Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "ESC und Sing for Democracy in Baku"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

17. 3. 2012 - 15:18

ESC und Sing for Democracy in Baku

Am 26.Mai findet in Baku der Eurovision Song Contest statt und eigentlich könnte man sich jetzt schon darauf freuen.

Fast alle Songs der teilnehmenden Länder sind ausgewählt und in diesem Jahr verspricht es besonders skurril und vielfältig zu werden. England hat den Senioren-Crooner Engelbert Humperdinck ins Rennen geschickt, der wird zwar im Mai schon 76 Jahre alt sein, ist damit aber längst nicht der älteste Teilnehmer.

Denn im russischen Vorentscheid konnte sich eine Gruppe von Großmüttern, die Babuschkas, gegen 24 Top Acts durchsetzen. Die fidelen Rentnerinnen mit den selbst gestrickten Wollsocken singen schon seit 40 Jahren zusammen. Gegen diese Seniorenpower wird es der doch recht blasse deutsche Teilnehmer Roman Lob schwer haben und vielleicht hätte Österreich im Zeichen von Diversity doch Conchita Wurst nach Baku schicken sollen?

Babuschkas

AP

Auch die Niederlande haben eine interessante Teilnehmerin ausgewählt, Joan Franka trägt einen imposanten Federschmuck der ihr den Spitznamen „Winnetou“ eingebracht hat. Bis Redaktionsschluss war leider nicht herauszufinden, ob es sich um eine Holländerin mit indianischen Wurzeln oder Migrationshintergrund oder eine indigene Sängerin mit holländischen Wurzeln handelt, oder ob mit dem Federschmuck und dem eingängigen Folksong "You and me" einfach so mal an die Landnahme der holländischen Siedler in der Neuen Welt erinnert werden soll? Man weiß es nicht.

Aber neben diesen vergnüglichen Aussichten gibt es auch weniger Schönes aus Aserbaidschan zu berichten. Regiert wird das Land von dem autoritären Präsident Ilcham Alijew, der wiederum in wenig demokratischen Wahlen im Jahr 2003 die Nachfolge seines Vaters Heydar als Präsident der südkaukasischen Republik antrat.

In den letzten Wochen gab es in der Berichterstattung einzelne Stimmen, die angesichts der undemokratischen Verhältnisse in Aserbaidschan einen Boykott forderten, andere hielten dagegen ginge es nach Menschenrechtsverletzungen, hätte man auch die Olympischen Spiele in Peking und einiges Andere boykottieren müssen.

Baku

BR

In Aserbaidschan haben sich nun mehr als 30 Organisationen zu der Bewegung „Sing for Democacy“ zusammen geschlossen. Sie wollen den ESC nutzen, um auf die Menschenrechtslage in ihrem Land aufmerksam zu machen. Letzten Freitag gab der Vorsitzende des Bakuer Menschenrechtsclubs (HRC), Rasul Jafarow, auf Einladung von "Reporter ohne Grenzen" eine Pressekonferenz in Berlin. Jafarow warf der Regierung von Staatschef Ilcham Alijew Menschenrechtsverletzungen und Einschränkung der Pressefreiheit vor. Nach Jafarows Angaben sitzen in seiner Heimat mehr als 60 Menschen aus politischen Gründen hinter Gittern.

Manche hatten den Präsidenten kritisiert, andere über Facebook zu Demonstrationen aufgerufen. Kritische Journalisten werden systematisch unter Druck gesetzt, Als jüngstes Beispiel nannte er den Fall der unabhängigen Journalistin Chadija Ismailowa. Sie hatte vor allem über Korruption im Staatsapparat und dubiose Geschäfte des Staatspräsidenten berichtet. In der vergangenen Woche gingen Ismailowa per Mail intimes Fotomaterial über sie und ein Drohbrief zu. Darin wird sie aufgefordert, ihre Recherchen einzustellen, andernfalls werde sie ernste Probleme bekommen. Im vergangenen November erstachen Unbekannte einen Mitarbeiter der Zeitung Sanat, der kritisch über das Land berichtet hatte.

An dieser Stelle geriet aber die Pressekonferenz in Berlin aus den Fugen, weil einige glühende Verehrer des aserbaidschanischen Systems, augenscheinlich von der Regierung geschickt, mit lauten Zwischenrufen protestierten, die einseitige Darstellung der Verhältnisse in ihrem Land anprangerten und Jafarow als Lügner bezeichneten.

Die Stimmung wurde zunehmend aggressiver, ein Gespräch unmöglich, aber diese Pressekonferenz ließ erahnen, wie viel Mut es braucht, ein totalitäres System öffentlich zu kritisieren. Jafarow machte klar, dass es nicht um einen Boykott des Wettbewerbs ging. .Statt dessen plant man eine Art
Zusatzfestival "Sing for Democracy" das in den Tagen vor dem Song Contest in Baku stattfinden soll.

Auch viele offizielle Teilnehmer des Song Contests hätten Kontakt mit “Sing for Democracy” aufgenommen und nachgefragt, was sie zur Unterstützung der Demokratiebewegung tun könnten.

Es geht also: Sich über den Song Contest in Baku freuen ohne die Augen vor den Verhältnissen im Land zu verschließen.