Erstellt am: 23. 3. 2012 - 11:14 Uhr
Massengeschmack & Effekthascherei
EA/Bioware
Eine Spieltrilogie, die ihre Fans über fünf Jahre fesselt, eine Science-Fiction-Welt, die sich in Komplexität und Background nicht vor den Größen aus Film und Literatur verstecken muss, eine epische Geschichte, die der Spieler durch seine Entscheidungen mitbestimmt, und alles verpackt in einem Games-Mashup im Dienste der Hochglanzunterhaltung für alle. "Mass Effect 3", Biowares Schlussakt des fast bis zum Größenwahn ambitionierten Science-Fiction-Bombast-Spektakels, ist eigentlich "too big to fail".
Man beachte: "eigentlich". Denn beim erneut versuchten Spagat zwischen Fan-Befriedigung und Massenappeal schafft es der Triple-A-Titel trotz aller Qualitäten, sich selbst ein Bein zu stellen.
Kosmischer Existenzialismus
Eins vorweg: Auch "Mass Effect 3" ist, wie die Vorgänger, großes Popcorn-Kino: atmosphärisch, düster, spannend, in seinen Spielmechaniken solide, motivierend und für die ungefähr 30 Stunden Spieldauer fesselnd. Die komplexen Charaktere und ihr Schicksal berühren und als Ganzes mag die Welt von "Mass Effect", wie Kyle Munkittrick auf PopBioEthics schreibt, tatsächlich das wichtigste Science-Fiction-Universum unserer Generation sein, weil es einen unnachahmlich aktuellen Blickwinkel einnimmt, der mit den naiv-menschenzentrierten SF-Epen des 20. Jahrhunderts wenig gemein hat: "Mass Effect is the first blockbuster franchise in the postmodern era to directly confront a godless, meaningless universe indifferent to humanity."
Das klingt ambitioniert, und es ist eine große Leistung, dass Bioware diesem Anspruch in vielerlei Hinsicht gerecht wurde. Die traurige Ironie der Gamesgeschichte ist nun, dass just der große Schlussakt, der letzte Teil des ehrgeizigen Projekts, eine millionenfache Fangemeinde über mehrere Jahre hinweg an dieses eine, komplexe und erwachsene SF-Universum zu binden, letztlich an den selbst gestellten Erwartungen strauchelt.
Minimal-SPOILER-WARNUNG:
Bis hierhin und nicht weiter: Im Rest des Textes werden Themen besprochen, die sensible Naturen möglicherweise als Spoiler angesehen werden können. Ihr wurdet gewarnt!
Für all jene, die ihren Ausflug in dieses Universum noch planen, deshalb bereits jetzt ein erstes Resümee: "Mass Effect 3" ist ein gutes, teilweise exzellentes Spiel, das die Qualitäten der Trilogie würdig fortsetzt und seinen Spielern garantiert noch länger im Gedächtnis bleiben wird. Die nun folgende Diskussion der leider damit einhergehenden Einschränkungen dieses positiven Eindrucks lässt sich nicht ohne ausdrückliche Spoiler-Warnung bewerkstelligen - es werden keine Details ausgeplaudert, aber diesbezüglich sensible Spieler seien gewarnt.
EA/Bioware
Ein Ende mit Schrecken
Wie gesagt: "Mass Effect 3" ist ein gutes Spiel. Und dennoch waren in den Tagen seit dem Verkaufsstart die Stimmen enttäuschter Fans und empörter Spieler lauter als die Lobeshymnen der Fachpresse, die für einen Tripel-A-Titel mit diesem Budget erwartbar, angesichts des Endes aber doch irritierend waren. Nach drei Spielen, fünf Jahren des Wartens und insgesamt über 100 Stunden Spielzeit von Teil 1 bis 3 wollen sich die Fans nicht mit dem abfinden, was die Macher des SF-Epos ihnen als Ende auftischen. Zu Tausenden beschwerten sich Spieler über den Abschluss der Geschichte, sogar eine Petition zur nachträglichen Änderung wurde gestartet. Der Zorn der Fangemeinde droht inzwischen die parallel laufende Massen-PR-Kampagne des hoffnungsvollen Megasellers zu übertönen.
Ob das düster-apokalyptische Ende der Weltraumsaga tatsächlich so übel ist, ist diskutabel. Dass die Entwickler selber damit nicht ganz glücklich sind, legen jüngste Aussagen der Produzenten und Insiderberichte nahe: Das Ende sei überhastet und in letzter Sekunde festgelegt worden, die Beschwerden der Fans würden möglicherweise später doch noch angesprochen. Ob mit Monate später nachgereichtem und erneut kostenpflichtigem DLC-Addons der Imageschaden wieder gutzumachen ist, ist allerdings ungewiss: Die Spieler fühlen sich verraten und vom ungeliebten Großkonzern Electronic Arts als Melkkühe behandelt. Daran wird wohl auch ein separat nachzukaufendes "wirkliches" Director's-Cut-Ende nichts mehr ändern.
EA/Bioware
Labyrinth und Irrgarten
All das, so muss man realistischerweise anmerken, sind aber nur zusätzliche Kränkungen, denn das Hauptproblem ist ein anderes: "Mass Effect 3" und sein ungeliebtes Ende sind desillusionierend, weil sie ein Kernversprechen der Reihe nicht halten können: jenes der freien Entscheidung, dass jeder Spieler selbst durch seine Handlungen die Welt von "Mass Effect" verändern und beeinflussen könne. Wenn am Schluss, nach hunderten zum Teil emotionalen und schwierigen Entscheidungen, nach der buchstäblich jahrelangen Aneignung der Welt durch die Alter-Egos der Spieler, nach dem Gehen eines langen, vermeintlich eigenen Weges am Ende dieses Weges für jeden Spieler dieselben drei Türchen in unterschiedlichen Farben warten, ist diese Illusion der Entscheidungsfreiheit geplatzt.
Es war ein ambitionierter, letztlich unmöglich zu erfüllender Anspruch: In einem linear erzählenden Medium kann es für Spieler natürlich keine echte Willensfreiheit geben. Es ist ein Grundproblem der Narration im Spiel, wie mit dieser Illusion umgegangen wird. "Mass Effect 3" und seinen Autoren kann wohl vorgeworfen werden, dass die abschließende Desillusionierung als Ende eines Spiels, das sich die Vielzahl der Wahlmöglichkeiten als Thema gesteckt hat, zu lieblos ausgefallen ist.
Und der Massenprotest beweist einen Umstand, der auch George Lucas anlässlich seiner späten "Star Wars"-Revisionen und -Verschlimmbesserungen als Ärgernis bekannt ist: Auch die Fans eignen sich "ihre" Welten an und machen diese im Zweifelsfall sogar ihren Urhebern streitig. Das ist wohl der Preis, der für den Massenappeal und die globale Hype-Maschine zu bezahlen ist.
"Mass Effect 3" ist für Windows, XBox360 und PS3 erschienen.
So bleibt es eine Ironie des Schicksals, dass ein Spiel, das alles für alle sein wollte, für Fans wie Gelegenheitspieler, für Rollenspieler wie Shooterfans, ausgerechnet in seinen letzten Minuten einen Bauchfleck hinlegt: Gerade jene Zielgruppe, die den Titel in seiner Gänze liebt und wertschätzt, die SF-Welt zur Gänze erkundet, DLC, Bücher und Limited-Editions zu Fantasiepreisen kauft, wird vom Ende der Trilogie am herbsten enttäuscht. Und alle anderen, jene Gelegenheitstouristen auf dem globalen Massenmarkt der Blockbuster, für die "Mass Effect 3" nur ein Shooter mit Story oder eine Seifenoper mit Schusswechseln ist, werden wohl gar nicht erkennen, was für ein ehrgeiziges Projekt hier an den Naturgesetzen des Erzählens gescheitert ist.
Eigentlich ein trauriges Ende nach 100 Stunden Exzellenz.