Erstellt am: 28. 3. 2012 - 15:37 Uhr
Sexguide für smarte Girls
- It's complicated? Liebe im digitalen Zeitalter. Eine Themenwoche auf FM4
FM4
Noch nie waren Frauen in der westlichen Welt so frei, ihre Sexualität auszuleben, wie heute. Das klingt im ersten Moment großartig, ist im zweiten aber gar nicht so einfach. Frauen und Mädchen bekommen immer noch viele und sich widersprechende Anweisungen, wie sie sexuell zu fühlen, zu denken und vor allem zu handeln haben: dass Frauen eh nicht so viel Sex wollen (sollen) oder eigentlich nur nach der großen Liebe und dem Mann zum Heiraten suchen usw.
In „What You Really Really Want“ hat sich Jaclyn Friedman aufgemacht, Frauen mit diesem Konflikt zu helfen. Sie zeigt Wege und Strategien auf, sich erstens nichts erzählen zu lassen, zweitens zu den eigenen Wünschen und Sehnsüchten zu finden und diese drittens dann auch (sozial verträglich) auszuleben. Dazu liefert das Buch in elf Kapiteln Fakten und Hintergründe, wartet mit Zitaten auf, wo Frauen* über ihre Erlebnisse erzählen und gibt und Anweisungen für zahlreiche Übungen.
Fucking While Feminist
Mandy Lussier
Das Buch ist ein Guide, der Einlassen und Mitmachen erfordert. Die, die sich Tipps erwarten, wie frau den besten Orgasmus bekommt, wie sie den_die Partner_in optimal befriedigt oder überhaupt fürs Leben halten kann, werden aber enttäuscht. Denn „What You Really Really Want“ ist mehr innere Reise zu sich selbst denn sexueller Praxisratgeber.
Jaclyn Friedman ist eine US-amerikanische Feministin und Sexualerzieherin. In ihrem ersten Buch „Yes means Yes“ hat sie eine Welt ohne Vergewaltigung ausgerufen. Bei College-Vorträgen und anderen öffentlichen Auftritten kritisiert sie auch das Phänomen des Slutshamings, bei dem Frauen die Schuld an sexuellen Übergriffen zugeschrieben wird. Nachzulesen zum Beispiel in der Polemik "My Sluthood, Myself" auf jezebel.com
Und außerdem ein explizit feministischer Guide. Das bedeutet nicht, gewisse Sexpraktiken als per se frauenfeindlich oder den vaginalen Orgasmus als Mythos einzustufen, sondern es heißt zu lernen, auf sich selbst zu vertrauen und die eigenen Gefühle, Wünsche und Instinkte zu respektieren. Sexuelles Selbstbewusstsein entwickeln, das nicht von anderen abhängig ist.
Shame, Blame and Fear
Dabei werden zum Beispiel kulturelle Vorgaben an weibliche Sexualität und Stereotype aufgearbeitet. Dabei ist vieles US-amerikanisch geprägt und wirkt auf die mitteleuropäische Leserin zum Teil befremdlich. Denn Sexualerziehung pocht hier nicht auf Abstinenz und die gängige Sexualmoral verurteilt Sex von Mädchen/Frauen nicht von vornherein.
Auch die Ängste und Gefahren rund um Sex, von Schwangerschaft, Krankheiten bis Vergewaltigung, werden aufgegriffen. Dabei geht es einerseits darum den Leserinnen ein Gespür für realistische Risikoeinschätzung zu geben: Laufe ich Gefahr vergewaltigt zu werden, wenn ich meine Sexualität auslebe? Wie weit weiß ich, dass ich meinem Partner oder meiner Partnerin vertrauen kann und mit ihm_ihr ungeschützten Sex haben kann? Andererseits werden Links und Adressen zu Hilfseinrichtungen und zu Materialien zum Weiterlesen gegeben.
Okay with yourself
© 2012 - What You Really Really Want
Der nächste Schritt ist, mit den eigenen Gefühlen und dem eigenen Begehren in Kontakt zu kommen. Keine, so Friedmans zentrale These, kann erfüllend Sexualität ausleben, wenn sie nicht weiß, wer sie selbst ist und was das heißt. In diesem Fall geht es darum, erst einmal herauszufinden, welche sexuelle Person frau ist.
Und dazu gehört viel mehr als sexuelle Vorlieben: Es stellt sich die Frage nach Liebes-/Beziehungsbedürfnissen genauso wie nach sexueller Orientierung oder Genderidentität. Auch über Klasse, Hautfarbe, Alter oder psychische Verfasstheit und was das alles mit Sex zu tun haben könnte, wird nachgedacht. Schließlich und endlich geht es darum, ein Gespür für die eigenen Grenzen zu bekommen und diese dann auch explizit einzufordern. Erst wenn diese Dinge geklärt sind, kann frau dem näher kommen, was sie beim Sex wirklich wirklich will, und es ausleben.
Ja, nein, weiß nicht, hab' Angst?
Dieser Artikel ist ursprünglich im feministischen Magazin an.schläge erschienen, Ausgabe Februar 2012 "Klitoris und Klimax"
Eine der praktischen Übungen, die in "What You Really Really Want" empfohlen werden (und eine derjenigen, die viel mit Sex zu tun haben), ist zum Beispiel der Ja/Nein/Weiß-Nicht-Chart. Hier geht es darum, sich zu überlegen, welche sexuellen Handlungen frau total gerne und sofort machen will, welche auf keinen Fall und welche vielleicht nicht gerade jetzt, aber irgendwann mal oder mit dem_der richtige_n Partner_in.
Im Internet, z.B. auf www.smarthotfun.com gibt es vorgefertigte Listen zum Ausfüllen. Das reicht vom Berühren bestimmter Körperstellen bis hin zu Bondage und S&M, von sanftem Pusten auf erogene Zonen bis zum Austausch von Körperflüssigkeiten jenseits von Spucke. Manche der Wörter auf dem Chart kennt das Wörterbuch nicht, bei anderen kommen Gedanken auf wie „Auuu“ oder „Echt, Leute machen das?“ Zu sehen, wo die eigenen Grenzen verlaufen, was okay ist und was definitiv außer Reichweite, ist aber nicht nur unterhaltsam, sondern es hilft auch dabei, mit Sexpartner_innen klare Grenzen aufzustellen.
Drüber reden
Denn der letzte Teil widmet sich der Kommunikation. Egal ob mit Lebenspartner_in oder Aufriss: Was macht mich an, und was dich? Wo würde ich jetzt gerne berührt werden und wie? Was überschreitet meine Grenzen und wie kann ich dir das sagen? Das auszusprechen ist etwas, das für niemanden leicht ist, sondern Übung und Entschlossenheit braucht und die Skills, die man mit diesem Buch erarbeitet hat.
Auch wenn „What You Really Really Want“ primär ein Aufklärungsbuch ist, ist es für Leserinnen jeden Alters geeignet. Denn auch wenn man auf dem Gebiet schon erfahrener ist, gibt es immer was zu lernen. Bleibt die Frage: Gibt es so ein Buch auch für Männer?