Erstellt am: 20. 3. 2012 - 10:43 Uhr
"Kein Feuer, das nicht brennt"
Alle von Fernweh geplagten stehen vor einem Dilemma: Sie wollen reisen, aber nicht als Touristen erscheinen. Doch der touristisch-industrielle Komplex hat eine Lösung parat, statt dem Pauschalangebot gibt es Maßanfertigungen und die Hotelburg wird zum Geheimtipp. Reisezeitschriften sind dafür die Appetitanreger und empfehlen den "Humboldt-Blick auf Teneriffa" oder den "Kräuterfrühling in Südtirol".
W., der Protagonist in Rayk Wielands Roman "Kein Feuer das nicht brennt", ist genau für solche Geschichten zuständig. Er ist Reisereporter für das angesehene Magazin International Geographical Revue.
kunstmann verlag
W.´s letzte Geschichte war überaus erfolgreich, eine Abenteuerreportage aus Nordkorea, gespickt mit Horrorszenen rund um den Tod einer amerikanischen Touristin und als Garnierung eine Golfpartie in der kommunistischen Diktatur. In den Reisebüros steigen die Anfragen für Reisen nach Nordkorea, Zeitschriften zitieren aus der Reportage und W. wird in Talkshows eingeladen um von seinen Erlebnissen zu berichten. Alles ist sauber recherchiert und wahrheitsgetreu geschrieben und trotzdem meldet jemand Bedenken an - die nordkoreanische Botschaft. Denn laut ihren Dokumenten ist W. niemals in die Volksrepublik eingereist.
"Wein predigen und Wasser trinken"
Der ersten Enthüllung folgen noch weitere. W. war weder in der Kalahari Wüste, noch in Khao Lak, Omsk oder auf den Wiener Weihnachtsmärkten, wo seine Reportagen spielen, nicht einmal in deren Nähe. W. hat seit zwanzig Jahren die Grenzen des ehemaligen Ostberlin nicht mehr verlassen.
Das Web, ein paar Reiseführer, Lexika und ein paar Telefonate haben ihm als Recherche gereicht um Authentizität herzustellen. Für weiterreichende Expeditionen als vom Schreibtisch zum Kühlschrank war er nicht zu haben. Im Gegenteil, W. missachtet diejenigen, die Eindrücke sammelten wie Existenzbeweise oder "Lebensbeteiligungszeugnisse". Und diejenigen, die immer alles nachprüfen müssten, ob nun Wanderdünen wirklich wandern oder ob Kapstadt am Kap liegt seien Zwangsneurotiker.
Rayk Wieland ist selbst gelernter Reisereporter und hat u.a. die Reihe Öde Orte herausgegeben.
Der Chefredakteur der International Geographic Revue ist diesbezüglich anderer Meinung und feuert W. wegen Betrugs, falscher Tatsachenbehauptung und Veruntreuung. Doch bis dahin hat W. schon einige Veränderungen durchmachen müssen. Einen Taxi-Unfall mit Joschka Fischer, einen Asylantrag in der nordkoreanischen Botschaft und ein Versteckspiel mit Agenten vom Auswärtigen Amt.
"Die Reisefreiheit ist immer die Reisefreiheit der anderen."
"Kein Feuer, das nicht brennt" ist voll von kuriosen Verhaltensweisen, absurden Zufällen und schrägem Humor, wie man es sich von Wieland, einem Autor mit Titanic-Hintergrund erwarten konnte. Schon in seinem ersten Roman "Ich schlage vor, dass wir uns küssen", hat er seinen LeserInnen eine absurde Geschichte mit wahrem Kern aufgetischt, die er diesmal weiterspinnt.
Wieland leistet aber auch anderes. Er verteilt Seitenhiebe auf den (Post-)Journalismus, der nur mehr als Korruptionsmaschine und Kopiermaschine fungiert und aus fünf, sechs Artikeln einen siebten fabriziert, statt sich auf die Suche nach neuen Geschichten zu machen. Vor allem arbeitet er sich aber an der Sprache ab, an der Phrasendrescherei in Leitartikeln und am unhinterfragten Übernehmen von Unwörtern wie "Sehenswürdigkeiten".
Bei aller Sprachkritik ist Wielands eigener Stil überaus verspielt. Seine Charaktere überbieten sich in Wortspielen und in der Schöpfung von Neologismen wie "Lebensabschnittsmüdigkeit". Über seine witzigen Dialoge schafft es Wieland auch, sein zentrales Thema locker zu präsentieren - Surrogate, Ersatzobjekte oder -handlungen, das tun Als-ob.
Der Allgemeine Verblödungszusammenhang
Die ganze Welt ist voll von Surrogaten, Journalismus, der nichts Neues bringt, Brot, das nicht nährt, alkoholfreies Bier oder eben Feuer, das nicht brennt. Kaminfeuervideos sind für den Protagonisten der Inbegriff der Surrogate, und die ziehen sich durch den ganzen Roman.
Wielands Protagonist begibt sich Mitte des Buches auf eine Reise, um zu sehen, ob die Realität den Surrogaten überlegen ist und lädt seine LeserInnen ein, sich auch eine Meinung zu Kaminfeuervideos zu bilden. Ob diese Einladung nun ernst gemeint ist oder nur Symbol für den "Verblödungszusammenhang" mögen die LeserInnen selbst entscheiden. Vom hässlichen Cover und dem noch schlimmeren Inneneinband sollen sie sich nicht abschrecken lassen, dahinter verbirgt sich zwar keine Weltliteratur, aber großartige Unterhaltung.