Erstellt am: 25. 3. 2012 - 13:13 Uhr
Ausgezeichnete Zumutungen
Über Zumutungen des Realen wurde nachmittags noch auf der Diagonale im Kritiker-Kreise diskutiert. Und dabei waren es allen voran Ruth Maders "What is love" und Sebastian Meises "Stillleben", die Gemüter bewegten. Während Maders komplett durchinszenierte Dokumentation an der Schwelle zum Spielfilm "Resonanzräume" zu- und abgesprochen wurden, in denen sich die ZuschauerInnen ihre eigenen Interpretationen zu den Tableaus denken könnten, zweifelten zwei Filmkenner an der Erzählung in "Stillleben". Wie diese Familie mit der Kenntnis umgehe, dass der Vater sexuell die eigene Tochter begehrte, sei unrealistisch.
Da muss man widersprechen. Wie überlegt und präzise plausibel Sebastian Meises Langspielfilm-Debüt "Stillleben" erzählt, wird spätestens dann klar, wenn man die Dokumentation "Outing" gesehen hat. Die Jury des Wettbewerbs für den besten österreichischen Spielfilm 2012 spricht mit Begeisterung über die Weise, wie die schwierige Frage nach dem Beginn der Schuld gestellt wird. Wie eine Familie, die mit sich und umeinander gerungen hat, mit dem Moment der Erschütterung umgeht und die Ahnung eines Inzests, eines pädophilen Übergriffs, bekannt wird.
"Stillleben" und "Outing" kommen im Mai 2012 in unsere Kinos. In Graz gibt es heute, Sonntag, um 18 Uhr die Gelegenheit, "Stillleben" noch einmal auf der Diagonale im KIZ Royal zu sehen.
Samstag Abend ging der Große Diagonale-Preis Spielfilm an "Stillleben" von Sebastian Meise. Gewidmet ist der Preis über €21.000 vom Land Steiermark. "Ich als Regisseur bin nur Teil eines Teams", bedankte sich Sebastian Meise. Nicht zuletzt bei seinem Kollegen Thomas Reider, der mit ihm "Outing" gedreht und das Drehbuch zu "Stillleben" geschrieben hatte.
Diagonale/Alexi Pelekanos
Preisreigen!
Zum ersten Mal war es ein klitzekleines bisschen wie bei den Oscars, denn "Stillleben" punktete wie Markus Schleinzers pädophiles Täterdrama "Michael" mehrfach.
Kameramann Gerald Kerkletz hat beide Filme gedreht und wurde dafür mit dem Diagonale-Preis für die beste Bildgestaltung Spielfilm als "Komplize von Regie und Dramaturgie, jedoch stets eigenständig" agierend ausgezeichnet. Für das beste Kostümbild wurde
Katharina Wöppermann für "Stillleben" ausgezeichnet. Für seine Darstellung des "Michael" überreichte die Regisseurin Marie Kreutzer den Schauspielpreis an Michael Fuith. Unmittelbar danach wurde die Ausstattung von "Michael" in hohen Tönen gelobt: der Preis für das beste Szenenbild Spielfilm ging an Katrin Huber und Gerhard Dohr. Dazu gab es eine eigens und zusätzlich zum Preis angefertigte Bronzestatuette vom Verband Österreichischer FilmausstatterInnen. Und eine lobende Erwähnung: Kathrin Huber hat auch bei "Kuma" die Ausstattung gemacht. Und: Ausgezeichnet auch der Schnitt von "Michael", Wolfgang Widerhofer erhielt den Preis in der Kategorie Spielfilm-Schnitt.
Zu Schnitt sagt man übrigens am Besten nicht mehr Schnitt. Weil das ja vom englischen "Cut" kommt und doch ein bisschen hart für diese feine und feinfühlige Arbeit rüberkäme. "Montage" wäre darum angebrachter. Wieder was gelernt.
Die beste Doku
Mit dem Großen Diagonale-Preis Dokumentarfilm wurde Dariusz Kowalski für "Richtung Nowa Huta" ausgezeichnet. "Das Thema ist so persönlich und autobiographisch, dass ich bis zum Schluss nicht sicher war, ob es sich ausgeht", verriet Kowalski beim Dank dem geladenen Publikum.
Diagonale/Pressberger
Kowalski, der an der Angewandten in Wien Visuelle Mediengestaltung studierte, kehrt in seinem Film zurück nach Nowa Huta. Das ist ein ArbeiterInnenstadtteil Krakaus, ursprünglich ein Paradebeispiel kommunistischen Städtebaus. Zehn Stunden ist Dariusz Kowalski gestern von Polen nach Graz im Auto gefahren, um seinen Preis persönlich entgegenzunehmen. Die Diagonale war seit 1999 ein wichtiges Festival für ihn, alle zwei Jahre etwa liefen seine jüngsten Arbeiten im Programm.
Nun gab es 21.000 Euro Preisgeld, gewidmet vom Land Steiermark, das er für nächste Projekte nützen will.
Dariusz Kowalski
150.000 Euro Preisgelder
Insgesamt wechselten bei der Diagonale-Preisverleihung 150.000 Euro die BesitzerInnen. Der Abend kam etwas ins Schleppen, allzu brav war dieses Jahr die Moderation. Die Schauspielerin Vera Hagemann bemühte sich, PreisstifterInnen zu Wort kommen zu lassen. Allerdings: Was soll eine Cutterin sagen, wenn sie danach gefragt wird, ob es Veränderungen in der Bildgestaltung im Vergleich zum Vorjahr gäbe? Astrid Heubrandtner entschied sich für ein schlichtes "Ja".
Wie essentiell, ja sogar existentiell der Wettbewerb und die damit verbundenen Preisgelder sind, machte Josef Dabernig in seiner Dankesrede klar: Er ermunterte explizit TV-Sender zur Partizipation. "Denn es scheint mir symptomatisch, dass Selbstausbeutung dazu führt, auf der Diagonale KollegInnen mit Krücken und Existenzproblemen anzutreffen". Josef Dabernig hatte beim für Innovatives Kino ausgezeichneten Experimentalfilm "Hypercrisis" selbst zu kämpfen. Mit der Finanzierung seines Films, mit Drehorten in Auflösung, "und so weiter".
Einen anderen Kampf zeigen Houchang Allahyari und Maziyar Moshtagh Gohary in "Das persische Krokodil" und erhielt den Diagonale-Preis Kurzdokumentarfilm der Jury der Diözese Graz-Seckau. "Zwei Moslems bekommen von drei Katholiken einen Preis!", freute sich Allahyari.
Schade, dass es bei der Preisverleihung keine Einspielungen mit Filmausschnitten gibt. Aber dann würde der Abend wohl weit nach Mitternacht enden. Immerhin: Christine Ostermayer meldete sich per Videobotschaft aus Berlin zu Wort. Geehrt mit dem Diagonale-Schauspielpreis für "Anfang 80" gestaltete sie ihre Dankesrede als kleines Making-Of. Der Fahrerin der Produktion, Katharina Krenn, dankte Ostermayer zu allererst, zuletzt verabschiedete sie sich mit einem japanischen Gruß der Verneigung.
Weil sechzehn Preise eines gewissen Tempos bedürfen, wie Michael Ostrowski weiß, die weiteren Ausgezeichneten in Filmstills:
Catalina Molina
Filmakademie Baden-Württemberg
Amour Fou Filmproduktion
Filmladen Filmverleih
KGP
Thimfilm
Danke für die vielen wunderbaren Filme, die Zumutungen und die Herausforderungen!