Erstellt am: 19. 3. 2012 - 17:59 Uhr
Staunen und schweben
Der Sand glüht in der blendenden Sonne, vor uns erstreckt sich eine ewige Landschaft, weit entfernt im Horizont strahlt eine gezackte Bergspitze. Auf einem großen Sandhügel angekommen, tauchen antike Ruinen und kleine Steinpfosten auf, die als eine Art Wegweiser fungieren. "Journey" nimmt uns mit auf ein interaktives Erlebnis, das wunderschön anzusehen ist und völlig ohne Worte, Erklärungen und Beschreibungen auskommt.
Die Welt von "Journey" ist so einladend wie mysteriös. Verstärkt wird dieses Gefühl durch die Tatsache, dass wir hier völlig alleine sind. Die Spielfigur ist ein dünnes, humanoides Wesen in einem langen Cape und mit einem wallenden Schal um den Hals. Das Gesicht ist bis auf die Augen verhüllt. Wer wir sind und was wir hier machen, bleibt ungewiss. Auch das Ziel bleibt vage. Am Ende unserer wundersamen Reise können wir aber vielleicht das Geheimnis des hell leuchtenden Berges lösen.
Thatgamecompany / Sony PlayStation
Geheime Zauberkräfte machen es möglich, dass sich der Schal mit magischer Energie aufladen lässt, die uns weit springen und manchmal sogar unbeschwert durch die Luft segeln lässt. Als Behältnisse dieser Kraft dienen federleichte, mit Schriftzeichen besetzte Textilstücke, die zu glühen beginnen, wenn ihre Magie entfacht wird. Anfangs ist das alles noch sehr kontemplativ, bald schon steigen wir aber auch in tiefe Höhlen hinab.
Obwohl "Journey" Spielerin und Spieler prinzipiell ganz alleine durch die verlassenen unterirdischen Gänge und weiten Landschaften reisen lässt, kann es doch passieren, dass wir auf einen Mitreisenden treffen. Der bisher einzigartige Mehrspielermodus führt einen an beliebigen Stellen im Spiel mit einer anderen Person zusammen, die auch gerade online ist und spielt. Einen Chat gibt es nicht, sich helfen oder gegeneinander kämpfen kann man auch nicht. Doch man geht einen Teil seiner Reise gemeinsam mit einem fremden Begleiter.
Je länger das Abenteuer dauert, desto unwirscher werden die Bedingungen. Haben wir den Fuß des Berges passiert, liegt nur noch Schnee, der Wind bläst uns um die Ohren und unsere magischen Kräfte werden immer geringer. Können wir umkehren oder müssen wir weitergehen? "Journey" will keine Fragen beantworten, sondern uns lieber zum Staunen bringen.
Thatgamecompany / Sony PlayStation
Abseits der beeindruckenden Atmosphäre, die auch vom aufwändig produzierten Soundtrack stark unterstützt wird, wird "Journey" sein eigener Minimalismus aber manchmal auch zum Verhängnis. Wer in Videospielen gerne viele Möglichkeiten hat und unterschiedliche Aufgaben gewöhnt ist, muss sich hier damit abfinden, dass sich das Spiel quasi von selbst spielt und damit unweigerlich Momente der Langeweile aufkommen.
Das Treffen auf Mitstreiter/innen im Spiel ist zwar mit dem Verzicht auf geschriebene und gesprochene Sprache schlau inszeniert, weil so kein Bruch mit der stimmungsvollen Umgebung stattfindet. Doch die einzige Möglichkeit zur Kommunikation - das Singen seiner eigenen, per Zufall zugewiesenen Note in beliebiger Abfolge und Intensität - bringt keinen Mehrwert. Nachdem die erste Überraschung darüber, dass hier neben uns noch jemand ist, verebbt ist, fragt man sich, was man mit dem Mitstreiter anfangen soll. Später ärgert man sich sogar ein bisschen, dass sie oder er statt uns das Zaubertextil zum Leuchten bringt oder die nächsten magischen Tore öffnet.
Thatgamecompany / Sony PlayStation
In Anbetracht der hohen Erwartungen, die bei der PR-Arbeit für "Journey" vorab vorangetrieben worden sind, ist nach knapp dreijähriger Entwicklungszeit das Gesamtergebnis allgemein ein wenig mager ausgefallen. Eine Reise, also das Fertigspielen des Spieles, dauert nicht länger als zwei Stunden. Ein nochmaliges Antreten des Abenteuers macht zwar Sinn, weil man dadurch einen besseren Eindruck von Struktur und Zusammenhalt der einzelnen Spiel-Abschnitte bekommt. Das Staunen über die Welt und ihre wundersamen Geheimnisse ist zu diesem Zeitpunkt aber schon weitgehend verebbt. Schade, dass Entwickler Thatgamecompany und Produzent Sony PlayStation hier die Zügel nicht ein wenig lockerer gehalten und mehr Raum für eigene Entdeckungen gelassen haben. In letzter Konsequenz ist "Journey" ein linearer Schlauch, bei dem die Auswahl der jeweiligen Levels/Welten nach dem ersten Durchspielen die einzig wählbare Variante bleibt.
"Journey" ist exklusiv für PlayStation 3 als Download erschienen und kostet knapp 13 Euro.
Erst vor kurzem haben sich beim (wieder-)veröffentlichten "Dear Esther" viele Gamer und Rezensenten die Frage gestellt, wo ein Spiel aufhört und ein interaktives Erlebnis beginnt, das sich den etablierten Konventionen des Medium Videospiels nicht unterwerfen will. Die Ähnlichkeiten von "Dear Esther" und "Journey" in Anmutung und Wesen sind verblüffend, wenn auch die methapernschweren Geschichten im ersten Fall mit Worten und im zweiten Fall mit Bewegungsformen sowie Umgebungs- und Lichtdesign erzählt werden.
Thatgamecompany / Sony PlayStation
* Beide Spiele wurden in einem Paket mit verbesserter Grafik kürzlich neu für die PS3 veröffentlicht.
Ist man mit "Journey" selbst durch, hat man eine gute Möglichkeit vor sich, Nichtspielende und Game-Skeptiker mit etwas Außergewöhnlichem zu verblüffen. Wer abseits der Atmosphäre dennoch Videospielreferenzen braucht, wird dank "Journey" wieder an vergangene Höhepunkte wie "Shadow of the Colossus" oder "ICO"* erinnert, die es sich ebenfalls lohnt, ein weiteres Mal zu erleben.