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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

15. 3. 2012 - 16:11

Revolution 2.0

"Geschichte wird nicht im Internet, sondern auf der Straße geschrieben", meint Wael Ghonim, der die Revolution in Ägypten maßgeblich via Facebook organisiert hat.

Der Guardian zeigt das Video mit englischen Untertiteln

Das Video wurde in vielen internationalen Medien gezeigt: Ein junger Mann wird in einem arabischen TV-Sender interviewt. Er ist am selben Tag aus der Haft entlassen worden. Als ihm Fotos von jungen Ägyptern gezeigt werden, die alle bei den Demonstrationen gestorben sind, bricht er zusammen und verlässt weinend die Livesendung. Der junge Mann ist Wael Ghonim. Über seine Erfahrungen bei der Ägyptischen Revolution hat er nun ein Buch geschrieben.

Vor der Revolution

Former Google executive Egyptian Wael Ghonim addressing a crowd on Tahrir Square in Cairo, Egypt

EPA/KHALED EL FIQI

Wael Ghonim

Wael Ghonim wurde 1980 geboren. Seit seiner Geburt ist Mubarak an der Macht. Seit seiner Geburt gilt das Notstandsgesetz. Das erlaubt den ausführenden Behörden, "jeden Ägypter ohne richterlichen Beschluss, Rechtsgrundlage oder gar Anspruch auf eine Anwalt zu verhaften, zu verhören und bis zu sechs Monate gefangen zu halten. Es ermöglicht den Behörden ebenfalls, alle Arten von Protest sowie jegliche Versammlungen von Menschen ohne Genehmigung zu verbieten."
Wael Ghonim ist nicht besonders politisch interessiert. Warum auch? Wie alle kennt auch er Leute, die grundlos von der Polizei gefoltert wurden.
Stattdessen widmet er sich voll und ganz seinem Job: nach seinem Studium (Computerwissenschaften, Marketing und Finanzen) arbeitet er bei seiner Traumfirma - bei Google, als Marketingchef für die Nahostregion.

Am 6. Juni 2010 wurde in Alexandria der junge Ägypter Khaled Said von zwei Polizisten brutal zu Tode geprügelt. Die Fotos von dem entstellten Toten hat dessen Familie veröffentlicht, um gegen das Verbrechen anzuklagen. Hätte es diese Fotos nicht gegeben, wäre der Fall nicht weiter beachtet worden. Den Polizisten wäre nichts passiert und alles bestens, alles Alltag.

Die Seite gibt es auch auf Englisch:
facebook.com/elshaheeed.co.uk

Auch Wael Ghonim hat diese Fotos im Internet gesehen und war so schockiert, dass er handeln wollte. Er hat eine Facebookgruppe angelegt mit dem Namen "Wir sind alle Khaled Said". Auf dieser Seite wurde damals zu stillem Protest aufgerufen. Menschen in schwarzen T-Shirts stellten sich schweigend ans Meer oder an Straßen.

Ägypter in Schwarz

Youtube.com

Still aus dem Youtube-Video von eleathy

Die Seite war äußerst erfolgreich, es fanden Diskussionen statt, Informationen wurden ausgetauscht, die beiden Polizisten mussten schlussendlich vor Gericht.

Die Seite wurde zu einem Hoffnungsschimmer für die Facebookgeneration. Hier konnten sie diskutieren und Ungerechtigkeiten aufzeigen. So wurde über auch über den Anschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria am 1. Jänner 2011 diskutiert. Vielen war klar, dass das Regime hinter diesem Anschlag mit mehreren Toten steckte. Und wieder wurde ein stiller Protest überlegt.

Zeitgleich war die Revolution in Tunesien in vollem Gange und der Community war klar, dass auch für sie die Zeit reif für eine Revolution war.

Ägypter und Ägypterinnen in Schwarz

Youtube.com

Still aus dem Youtube-Video von eleathy

Für den Nationalfeiertag am 25. Jänner 2011 war die große Demonstration geplant. Die Organisation war enorm - niemand wusste, wie viele Menschen teilnehmen würden, wie die Sicherheitskräfte reagieren würden, was mit den Demonstrierenden passieren würde. Der Admin der Website informierte genau, organisierte Fotografen und stellte Leitlinien für das Verhalten auf den Kundgebungen online "der Protest musste friedlich sein, die Losungen mussten einheitlich gerufen werden und die Teilnehmer mussten darauf verzichten, für politische Parteien oder Gruppen zu werben."

Der Admin war anonym, nur eine Handvoll Leute kannten ihn.
Der Admin hatte aber auch Angst vor dem großen Tag. So löscht Wael Ghonim vorausblickend vertrauliche Daten und Adressen und bereitet schon mal das SMS vor "Ich werde verhaftet", das er im Ernstfall mit einem Tastendruck abschicken kann ...

Jan25

buchcover revolution 2.0

econ verlag

Wael Ghonim: Revolution 2.0. Wie wir mit der ägyptischen Revolution die Welt verändern. Econ Verlag 2012

Die Demonstration ist ein voller Erfolg.
Wael ist von der Menschenmenge am Tahrir Platz überwältigt. Noch auf dem Platz beginnt er, die nächste Demo am 28. Jänner zu organisieren. Die Euphorie des Tages wird am Abend jäh zerstört - als die Sicherheitskräfte die Demonstranten mit Tränengas und Gummigeschoßen vertreiben wollen. Und es nach einer langen Nacht auch schaffen.

Nach der Revolution

Am 27. Jänner 2011 wird Wael Ghonim verhaftet. Er gesteht, dass er der Administrator ist. Die Polizei ist überzeugt, dass die Demonstrationen von einer ausländischen Organisation ausgehen. Sie können nicht glauben, dass es junge Ägypterinnen und Ägypter sind, die Mubarak und das Regime stürzen wollen.

Nach zwölf Tagen und mehreren vergeblichen Gehirnwäschen wird Wael freigelassen. Euphorisch hält er eine Rede auf dem Tahrir Platz und gibt am selben Abend ein Interview bei einem TV-Sender. Mehrfach erklärt er dort, kein Verräter zu sein, aber auch nicht der Held der Revolution. Es kommt zu den Anfangs beschriebenen Szenen.

Wael Ghonim kämpft weiter, bis Mubarak zurückgetreten ist. Mit diesem Tag endet sein Rückblick.

Wie wir mit der ägyptischen Revolution die Welt verändern

Das Times Magazin hat Wael Ghonim zu den "World's 100 most influential people in 2011" gewählt.

Das ist der ebenso vielversprechende wie irreführende Untertitel der deutschen Übersetzung. "The power of the People is Greater Than the People in Power: A Memoir." heißt es viel treffender in der Originalausgabe.
Schade auch, dass Wael Ghonim nicht müde wird zu erwähnen, wie großartig doch sein Unternehmen Google ist. Klar, die haben ihm geholfen, haben Inserate geschalten, während er in Haft war. Aber auch klar, dass er vom Marketing kommt und sehr gut weiß, wie Werbung funktioniert.
Nichtsdestotrotz ein bemerkenswerter Erfahrungsbericht von einem mutigen jungen Mann.

Bleibt die Frage, was sich nach der Revolution getan hat. Welche Bedeutung Wael Ghonim und seine Seite "Wir sind alle Khaled Said" in Ägypten derzeit hat. Eine Antwort darauf gibt u.a. Karim El Gawary bei der Diskussionsrunde "Quadriga". Die findet heute im Palais Epstein in Wien statt. Beginn ist um 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.