Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Liebe & Linguistik"

Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

21. 3. 2012 - 13:56

Liebe & Linguistik

Mein Sprachdiplom ist eigentlich umsonst, denn hochdeutsch spricht in Wien sowieso keiner.

“Wach auf! Genug geschlafen!“, schreit M. und springt auf mich, ohne Rücksicht auf meine gerade blühenden Träume, in denen ich gerade eine Art Plattenbau New York von einer Bande blonder Terroristen befreie. Ich liebe diesen Halbschlaf, kurz vor dem Aufwachen, wo Realität und Traum so wundervoll verschmelzen. Ich muss mein Plattenbau New York verlassen – M., das Mädchen, das ich mag, ist mich in Wien besuchen gekommen. Im Gegensatz zu mir, der gerne ausschläft, steht sie jeden Tag um sieben auf und ist für neue Heldentaten bereit. Ein langer Tag steht vor uns.

Ich habe M. vor zwei Jahren im Nachtbus zwischen Burgas am Schwarzen Meer und Sofia kennengelernt. Bevor wir die Lichter von Bulgariens Hauptstadt am frühen Morgen erreicht haben, waren wir ein Paar. Ich weiß bis heute nicht, was M. an mir in diesem viel zu schlecht klimatisierten Bus gefiel. Ich hatte viel zu lange nicht mehr geduscht und stank fürchterlich nach Sand, Salzwasser und billigem Gin. Außerdem redete ich unaufhörlich über neue russische Filme und alte deutsche Bücher. Ich hatte den Eindruck, dass mich M. nur küsste, damit ich endlich die Klappe halte.

Vor zwei Monaten sagte M., dass sie mich in Wien besuchen wird. „Du stellst mir all deine österreichischen Freunde vor!“, sagte sie. Was sollte ich nun machen? Wie sollte ich M. erklären, dass ich so lange diese deutsche Sprache gelernt habe und trotzdem jetzt keiner mit mir sprechen will. Ich spreche hochdeutsch, so wie ich es an der deutschen Schule in Sofia gelernt habe. Ich habe zwei Jahre in Berlin gelebt, wo die Menschen wie im Lehrbuch deutsch sprechen. Deshalb dachte ich, dass ich keine Probleme mit der Kommunikation in Österreich haben werde.

Plasticksackerl

http://www.flickr.com/photos/polandeze/378698004/

"Sackerl", nicht "Tüte"

In Wien aber habe ich zum ersten Mal erfahren, dass Wörter wie „Säckel“, „fladern“ und „Leinwand“ existieren. Ich war eine Weile ratlos, wie ich mit dieser neuen Sprache zurechtkommen soll. Man hat mir gesagt, dass man Wienerisch am besten in der Kneipe und auf dem Markt lernt. Und ich wollte eigentlich auf die Uni. Da war es auch ziemlich kompliziert, da die Professoren, entweder Englisch oder … Wienerisch sprachen. Die deutsche Sprache ist als Kommunikationsmittel für mich verschwunden. Ich dachte langsam, dass die ganzen Jahre an der deutschen Schule umsonst waren. Umsonst war auch mein Sprachdiplom, das meine Beherrschung der deutschen Sprache auswies.

Als ich angefangen habe, diese Kolumnen zu schreiben, wurde ich noch dazu als der Mensch “Mit Akzent” eingestuft. Egal, wie man das betrachtet, befinde ich im ich noch weit weg von den Österreichern.

Meine liebe M., ich gebe mir viel Mühe. Ich sage nicht mehr „Mülleimer“, sondern „Mistkübel. Ich sage nicht mehr „Bürgersteig“, sondern „Gehsteig“. Ich sage nicht „Gehen wir!“, sondern „Geh ma!“. Nur mit „Karfiol“ und „Blumenkohl“ habe ich nie Probleme gehabt, weil auf Bulgarisch Blumenkohl auch Karfiol heißt. Ich glaube ich bin schon fortgeschritten. Ich verspreche dir, dass wenn du das nächste Mal kommst, ich dir meine österreichische Freunde vorstellen werde.