Erstellt am: 17. 3. 2012 - 18:11 Uhr
Wer ist Wilhelm Sasnal?
Das Haus der Kunst in München stellt im Moment zwei bedeutende Gegenwartskünstler aus: Den Fotographen Thomas Ruff und den Maler Wilhelm Sasnal. Thomas Ruff widmet man im Erdgeschoß des Hauses eine Retrospektive seiner Arbeiten. Als Konzeptfotograph, der sein Handwerk bei Bernd und Hilla Becher in Düsseldorf gelernt hat, eröffnen seine Fotographien das Feld der bildlichen Wiedergabe von Realität und Fiktion, Wahrheit und Interpretation.
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Bei Wilhelm Sasnal ändern sich die Vorzeichen der Kunst. Er ist Maler und geht so einem fast schon antiquierten Beruf nach. Sind Farben, Pinsel und Leinwand nicht anachronistische Überbleibsel des 19. Jahrhunderts? Irgendwo zwischen Portrait und Bürgerlichkeit, zwischen Perfektion und Suggestion bewegt sich der Künstler Wilhelm Sasnal. In seiner Retrospektive zeigt Sasnal, dass es mein Bild ist, das antiquiert daher kommt. Er ist ein Maler, der weitestgehend abseits der abstrakten Kunst zeitgenössische Themen auf- und verarbeitet. Sasnal schwimmt in der Bilderflut moderner und klassischer Medien mit. So wandelt er zum Beispiel das Foto der jungen Japanerin, eingehüllt in eine braune Decke, umgeben von einem Meer an Trümmern um. Ein Bild, das ob seiner Ikonographie um die Welt ging. Sasnal legt dazu zum Beispiel eine Sonic Youth Platte auf und malt, was er sieht. Interpretiert, was die Welt sieht. Er meinte zu Judith Schnaubelt: "I am not a pop artist." Richtig. Aber was ist der dann?
Wer ist Wilhelm Sasnal?
Zuerst einmal ist Wilhelm Sasnal sehr jung. 39 Jahre. Trotzdem ist er einer der bekanntesten polnischen Künstler. Seine Bilder werden für bis zu 150.000€ gehandelt. Be-handelt wird er deshalb wie einer der ganz großen Maler. Und die Größten, das sind die, die nicht mehr leben.
Die Ausstellung "Wilhelm Sasnal" ist noch bis 13. Mai im Haus der Kunst in München zu sehen.
Die Retrospektive eines jungen, international bekannten Malers im Haus der Kunst, eines Künstlers, der auch in London und New York ausgestellt wird, macht ein riesen Fass von Gegensätzen aus: Farben und Jugend im Haus des Nationalsozialismus, politische Kirchenkritik und popkulturelle Künstlerportraits, Indipop-Alben-Ästhetik und Gaddafi im Leichenschauhaus. Wenn Sasnal sagt, er wäre kein Popartist, so kann man es unterschreiben, denn er ist ein Künstler, der sich aus dem niemals enden wollenden Informationsstrom nährt, daraus seine Motive zieht und verarbeitet. Bürgerlichkeit und Kunst der Künste willen zählen für Sasnal nicht:
"Malerei ist kein Spiel, nichts, was man nur zum Spaß tut; sie verlangt eine Verantwortung, die ich sehr ernst nehme." W. Sasnal (Haus der Kunst)
Pop ist Geschichte und Geschichte ist Politik, die durch Menschen lebt. Sasnal malt ausschließlich Öl auf Leinwand, sehr gerne doppeldeutig, noch lieber politisch und allzu oft kritisch. Das Verhältnis zur in Polen immer noch starken katholischen Kirche ist ein nicht enden wollender Quell seiner Inspiration. Sie fördert Wut und so Kreativität. Für Sasnal verhindert die Kirche die persönliche Entwicklung, verhindert Demokratie, verhindert Selbstbestimmung.
Haus Der Kunst
Gaddafi neben Tsunami mit Art Spiegelman
Malt er auch deswegen Muamar al Gaddafi, den ehemaligen Herrscher Libyens, wie er auf einer schmutzigen Matratze aufgebahrt liegt, von Menschen mit Handykameras umringt, die ihn abfotografieren, sich an seiner entstellten Leiche laben? Man sieht keine Gesichter in diesem Gemälde, nur Beine, nur den abwertenden Blick nach unten, verzerrt durch den Bildschirm eines Handys. Visuelle Wahrnehmung 2.0. Als überzeugter Demokrat und Europäer braucht es die permanente Erinnerung an die Absurdität des Krieges, an die Unnachvollziehbarkeit menschlichen Handelns.
Wie wenig sich der Mensch als ratio-beseeltes Wesen gezeigt hat, ist Sasnal auch durch die jüngere und jüngste Geschichte Polens bekannt. Der Sozialismus, den er noch erlebt hat, war ein Produkt der aufoktroyierten russischen Staatsräson für Osteuropa. Ein Resultat des Zweiten Weltkrieges. Beides Motive seiner Arbeit.
Wilhelm Sasnal
Malerei hat Verantwortung
Aus Polen kommt eines der wichtigsten Werke in der alternativen Geschichtsschreibung, weil es eine persönliche Erzählform über den Holocaust ist: Der Künstler Art Spiegelman, Sohn polnischer Auswanderer, hat die Geschichte seines Vaters Wladek in dem weltberühmten Comic "Maus- A survivors tale" (dt. Maus- Mein Vater kotzt Geschichte aus) verarbeitet. Wladek Spiegelman hat als polnischer Jude Auschwitz überlebt und ist in die USA migriert. Sein Sohn Art Spiegelman nähert sich den Verbrechen und Geschichten Mitteleuropas über die Lebensgeschichte seines Vaters. Er wählt dafür den Comic: Mäuse sind darin die polnischen Juden, deutsche, das sind Katzen, die Polen sind Schweine. Der Comic wurde in zwei Teilen 1986 und 1991 in den USA veröffentlicht und brachte Spiegelman 1992 den Pulitzer Preis ein. Das wegweisende Werk wurde erst letztes Jahr ins Polnische übersetzt und hat bei der Veröffentlichung eine tiefgreifende Diskussion ausgelöst. Polen waren auf einmal nicht mehr nur Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch Täter. In der Ausstellung greift Sasnal genau das auf: Schwarz-weiß und bedrückend sehen wir Lagerbetten und eben auch ein wohlgenährtes Schwein. Einen polnischen Kollaborateur mit den Katzen, den deutschen Besatzern.
Sträucher sind Stacheldraht, Farmen werden Lager
Im letzten Raum dann hängt das größte Gemälde Sasnals. Es ist auch das aktuellste: Pigsty, 2011. Tiefgrün, moosig und abstoßend ist die Umgebung der Pigsty, der Schweinefarm. Der Himmel ist tief grau und drückend. Dazwischen eingeklemmt: die Farm, umgeben von schwarzem Gebüsch. Es gleicht einem Stacheldraht. Die Farm einem Lager. Ich denke: Haftanstalt, dann natürlich: Konzentrationslager. Sofort kommt mir der gemästete Schweinsköpfige Pole in den Sinn: Ein Konzentrationslager in Polen züchtet diese Kreaturen: Mitläufer, Kollaborateure, Nutznießer: in industrieller Massenware gefertigt. Die Schweinefarm als modernes Lager in unserer Zeit.
Haus Der Kunst
Die Frage ist nicht mehr: Wer ist Wilhelm Sasnal, sondern was macht Wilhelm Sasnal? Zu aller erst macht sehr er vieles richtig. Mit politischer und aktueller Malerei, in bestechender Ästhetik und philosophischer Tiefe bespielt er die aufgeladenen Räume des "Haus der Kunst" meisterlich. Und das noch bis 13. Mai 2012