Erstellt am: 5. 4. 2012 - 14:21 Uhr
Die Langsamkeit des Unterwegsseins
Wir schreiben das Jahr 2006. Damals war noch kein arabischer Frühling. Umso lauter lärmt das deutsche WM-Sommermärchen. Ein guter Grund seinen Koffer zu packen und zu verreisen. Rudolph Jula möchte nach Damaskus, in den "Schurkenstaat" Syrien und zwar in aller gegebenen Langsamkeit: Auf dem Landweg.
Die meisten meiner Freunde haben aufgehört zu rauchen. Ich fliege nicht mehr. Das hat meine Lebensqualität sehr gehoben. Nie mehr hässliche Flughäfen sehen, nie mehr krank ankommen wegen der Klimaanlage und nie mehr zehn Kilometer nichts unter den Füßen. Allerdings gehört man damit in einer Epoche der grenzenlosen Mobilität plötzlich einer Minderheit an, einer ziemlich kleinen, wie ich festgestellt habe. Genaugenomen kenne ich niemanden, der nicht fliegt.
Der Orientexpress ist nicht mehr die schnellste Verbindung in den "Orient", sondern der Luftverkehr. Von ununterscheidbar internationalisierten Flughäfen heben die Maschinen im Akkord ab. Nach wenigen Stunden sitzt man in einem anderen Land. Der erste Kontakt ist dabei immer der gleiche: eine Klimaanlagen-Vegetationszone aus Glas und Gepäckbändern. Dieser abstoßende Gedanke lässt Rudolph Jula zum "Slow Traveller" werden. Nein: Es lässt Rudolph Jula zu einem "Slow Traveller" konvertieren.
Edition Patrick Frey
Rudolph Jula: Slow Travelling- Auf dem Weg nach Damaskus , erschienen bei Edition Patrick Frey
"Macht doch was ihr wollt, denke ich trotzig, ich reise langsam."
Mantrisch, fast religiös liest sich der Anfang des Buches: Ein Bekenntnis zur Langsamkeit, keine Ausrede für Flugangst, sondern Ausdruck einer Leidenschaft. Acht Reiseberichte von 2006 bis 2011 sind im Buch abgedruckt. Subjektiv sind Julas Reisewahrnehmungen. Reflektiert seine Überlegungen. Er macht sich auf den Weg in eine kulturell konstruierte Region: Den Orient. Was Julas Reise-Vorfahren im 18. und 19. Jahrhundert von dort mit nach Europa brachten, formte das westliche Bild der Region. Meisterlich hat das Edward Said in seinem "Orientalism" de-chiffriert. Orientalismus ist westlicher Kulturimperialismus. Dem kann sich auch Jula nicht immer entziehen wenn er (angetrunken aus einer "westlichen" Bar stolpernd) über Beirut schreibt:
Die Mohammed Al Amin Moshee leuchtet, als würde sie in Las Vegas stehen, danach sind die Straßen verlassen, dunkel und still. Fünfzehn Jahre hat der Bürgerkrieg gedauert, neunzigtausend Tote, hunderttausend Verletzte, fast zwanzigtausend Menschen blieben vermisst, eine Millionen sind geflohen. Und erst vor vier Jahren hat wieder ein Krieg das halbe Land zerstört. Jeder Ryan und Joe [Spitznamen seiner libanesischen Bekannten], den ich hier sehe, muss in der eigenen Familie, im engsten Kreis Menschen verloren haben, jeder singende Fruchtsaftverkäufer hat Bilder des Grauens gesehen. Diese Gesellschaft muss vollkommen traumatisiert sein, denke ich, doch es zeigt sich nirgendwo, im Gegenteil, glänzender Wiederaufbau, Spass Glamour. Es ist nur eine Frequenz.
Edition Patrick Frey
Das Schlechte macht das Schöne; und lässt es glänzen
Bei solchen Absätzen legt sich meine Stirn in Falten: Heißt das, dass Libanesen in Gewalt tagsüber, in Ruhe und Ausgeglichenheit am Abend leben? Nur Extreme kennen? Noch bevor ich darauf eine relativierende Antwort finde blättere ich um, begleite Jula auf den Weg ins Hisbollah- Gebiet. Entmilitarisiert, vermint und surreal scheint alles. Surreal. Naja, was ist denn die gelebte Realität des Libanon? Sie ist die Summe alles Existierenden. Nachtklubs und Granaten sind nicht das Erklärungsmuster für die Region, sondern Spiegel dessen, was wir unter einer Realität fassen wollen.
Für Rudolph Jula sind die negativen Erfahrungen auf der Reise auch der Grund dafür, dass andere Begebenheiten umso schöner erscheinen. Das Schöne braucht das Schlechte. Die Sehnsucht nach Damaskus braucht die Banalität des Europäischen.
Seine Reiseerzählungen sind geprägt von tiefer Sympathie abseits von Reiseromantik. Zumindest wenn Jula in den arabisch sprachigen Ländern unterwegs ist. Bereist er den Balkan (unvermeidlich will man direkt mit dem Zug nach Istanbul) wird seine Sprache distanziert, teils abwertend.
"Auf dem Weg nach Damaskus"- Suche und Ankunft
Der Titel "Auf dem Weg nach Damaskus" ist eine Anspielung auf die Bibel. Paulus kommt nach Damaskus auf die "Gerade Straße", wo seine Bekehrung geschah. Die Straße symbolisiert den Ausgangspunkt der christlichen Universalreligion und die Geburt der Idee der Gleichheit. Heute führt die 2000 Jahre alte Straße von der Altstadt kilometerweit in die Betonwüste der syrischen Hauptstadt und aus dieser hinaus. Jula geht die Straße entlang. Zu Fuß. Dieser Weg ist sinnbildlich für seine Art des Reisens. Langsamkeit ist nicht anachronistisch, sondern sie ermöglicht es die Komplexität der Geschichte zu erschließen. Schritt für Schritt.
Edition Patrick Frey
Rudolph Jula gelingt es den "Orient" als mediterranen Raum zu denken, ohne ihn nur nach europäischen Mustern zu analysieren. "Auf dem Weg nach Damaskus" ist ein politischer, subjektiver und wunderschön aufgemachter Reisebericht, der leider etwas an Strahlkraft verliert, weil der Autor zum einen vereinfachenden über "den Balkan" schreibt, und sich zum anderen als den "lone-wolf" des Reisens stilisiert. Über die wenigen schwachen Stellen des Buches aber trösten die tief melancholischen, teils herausragend empathischen Beschreibungen von Menschen und Situationen hinweg. In den Gegensätzen des Textes (wie bei den Reisen) eröffnet sich die Schönheit des Buches. Diese Schönheit liegt nicht zuletzt in der Aufmachung: Schweres, raues Papier, größeres Format, einige Farbfotos. Wer keine Zeit hat langsam zu Reisen, der soll dieses Buch lesen. Langsam. Es lohnt sich.
Gewinnspiel beendet
Ihr konntet ein Exemplar von Rudolph Julas Buch gewinnen, wenn ihr folgende Frage richtig beantworten konntet: Wer ist für Rudolf Jula ein "Tahrir-Aktivist"?
a) ein Revolutiönär aus Kairo
b) eine Person, die den Tahrir-Platz überqueren kann, ohne überfahren zu werden
c) ein europäischer aktiv Tourist, der in Outdoor-Klamotten den Tahrir Platz besucht
Die richtige Antwort, war Option b).
Der/die GewinnerIn wurde per Mail verständig.