Erstellt am: 23. 3. 2012 - 20:07 Uhr
Sven Regener erregt sich
Es ist wie in einer langjährigen Beziehung, in der die Partner eigentlich das Gleiche wollen, aber konsequent aneinander vorbeireden. Je länger die Beziehung dauert, desto strikter werden die Positionen verteidigt, und desto verfahrener wird die Situation. Die Beziehung, um die es hier geht, ist die zwischen dem Künstler und seinen Konsumenten. Und die ist jetzt schon einige Zeit in einer gehörigen Krise.
Der Stein des Anstoßes: das Telefoninterview mit Sven Regener mit dem Zündfunk.
Diesmal ist es Sven Regener. Der Musiker und Autor, Sänger von Element of Crime und Schreiber so erfolgreicher Bücher wie Herr Lehmann, hat sich in einem Interview mit FM4s bayerischer Schwester, dem Zündfunk, echauffiert. Über die Verlogenheit der Diskussionen um ACTA, den Wert von Kunst und den Respekt, der Künstlern entgegengebracht wird - oder auch nicht. Man nimmt sie ihm ab, die Wut – Wut darüber, dass Sven Regener und viele seiner Weggefährten von ihrer Arbeit als Künstler nicht oder kaum mehr leben können, dass ein Indielabel nach dem anderen zu Grunde geht, und dass sich die Argumente der Kämpfer für die Meinungsfreiheit im Internet für ihn so anhören, als wären sie ausschließlich auf die Lizenz zum freien Raubkopieren aus. „Man pinkelt uns ins Gesicht” ist seine griffigste Aussage.
Pamela Rußmann
Zwei Blogger antworten Sven Regener: Piraten-Politiker Fritz Effenberger aka 11k2 sagt: Sven Regener, du erzählst Unsinn, und ich erklär dir, warum; Eva Herzing aka breakingthewaves meint: Sven Regener regt sich auf. Ich auch.
Hier wären wir schon beim aneinander-vorbei-Reden. Für Regener sind die Piraten, die Kämpfer gegen Internetsperren und Contentschranken, Heuchler, die einer Gratiskultur frönen und glauben, sich die kreative Leistung eines anderen ohne Bezahlung zu eigen machen zu können. Für Piraten wie den Blogger Fritz Effenberger, der eine der vielen Antworten auf Sven Regener verfasst hat, sind Künstler wie Regener, verkürzt gesagt, alte Säcke, die schlicht eine technologische Entwicklung verschlafen haben und sich an ihre Verdienstmodelle von vorgestern klammern. Auch Konrad Becker spricht namens der Gegeninitiative zur "Kunst hat Recht" Aktion davon, die Kulturindistrie schicke "verunsicherte Kulturschaffende" vor, als wären die Künstler willenlose Zombies im Auftrag einer gefräßigen außerirdischen Supermacht. So plakativ die Argumentationslinien klingen - tatsächlich ist das das Niveau, auf dem die Debatte in den allermeisten Fällen abgehandelt wird - zumindest in den Fällen, die öffentliche Aufmerksamkeit außerhalb der Auskennerzirkel erregen.
Zeit für eine Beziehungstherapie?
Der Blick über den Tellerrand: wie Zeitungen mit der veränderten Situation durch das Internet umgehen: Positionen von Ken Doctor, Chris Moran und Gerfried Sperl.
Höchste Zeit. Denn hier wie dort wird die Argumentation oft mehr von den eigenen Ängsten dominiert als von den sachlichen Argumenten der anderen Seite. Zwar hat Regener recht, wenn er die "Musikindustrie"-Fixiertheit der Piraten hinterfragt, denn ihm geht es um die Indie-Szene und ganz sicher nicht um die Industrie. Trotzdem übersieht Regener, dass die Blüte der Indielabels in den 80er und 90er Jahren ein Ausnahme-Zustand war und keineswegs die Normalität des Vor-Internet-Zeitalters, und dass Musiker und Künstler sein zu jeder Zeit eine prekäre Angelegenheit war - falls man sich nicht mit den jeweiligen Machthabern, politischen und/oder ökonomischen, arrangieren wollte. Und dass eine unabhängige Musikkultur heutzutage auf andere Vertriebswege setzt, heißt ebenfalls nicht, dass sie nicht existiert.
Christian Lehner
Noch zwei Standpunkte: Die Initiative "Kunst hat Recht" und die Gegeninitiative von Konrad Becker u.a. darauf.
Auf der anderen Seite wird gern übersehen - und das ist es, was Regener in der Hauptsache aufregt - dass ja die großen Content-Provider im Netz sich auch nicht besser verhalten als die viel geschmähte Musikindustrie - ja eigentlich noch schlimmer. Denn Youtube verdient sein Geld genauso wie Universal mit der Verwertung der künstlerischen Leistung anderer, hat aber im Gegensatz zu denen nicht einmal Produktions- oder Werbungskosten. Vor diesem Hintergrund bekommt die Frage, warum es cooler ist, gratis für Youtube/Google Content zu erstellen, als über seinen eigenen Channel für sich selbst zu verwerten, eine andere Bedeutung.
Die Grenzen der Beziehungstherapie
Zur Nachlese: So hat Journalist Peter Lau vom Magazin brand.eins vor acht Jahren die Situation der Musikindustrie gesehen. Und hier bietet sich Dirk von Gehlen als Beziehungstherapeut an.
Und hier stoßen wir auch schon an die Grenzen der Beziehungstherapie. Denn hinter dem Konflikt zwischen Künstlern und Usern stehen, um im Bild zu bleiben, zwei mächtige Scheidungsanwaltskanzleien, und die fechten ihren eigenen Krieg aus: den zwischen den klassischen Verwertern (die Medienkonzerne oder das, was noch von ihnen übrig ist) und den neuen (Apple, Google und Konsorten) - und die sind es auch, die, allen medialen Debatten unter KünstlerInnen zum Trotz, den Diskurs bestimmen, der dort geführt wird, wo die politischen Entscheidungen fallen.
Die Musiklandschaft - auch die "neue" Indieszene, von der sich viel im Netz abspielt - ist längst zu einem Basar mutiert, wo sich die professionellen Verwerter ihre Contents abholen. Und unser Paar wird nach allen Regeln der Kunst von seinen selbst ernannten Anwälten gegeneinander ausgespielt und muss aufpassen, dass seine Interessen, die eigentlich gar nicht so verschieden sind, nicht zwischen deren Fronten zerrieben werden.