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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

10. 3. 2012 - 14:02

Von Männern, für Männer

Marines im Krieg oder Models im Kleiderschrank? Mainstream-Videospielen fehlt es an Zwischentönen und heterogener Autorenschaft.

Es gibt Geschichten, die sich Männer von Frauen erzählen lassen müssen. Andernfalls lebt man als Mann weiterhin naiv im Glauben, dass eh alles leiwand, fair, ausgeglichen und ohne Sexismen und Vorurteile wäre. Erst letzten Sommer hat eine Videospielkultur-Kollegin aus Wien bei der Publikumsmesse Gamescom in Köln eine unglaubliche Situation erlebt. Sie steht bei einem dieser vielen Jubelstände, wo Koffein-getränkte "Moderatoren" lustige Bühnenspiele abhalten und Merchandising-Gegenstände verlosen. Irgendwie ist sie kurz darauf auf der Bühne gelandet und es kam die - aus der Perspektive des Bühnenschreiers - gewöhnliche Frage: "Wo ist denn dein Freund?" Auf die schlichte Antwort, dass es keinen Freund gäbe und sie alleine hierher gekommen wäre, war der Typ daraufhin für kurze Zeit außer Gefecht gesetzt und hat die Welt nicht mehr verstanden.

Das Buchcover von "Rise of the Videogame Zinesters", bestehend aus vielen kleinen Pixelgesichtern und -figuren, in den Farben Gelb und Pink.

Seven Stories Press

Videospiel-Communities hinken anderen Popkultur-Gemeinschaften hinterher, wenn es um reflektierte Genderwahrnehmung und -darstellung geht. Der Ursprung dafür liegt im ehemals exklusiven Zugang zu Computern begründet. Die queere Game Designerin und Autorin Anna Anthropy beschreibt das in ihrem gerade erschienenen Buch "Rise of the Videogame Zinesters" recht eindringlich. Computerspiele entstanden in US-amerikanischen Eliteunis, wo sie von jungen, männlichen Technik-Studenten geschrieben und gehackt wurden. Die Mitglieder dieser Community hatten meist die selben Interessen: Pen-and-Paper-Rollenspiele, Science Fiction, Modelleisenbahnen und technische Themen im Allgemeinen. Bis heute schwingen die Persönlichkeiten dieser ursprünglichen Spieleentwickler, ihre Herkunft und ihre Vorlieben in Games mit. Der gestalterische Stempel anderer gesellschaftlicher Gruppen und ihre Blickwinkel sind bis heute in der Minderheit. Anna Anthropy fordert deshalb eine heterogenere Autorenschaft, die nur mit einer Demokratisierung der Spieleentwicklung einhergehen kann. Dank Internet und auch für Laien gut zugänglichen Entwickler-Tools wird es tatsächlich immer plausibler, dass diese Forderung langsam, aber beständig in die Realität umgesetzt werden wird.

Gegenwärtig ist das Angebot an Videospielen, die neue Wege beschreiten, freilich noch gering. Von Frauen gestaltete Spiele sind rar. Für und von Minderheiten geschriebene Games, die deren Lebenswelten darstellen, sind kaum existent. Ebenso fällt es offenbar weiterhin (finanziell) schwer, emotionale, zwischenmenschliche, gesellschaftliche, soziale und politische Konflikte und Entwicklungen als digitale Spiele aufzugreifen. Ist es dann doch mal soweit, neigt man als Enthusiast/in dazu, gescheiterte Versuche in diese Richtung schon aufs höchste Podest zu heben, wie es kürzlich etwa anlässlich der Europa-Veröffentlichung des durchwachsenen japanischen Beziehungsdrama- und Alptraumkletterspiels "Catherine" in einigen Texten der Fall war.

Virtuelle Abzeichen in runden und eckigen Varianten, darauf stehen Dinge wie "Vogue", "Alexander", "Denim" oder "Ethicista".

Robert Glashüttner

Game Designerin Paulina Bozek, die "SingStar" miterfunden hat, will nun das Modefaible weiblicher Teenager via dem Game "Closet Swap" in ein Spiel umwandeln und so Aufmerksamkeit für nachhaltige Mode schaffen.

Dass sich die Rollenverteilungen und Interessen von Männern und Frauen in Gamer-Communities Klischées unterordnen, ist eine Konsequenz der einfältigen Darstellungen von sozialen und zwischenmenschlichen Situationen in Videospielen. Wer im Mainstream lebt und die vielen erfreulichen Indie-Spiele im Untergrund nicht kennt, kann, grob gesagt, nur zwischen dumpfen Testosteronbomben à la "Gears of War" (männlich) und obszönen Dress-up- und Castingshow-Rollenspielen in Pink und Glitzer (weiblich) wählen. Wer dabei nicht aktiv über sich selbst und sein eigenes Wirken im Spiel und in der Gesellschaft nachdenkt, übernimmt diese Klischées und die in den Spielen dargestellten Mann- und Frau-Schablonen oft unbewusst. Videospielen fehlen Zwischentöne und dieser Umstand treibt Zielgruppen und Geschlechter auseinander. Aber immerhin: Zu den wenigen Games, die sich millionenfach verkauft haben und genderneutral gestaltet sind - Unisex-Dauerbrenner wie "The Sims" oder "Tetris" - ist neuerdings auch "The Elder Scrolls V: Skyrim" hinzugekommen, das von vielen Frauen gerne gespielt wird - ohne Anstupser und Hinleiten von Boyfriend oder Bruder.

Bei der gerade zu Ende gegangenen Fachkonferenz "Game Developers Conference" (GDC) in San Francisco war ebenfalls ein leichter Rückgang vormaliger Geschlechtsrollenklischees bemerkbar. Frauen sind als Besucherinnen zwar immer noch eindeutig in der Minderheit, die, die da sind, sind aber nicht von Männern mitgeschleppte, gelangweilte Freundinnen, sondern Studentinnen, Grafikerinnen, Designerinnen und Lehrende von internationalen Unis. Zu sehr sollte man das Wesen der GDC-Besucherinnen aber nicht auf die Allgemeinheit hochrechen - immerhin handelt es sich um eine Fachkonferenz und keine öffentlich zugängliche Messe für Konsumenten.

Besucher/innen der GDC fahren und gehen in der Schlange von der Rolltreppe hinaus aus der Veranstaltungshalle.

Robert Glashüttner

Eine ambivalente Abbildung von Videospielen, die andere Wege einschlagen und Frauen als Games-Gestalterinnen, bringt die Dokumentation "Indie Game: The Movie". Der Film wurde auf der GDC und in einem Kino in San Francisco in gesteckt vollen Sälen insgesamt drei Mal ausgestrahlt und erzählt die Geschichte von vier unabhängigen Videospielentwicklern auf ihrem Weg, einen Lebenstraum zu erfüllen - ein selbst gemachtes Game zu erstellen und zu veröffentlichen. Die porträtierten Protagonisten sind durchgehend Männer: Phil Fish ("FEZ"), Jonathan Blow ("Braid") und Edmund McMillen und Tommy Refenes ("Super Meat Boy"). Die einzige Frau im Spiel ist keine Entwicklerin, sondern McMillens Freundin, die durch die emotionalen Höhen und Tiefen ihres Mannes mit fiebert. Auf die Frage, warum das Geschlechterverhältnis im Film so unausgeglichen ausgefallen ist, antwortet Co-Autorin und Filmemacherin Lisanne Pajot im FM4-Interview, dass man lange gesucht, aber während der Dreharbeiten keine Frau gefunden hätte, die ein Game in der Mache hatte und die ins Konzept gepasst hätte.



Games können nicht nur Klischees transportieren und verstärken, sondern im Gegenteil Mädchen und jungen Frauen Stereotypen und soziale Fallen vor Augen führen. Das Potenzial zur gesellschaftspolitischen Vermittlung ist ebenso groß wie bei Musik, Film, Literatur oder klugen Popstars. Es wird oft von der Verantwortung gesprochen, der sich die Spieleindustrie in Bezug auf Gewaltinhalte in Games stellen muss. Diese Diskussion läuft ohnehin seit Jahren. Jetzt wäre es an der Zeit, sich um die Darstellung von Menschen, Mädchen und Burschen, Männern und Frauen, ihren Rollen, Werten und Tätigkeiten in Spielen zu stellen.