Erstellt am: 24. 3. 2012 - 15:36 Uhr
Spam, die einfach real wird
Haymon Verlag
Nikolai Vogel, 1971 in München geboren, lebt dort als Schriftsteller und Künstler. Er hat beim Berliner Open Mike- und beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb teilgenommen. Am Freitag, 30.03.2012, liest er beim Literaturfestival Wortspiele Wien 8 im Porgy & Bess aus "Spam Diamond".
"Penis enlargement NOW" oder "Jackpots in Millionenhöhe nur für SIE". Aufdringlich und kreischend kommen die Mails daher, die rund zwei Drittel des weltweiten Email-Verkehrs ausmachen, aber nichts anderes sind als unerwünschter Werbemüll. Meist wird er ignoriert und gelöscht, manchmal aber auch gelesen und zu Inspirationszwecken genützt. Der deutsche Autor Nikolai Vogel hat einen rasanten Thriller über die undurchsichtige Welt der Spammer geschrieben. "Spam Diamond" ist sein Debütroman.
Thomas arbeitet als Journalist für eine Computerzeitschrift. Er ist unterbezahlt und gelangweilt. Denn seine Freundin ist mit ihrer Doktorarbeit beschäftigt und will nicht mit ihm ins Bett. So hat er also viel Zeit zum Bier trinken und vor dem Computer Rumsitzen. Bis er eines Tages inmitten seiner Spam-Mails eine ungewöhnliche Nachricht entdeckt. 3000 Euro wurden demnach auf sein Konto überwiesen. Er soll es abheben und von München nach Antwerpen bringen.
"Das ist doch Spam, die bis auf das Konto durchschlägt, die plötzlich ein Leben bekommt, Spam, die einfach real wird. Was mache ich denn jetzt?"
Thomas beschließt, der Sache nachzugehen und eventuell einen Aufdecker-Artikel zu schreiben. So bekommt er in Antwerpen von einem Maskierten weitere Aufträge, Geld und eine bildhübsche Prostituierte zur Seite gestellt. Überwältigt vom Duft des Abenteuer-Sex-Gemischs lässt sich Thomas auf das dubiose Geschäft ein und schlittert immer tiefer in ein Doppelleben. In München ist er der schnöde IT-Fachmann und konservative Freund, der bei Kaffee und Kuchen Frauentratsch erzählt bekommt. In Antwerpen der smarte Geldbote und leidenschaftliche Liebhaber, der in teuren Restaurants Champagner trinkt und einen geblasen bekommt.
haymon verlag
"Der Sonntag verkatert und zum Bahnhof alleine, wie immer. Aber morgens ihr Gesicht, ihre Haare, ihre Hände auf mir, alles so schön, so, dass es nie vergehen soll, und der Scheißzug, der es immer beendet und eine Woche weiter in die Zukunft verlegt. […] Zeige mein Ticket und sie stempeln es, dann darf ich zurück in den Dämmer und träumen von ihr – von dir, Véronique, deiner Lust und deinem göttlichen Körper."
"Spam Diamond" ist eine feuchte Männerphantasie in Buchform. Strapse, harte Brüste und vor Geilheit explodierende Schwänze auf gefühlt jeder zweiten Seite. Frauen sind hier nichts anderes, als das Objekt der Begierde. Ihre einzige Aufgabe besteht darin, die Beine breit zu machen. Dieses Rollenbild und der immer wiederkehrende Testosteronschwall auf rund 200 Seiten nerven mitunter sehr.
- Mehr Buchempfehlungen auf FM4
Trotzdem ist es schwer, Nikolai Vogels Debütroman nach der Hälfte wegzulegen. Was schleppend beginnt, entwickelt einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Man sitzt im Kopf des Erzählers, seine Gedanken rasen vorbei wie ein Schnellzug - seine Rastlosigkeit, seine Unsicherheit, seine immer größer werdende Sucht nach Leben. Knappe Sätze ohne schmückende Adjektive, eine schnörkellose Sprache – der Inhalt gibt den Rhythmus vor. Trotz 08/15-Thriller Zutaten, schafft es Vogel, dass seine Geschichte nicht platt und vorhersehbar wird.
Über die Hauptfigur Thomas, die mit Nachnamen genauso heißt wie der Autor, erfährt man recht wenig, und so fällt es schwer, sich in sie hineinzufühlen. Die Tatsache, dass sie recht unsympathisch wirkt, kaum Freunde hat und nach Strich und Faden lügt, macht ein Mitfühlen oder gar Mitleid noch schwerer. Wer wird schon Teil eines internationalen Diamantenschmugglerrings, weil er aus seinem faden Alltag ausbrechen will oder weil er sich in eine Prostituierte verliebt? Obwohl diese Fragen auftauchen, wirkt der junge IT-Journalist nie unglaubwürdig, und so fliegt die Geschichte geschmeidig ihrem unausweichlichen Ende zu. Übrig bleibt eine seltsame Form von Befriedigung mit bitterem Beigeschmack.