Erstellt am: 19. 3. 2012 - 17:27 Uhr
Schleich dich, Satan!
Jack White, eigentlich John Anthony Gillis, wächst als jüngstes von zehn Kindern in einem Arbeiterviertel des südlichen Detroit in Michigan auf - die Eltern sind schwer katholisch und arbeiten auch für die Kirche. Sowohl Mama als auch Papa Gillis engagieren sich im Viertel in einer Big Band und dementsprechende Musik bekommt der junge Jack dann auch von seinen Eltern vorgesetzt. Ein wenig mehr verspricht da schon die Plattensammlung der zahlreichen Geschwister. Über die kommt er von Big Band zu Johnny Cash, auf Tapes entdeckt er dann auch Bob Dylan oder Nat King Cole für sich.
Ab sofort kürt FM4 statt einem Album der Woche wöchentlich einen "Artist of the Week". Das können also auch Musiker/innen und Bands sein, die aktuell kein oder noch kein Album veröffentlicht haben, aber dennoch von herausragender Bedeutung im FM4-Universum sind.
So beginnen wir diese Woche mit Jack White, Gründer der White Stripes, Raconteurs und The Dead Weather, der dann nach Ostern sein erstes Soloalbum "Blunderbuss" veröffentlichen wird.
Der ultimative Kick stellt sich für Jack dann aber erst mit Musik aus Detroit, die im Hause Gillis nicht ganz erwünscht ist, ein. Wie die Stooges oder MC5. Auch die Einfachheit von Velvet Underground begeistert ihn schon sehr früh.
Das Schlagzeug ist seine erste große musikalische Liebe, schon als Kind ist er von Takt und Rhythmen fasziniert. Erst als Jack dann über den Umweg von Surfmusik der Marke Dick Dale entdeckt, dass man auch die Gitarre rhythmisch spielen kann, schließt er dieses Instrument in sein Herz - drei Jahrzehnte später zählt ihn das Rolling Stone Magazin zu den hundert besten und wichtigsten Gitarristen aller Zeiten.
Jack ist es immer wichtig, dass seine Musik "genug Fleisch hat", genau deshalb gefällt ihm der Sound von Dick Dale. Drum-Beats auf die Gitarre zu bringen, davon hat er immer geträumt. Das zu dieser Zeit (Jack White ist 1975 geboren) omnipräsente Gitarren-Gewichse leht er allerdings ab, weil das in Jacks Augen so gar kein "Fleisch hat" - Schnelligkeit und Fingerfertigkeit, die damals aus so manchem Guitar-Hero einen Profisportler machten, interessieren ihn ebenso wenig, wie die furchtbare Mode der in den 80ern angesagten Metal und Hardrock Bands.
Und dann kommt der Blues
Besessen von den Platten eines Robert Johnson findet Jack eine Musikform, die direkt zu ihm spricht. Denn der Blues schluckt alles. Teenager Frustration, Schulängste und Außenseitertum - Jack White hat mit dem Blues eine Methode entdeckt, all das zu ertragen. Andere Kinder seines Alters kippen damals auf Goth oder Punk rein (heute würden sie wohl im Emo ihren Trost suchen) doch für Jack kann der Blues mehr. Stundenlang sitzt er in seinem Zimmer und versucht, Platten von Howlin' Wolf nachzuspielen, ein einziger Schulkollege lässt sich dafür begeistern und spendet ihm Gesellschaft am Bass.
Als Jack mit 14 auf ein katholisches Seminar nach Wisconsin soll, fürchtet er, seinen Verstärker nicht mitnehmen zu können und entschließt sich so für eine öffentliche Schule in Detroit, zuerst als einziger Weißer unter Latinos, dann an einer rein schwarzen Schule. Die hörten damals aber entweder House oder HipHop - und so zieht sich Jack immer weiter in seine eigene Welt aus Gitarren und Blues-Beat zurück.
![© Patrick Keeler White Stripes](../../v2static/storyimages/site/fm4/20120312/whitestripes-3.jpg)
Patrick Keeler
Bis er irgendwann auf Meg White trifft. Er bittet sie einen ganz einfachen Beat zu spielen, den er anschließend beim Produzieren loopt und fetter macht - und ist sofort verliebt und begeistert. In ihr Spiel.
Megs reduzierter Zugang zu den Drums lässt Jack jene Räume offen, die er so dringend braucht, die sein Verständnis des Blues einfach verlangt. Wie eben auch Velvet Underground es immer verstanden, mit weniger mehr zu machen, hat auch Meg dieses seltene Talent. Sogar Dave Grohl meint: "Meg als Drummerin beeindruckt mich mehr, als viele der allertollsten und schnellsten Schlagzeuger der Rockwelt."
Schon auf der allerersten Single "Screwdriver" offenbart sich der Glücksfall des Aufeinandertreffens, dennoch plagt Jack die Sorge, als eine von hunderten Garagenbands einfach unterzugehen. "Wir kommen weder aus dem Süden, noch aus den 20er Jahren" zeigt er sich zweifelnd und auf der Suche nach dem gewissen Extra. Doch genau dieses Extra finden die White Stripes in Jacks Kunstaffinität.
Seit Teenager-Tagen arbeitet Jack als Polsterer in einem Möbelgeschäft. Als Autodidakt bringt er sich das Wichtigste der Kunstwelt selbst bei. Er ist besessen von Stühlen, kennt alle Stile, alle Epochen und fast alle Hersteller der letzten hundert Jahre. Ob Design oder Architektur, Jacks Sinn für Ästhetik nimmt teils fast schon manische Züge an.
Er ist es, der in einem Zuckerlgeschäft auf rot-weiße Peppermints stößt und dabei die Idee hat, auch Megs Schlagzeug so zu stylen - als er eines Tages so ein Bonbon ins Feuer wirft, bricht eine Art schwarze Lava hervor, die Geburtsstunde des White Stripes Chic in rot, weiß und schwarz.
Detroit ist zu dieser Zeit ein Hotspot für junge Garagenbands und es findet sich ein Geldgeber und Produzent für ein erstes Album. Nach der zweiten Platte, die den Namen "De Stijl" trägt (Jack muss deswegen oft erklären kein Kunststudent aus New York, sondern eben Autodidakt zu sein) zieht es die Band erstmals nach England. Jack ist begeistert, wie respektvoll sie dort behandelt werden. Nicht verstehen kann er allerdings all jene, die aus Obskurität und Unbekanntheit ein Programm machen wollen. Ein paar Leute raten ihm davon ab, sich aufs Cover der NME bringen zu lassen, rückblickend bereut er das: "Ich denke, dass das Idioten sind. Warum sollte man nicht versuchen Hits zu schreiben? Als Selbstzweck obskurer Underground zu bleiben ist doch idiotisch!".
![© Jack White Jack White beim rasieren](../../v2static/storyimages/site/fm4/20120312/jackwhite_single_body.jpg)
Jack White
Jack White hat keine Lust nicht-populär zu sein
Und das muss er auch nicht, denn zwei Jahre nach dem ohnehin schon sehr erfolgreichen "White Blood Cells" schießen die White Stripes mit "Elephant" nachhaltig den Vogel ab.
Am vermeintlichen Zenit ihrer Karriere können Jack und Meg ohne Druck zur Bestform auflaufen, mit Elephant kommt ihnen dabei ein Rockalbum für die Ewigkeit raus. Dabei ist "Seven Nation Army" eigentlich nie als Hit geplant, der Song entsteht bei einem Soundcheck in Australien. "Das Riff gehört nicht mehr mir", lacht Jack White im Bewusstsein ein Riff geschrieben zu haben, das Hunderttausende Fußballfans über den ganzen Globus singen, vielleicht sogar ohne die White Stripes zu kennen.
Doch auch abseits der White Stripes setzt Jack stets seinen Sturkopf durch, andere machen irgendwann ein Soloalbum, Jack gründet lieber zwei neue Bands parallel und liefert sein Solo erst jetzt ab.
Sowohl die "Raconteurs" rund um Brendan Benson, als auch "The Dead Weather" mit Alison Mosshart entstehen eher per Zufall, sowie Jux und Tollerei denn als geplantes Projekt. Und beide Bands sind ebenfalls erfolgreich, wenn auch nicht ganz im Umfang der White Stripes.
Ein wenig Muffensausen bekommt Jack, als ihn Regisseur Davis Guggenheim bittet, in einem Film mit The Edge und Jimmy Page mitzuspielen, als er jedoch hört, dass es eine Liebeserklärung an die Gitarre werden soll, ist er dabei und begeistert.
Der Preis dafür, als Popstar von seiner Musik leben zu können, ist allerdings, dass die Fans erwarten, dass man für alle Zukunft weitere 300 Mal exakt das Gleiche produziert. Auch deshalb macht es Jack Spaß, möglichst oft Formationen und Bandnamen zu ändern, ja manchmal sogar einen James Bond Song mit Alicia Keys zu singen und zu schreiben.
In wenigen Wochen (kurz nach Ostern), also etwa 15 Monate nach Auflösung der White Stripes, veröffentlicht Jack nun erstmals ein Soloalbum. Es soll und wird "Blunderbuss" heißen, die erste Single daraus "Love Interruption" ist aktuelle Nummer 1 der FM4 Charts.
Wir können uns also noch auf ein paar schöne Jahre und Songs mit Jack White freuen, der ein würdiger "Artist der Woche" ist.