das kleine Monster taumelt, ist die fiebrige Vision der "achten Nacht". Eine Schöpfung, in der eine uns unbekannte Moral regiert. Wie in ihrer Musik hantieren CocoRosie, die Töchter eines Priestervaters, mit einer Unmenge religiöser Ikonografie. Aber das ist alles nur Kulisse. Natürlich es geht um einen spirituellen Sog; aber nicht mehr.

Sehr ernst wird allerdings die Symbolkraft des "harmless monster" genommen. Aus einer Aura der Entmündigung und Ignoranz wächst ein starkes Wesen heran, das eine völlig autonome Ethik entwickelt. Die Bühnenbilder sind umwerfend schön, als hätte man sie von einem gut eingestellten Lars von Trier bauen lassen. Die Musik ist zärtlich und zitiert - ob gewollt oder nicht, den großen ungarischen Komponisten Béla Bartók, der um 1920 Folklore und moderne Musik vereinte.

Überhaupt reisen CocoRosie mit Hilfe eines kleinen Orchesters weite Strecken in Richtung "neue Musik". Meist filigran aber immer konsequent. Und während Bianca Cassady mit dem Orchester musiziert, tanzt Schwester Sierra leibhaftig durch das Theaterstück.

Wie gesagt - wenn das kein großer Wurf wird beim Donaufestival...