Erstellt am: 26. 3. 2012 - 16:00 Uhr
Warum Liebe weh tut
- It's complicated? Liebe im digitalen Zeitalter. Eine Themenwoche auf FM4
FM4
Theorien über Liebe sind nicht sehr beliebt. Kaum kommt das Instrumentarium der Wissenschaft zum Einsatz, ist das zarte Pflänzchen auch meist schon hinüber. Der zentralen Frage, die schon Haddaway mit „What is Love?“ auf den Punkt gebracht hat, haben sich fast alle akademischen Disziplinen angenommen: Chemie, Medizin, Psychologie, Literaturwissenschaft, Biologie, Philosophie..., sie alle haben schon Antworten gegeben, mit meist ernüchterndem Ausgang. Die romantische Liebe ist wahlweise bloß ein chemischer Vorgang, eine historische Konstruktion, ein Sprachspiel usw. Kein Wunder, dass die meisten dieser Theorien selten den Weg in die Allgemeinheit finden. Das gerne geschenkte und selten gelesene (trotzdem fantastische) Buch „Fragmente einer Sprache der Liebe“ des Semiotikers Roland Barthes blieb eine rare Ausnahme. Die Soziologin Eva Illouz hat Ende letzten Jahres mit ihrem Buch „Warum Liebe weh tut“ ein neues Standardwerk über den Zustand zeitgenössischer Liebesbeziehungen, bzw. ihres Nichtzustandekommens veröffentlicht. Der Titel klingt ein bisschen nach Ratgeberliteratur der üblen Sorte. Man sollte sich davon aber nicht abschrecken lassen. Eine hellsichtigere Analyse der Bedürfnisse, Wahlmöglichkeiten und Hindernisse, die den modernen Liebenden auszeichnet wird man so schnell nicht finden.
seyyed mostafa zamani
Selber schuld?
Anhand von zahlreichen Interviews, Beobachtungen von Blogs und schlussendlich auch der Literatur des 19. Jahrhunderts entwirft Eva Illouz ein aktuelles Bild des Beziehungslebens, das zwischen einem ökonomisierten „Heiratsmarkt“, endlosen Wahlmöglichkeiten und der Privatisierung der Liebesentscheidungen für den/die Einzelne/n zur Qual werden kann. Eva Illouz geht es darum „...mit der Liebe das zu machen, was Marx mit den Waren gemacht hat: zu zeigen, dass die Liebe auf einem Markt ungleicher konkurrierender Akteure zirkuliert und die These aufzustellen, dass manche Menschen über größere Kapazitäten als andere verfügen, um die Bedingungen zu definieren, unter denen sie geliebt werden.“
Das klingt ein wenig sperrig, aber man folgt der Autorin mit wachsender Aufmerksamkeit in ihrer Argumentationskette, die von den großen Liebesromanen des 19. Jahrhunderts (etwa Wuthering Heighs oder Madame Bovary) über die Erfindung der Psychoanalyse und der Moderne, der feministischen Kritik an der Liebe als Herrschaftsinstrument bis hin zu Internetdating und dem „Begehren als Selbstzweck“ reicht.
suhrkamp
Eva Illouz: Warum Liebe weh tut
Suhrkamp Verlag, Übersetzt aus dem Englischen von Michael Adrian. Ein Interview mit Eva Illouz gibt es am kommenden Sonntag bei FM4 Im Sumpf (21.00 bis 23.00) zu hören.
„Warum Liebe weh tut“ handelt vor allem und mit ausdrücklicher Betonung von heterosexuellem Begehren, mehrheitlich aus der Perspektive von Frauen. Das hat den schlichten Grund, dass der Autorin dieses Gelände am vertrautesten ist. Insbesondere Frauen sind es auch, die „unaufhörlich von einer psychologischen Selbstgestaltungsindustrie bombardiert werden.“ Eva Illouz konstatiert eine Gesellschaft, in der die Liebe und auch das Liebesleid ausschließlich dem eigenen Versagen geschuldet sind, und die Ratgeber-Industrie (Bücher, Filme, Netz etc.) die gesellschaftlichen Ursachen ständig verschleiert.
Nachdem weder Heirat, noch ein strikter sozialer Rahmen für eine gelungene Beziehung maßgeblich sind und die Werte Freiheit und Gleichheit in den Liebesbeziehungen moderner Gesellschaften normativ geworden sind, stellt sie die unbequeme Frage, warum Frauen in Beziehungsangelegenheiten auf eine ganz neue Weise von Männern dominiert werden. Verkürzt könnte man zusammenfassen, dass, so wie das Freiheitsversprechen neoliberaler Wirtschaft zu größerer Ungleichheit führt, die liberalisierten Beziehungsmärkte der Gegenwart zu größeren und eben schmerzhaften Schieflagen führt.
Die Qual der Wahl
Ein zentraler Punkt für Eva Illouz ist der Vorgang der Wahl des Liebesobjekts, der sich im Laufe des 20. Jahrhunderts viel stärker in den Vordergrund der Liebesentscheidung geschoben hat. Die Ausweitung des Angebots, aus dem man wählen kann, die Verfeinerung der persönlichen Ansprüche, das vage Gefühl, noch etwas „Besseres“ zu finden, haben strukturell in unsere Beziehungen Einzug gehalten.
Vor dem „Heiratsmarkt“ stehen für Eva Illouz „sexuelle Felder“, auf denen es um die sexuell begehrenswertesten Partner, möglichst viele Partner zu sammeln sowie um die Zur-Schau-Stellung der eigenen sexuellen Attraktivität. Männer können, da mittlerweile ökonomischer Erfolg wichtiger geworden als Fragen der Ehe, Nachkommenschaft etc., länger auf diesen Feldern bleiben, bevor sie sich auf den Heiratsmarkt begeben. Die Autorin konstatiert kühl: „Männer neigen zu einer kumulativen und distanzierten Form von Sexualität.
Frauen hingegen sind in widersprüchlicheren Strategien von Anhänglichkeit und Distanzierung gefangen.“ Eva Illouz, naturgemäß Feministin, lässt allerdings naturalistische Erklärungsmodelle Marke „Venus und Mars“ nicht gelten. Kulturell erzeugten Unterschieden zwischen den Geschlechtern versucht sie stets auf den Grund zu gehen. Der paradoxe „Double Bind“ unserer Gesellschaft ist, dass die romantische, emotionale Liebe zunehmend durch eine durch-ökonomisierten Markt des Begehrens ersetzt wird, gleichzeitig die Liebe so stark unseren Selbstwert bestimmt wie kaum je zu vor.
Man muss bei der Lektüre von „Warum Liebe weh tut“ oft an die einsamen Romanhelden von Michel Houellebecq denken, auch Houellebecq ist ein Durchdringer zeitgenössischer Beziehungsstrukturen. Wer das Liebesdilemma aus feministischer, kultursoziologischer Sicht beleuchtet wissen will, der ist bei „Warum Liebe weh tut“ auch sehr gut aufgehoben. Als „First-Date“ Mitbringsel würde ich das Buch allerdings nicht empfehlen.