Erstellt am: 18. 3. 2012 - 13:00 Uhr
Voller Folter
Die Qualität eines Staates kann man daran erkennen, wie er mit den Schwächsten der Gesellschaft umgeht. Manfred Nowak kämpft für eine Minderheit, die keine Lobby hat und die für Viele gedanklich bereits aus der Gesellschaft gefallen ist: Häftlinge.
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Als UNO-Sonderberichterstatter hat Nowak jahrelang Haftbedingungen auf der ganzen Welt untersucht. In dutzenden Missionen ist er dabei auf Menschen gestoßen, für die Misshandlung und Folter zum Alltag gehören. Menschen, die aus der Gesellschaft verschwunden sind, in irgendeinem Loch getarnt als Gefängniszelle dahinvegetieren und die Hoffnung bereits aufgegeben haben, jemals wieder ein geregeltes Leben führen zu können.
In mehr als 90 Prozent aller Staaten wird gefoltert. So lautet das Fazit von Nowaks Buch "Folter", der neben seinen Tätigkeiten für die UNO auch Professor für internationales Recht und Menschenrechte an der Universität Wien, sowie Gründer des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte ist. Häufig werden Foltermaßnahmen routinemäßig von der Polizei eingesetzt, um Geständnisse zu erpressen. Schläge und Tritte, Verbrennungen, an den Daumen Aufhängen, Schüsse ins Bein, Isolation, tagelange Dunkelheit, Lärm, Schlafentzug, Water Bording: Die Liste der physischen und psychischen Foltermethoden ist lang. Nowak selbst wird immer wieder überrascht von der Fantasie, die die Peiniger beim Entwickeln neuer Methoden an den Tag legen.
Phil Strahl, http://commons.wikimedia.org/wiki/User:Pstrahl
Generell spricht man dann von Folter, wenn ein staatliches Organ einer wehrlosen Person schwere physische oder psychische Leiden zufügt. Zum Beispiel um Informationen zu erhalten, oder um die Person zu diskriminieren. Doch nur die wenigsten, die weltweit in Polizeistationen und Gefängnissen gefoltert werden, sind Terroristen oder sonstige Schwerverbrecher. Meist handelt es sich um Regimegegner, aber auch Menschen, die nur kleine Delikte begangen haben, werden gefoltert. Nowak berichtet in seinem Buch von tibetanischen Nonnen, die 15 Jahre lang weggesperrt und umerzogen wurden, weil sie eine Dalai Lama Fahne gehisst haben und von Uiguren, die chinesische Gesetzbücher auswendig lernen mussten, ohne ein Wort der Sprache zu verstehen. Und von jahrelang gequälten Menschen, die unter Schmerzen und Todesdrohungen schließlich eingestanden haben, geklaut zu haben, ob sie nun schuldig waren oder nicht.
"A little bit of torture helps"
Martin Nowak hat insgesamt 18 große Missionen in Länder wie Georgien, Nepal, China, Nigeria und Kasachtsan unternommen. Manchmal auf Geheiß des UNO-Menschenrechtsrats, manchmal auf Einladung der Regierung, die wissen wollte, ob in ihrem Land gefoltert wird und in welchem Ausmaß. Von offizieller Seite wurden Folterpraktiken dabei vorerst immer verleugnet. Erst durch Beweissicherung, wie Fotos von Blutspuren in den Zellen, Augenzeugenberichten und nicht verheilten Verletzungen geben manche Militärs, Polizisten oder Wärter zu, dass sie foltern. "A little bit of torture helps", gesteht ein Polizist in Nepal wenig reumütig.
In seinem Buch beschreibt Nowak detailliert, wie schwer es oftmals war, unabhängig Informationen über Gefängnisse, Polizeistationen und psychiatrische Einrichtungen zu sammeln. Geheimdienste versuchten, seine Arbeit zu beeinträchtigen oder zu torpedieren. Sein Grundsatz ist es, immer unangekündigt die Stätten zu besuchen, alle Räume besichtigen zu können und mit jedem Häftling unbeobachtet unter vier Augen sprechen zu können. Letzteres soll Häftlinge davor schützen, wieder gefoltert zu werden, wobei Nowak zugeben muss, dass er das letzten Endes nicht sicherstellen kann. Oftmals nehmen Häftlinge aber bewusst neue Repressalien in Kauf, weil sie die Öffentlichkeit über die Zustände informieren wollen.
Immer wieder hört Nowak, dass die Polizei aus Sicherheitsgründen nicht erlauben könne, dass er ohne Aufsicht mit den Häftlingen spreche - schließlich seien die Gefangenen Schwerverbrecher, die ihn angeifen können. Süffisant kommentiert Nowak in seinem Buch, bisher wäre er noch nie von einem Häftling attackiert worden. Alle gefährlichen Situationen und Angriffe auf ihn und sein Team seien bisher immer von Polizisten und Militärs ausgegangen.
Menschenrechte für Gefangene
Nowak setzt sich in seinem Buch dafür ein, dass Häftlinge nicht menschenunwürdig behandelt werden. Eines der Vorbilder in punkto Haftbedingungen könnte Dänemark sein. In den meist offen gebauten Haftanstalten wird versucht, den Insassen soviel normales Leben wie möglich zu bieten. Die Gefangenen verlassen ihre Zellen, um zu arbeiten, Sport zu betreiben oder im Park spazieren zu gehen. Häftlinge werden als Klienten angesehen, denen man alle Möglichkeiten bieten sollte, wieder in die Gesellschaft eingegliedert zu werden. Doch damit dieses Konzept funktioniert, benötigt es eine sehr aufgeschlossene, weit entwickelte, menschenfreundliche Gesellschaft mit funktionierender Demokratie.
Verlag Kremayr & Scheriau
Eine weit entwickelte Demokratie habe die USA zwar, dennoch kritisiert Nowak deren Umgang mit Häftlingen in Guantanamo Bay und die Politik unter George W. Bush. Letzterer habe versucht, Foltermethoden wie Water Bording nachträglich per Gesetz zu legitimieren. Da die Verfassung dies in den USA nicht zugelassen hat, wurden Häftlinge eben in andere Staaten verfrachtet. Die Diskussion rund um die "dreckige Bombe", die moralische Rechtfertigung von Bush, habe in vielen Ländern Folter als akzeptable Maßnahme wieder eingeführt. Folgendes Szenario wird im Buch beschrieben: Ein Terrorist hat den Deaktivierungscode für eine Massenvernichtungswaffe, die 100.000 Menschen das Leben kosten würde. In diesem Fall wäre es doch wohl gerechtfertigt, den Terroristen zu foltern und seine Menschenrechte zu verletzten, um das Leben von tausenden Menschen zu schützen.
Nowak schreibt, dass man sich diese Frage nicht stellen dürfe und die Büchse der Pandora niemals öffnen sollte. Auf die Frage gebe es keine Antwort, sie wäre auf einen sehr seltenen Fall zugespitzt, der in der Realität kaum vorkomme. Folter per Gesetz zu legitimieren, würde Tür und Tor für tausende Polizisten öffnen, Menschen, die keine Schwerverbrecher sind, zu missbrauchen. In diesem Punkt hätte ich mir eine etwas ausfürlichere Antwort von Nowak erhofft. Denn seine Empfehlung, die Diskussion einer moralisch schwergewichtigen Frage zu verweigern, rüstet mich nicht mit den nötigen Gegenargumenten oder zumindest deren Ansätzen.
Folterfreies Österreich?
Wer glaubt, lediglich im weit entfernten Ausland oder in Splattermovies werde gefoltert, der irrt. In seinem Buch dokumentiert Nowak Folter auch in Österreich. 2006 sollte der Schwarzafrikaner Bakary Jassey nach dem Absitzen einer zweijährigen Haftstrafe wegen Drogenbesitzes nach Gambia abgeschoben werden. Seit Jahren lebt er in Österreich, hat Frau und Kinder. Nachdem er dem Co-Piloten erzählt, dass seine Familie nicht über die Abschiebung informiert wurde, weigert sich dieser, Bakary mitzunehmen. Daraufhin wird Bakary von WEGA-Beamten in eine verlassene Lagerhalle am Prater gebracht. Dort wird er von den Polizisten gefesselt, beschimpft und schwer verprügelt. Sie drohen ihm mit dem Tod. Bakary muss sich in die Mitte der Lagerhalle knien. Mit einem Polizeibus fahren die drei WEGA-Beamten den Schwarzafrikaner an, sein Kopf prallt auf, er zieht sich Augenhöhlen-, Oberkiefer und einen Jochbeinbruch zu. Die Polizisten haben ihn daraufhin im AKH abgeliefert. Die Ärzte glauben lieber den Beamten, als Bakary, verarzten ihn nur notdürftig. Vier Wochen sitzt er in Schubhaft, das Innenministerium will ihn weiterhin abschieben. Nur durch Zufall werden u.a. Medien und Manfred Nowak auf diesen Foltervorfall aufmerksam. Nach zähen Verhandlungen werden die WEGA-Polizisten schließlich zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt. Sie waren also keinen Tag für ihre Foltermaßnahmen im Gefängnis und dürfen ihren Job weiterhin ausüben. Auf eine Entschuldigung und finanzielle Entschädigung wartet Bakary bis heute.
Die Alltäglichkeit des Unfassbaren
Das Buch "Folter" ist Manfred Nowaks persönliches Statement gegen körperliche und seelische Misshandlung. Er setzt sich für die Menschenrechte der Schwächsten einer Gesellschaft ein. Es ist ein wichtiges Buch, spannend wie ein Krimi und traurig, wie nur die Realität sein kann.