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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

12. 3. 2012 - 16:27

Dödelfleisch mit Soße

Magisches Sperma und Scheidensekret als Superkleber: in der Porno-Utopie "Haus der Löcher" ist nichts unmöglich.

Buchcover

Rowohlt

Haus der Löcher von Nicholson Baker ist im Rowohlt Verlag erschienen

Vor ein paar Jahren ging ein Aufschrei durch die deutsche Kulturlandschaft: eine junge Frau Charlotte Roche hatte es sich herausgenommen, ein ganzes Buch über ihre Intimzonen zu verfassen. Wer ihre „Feuchtgebiete“ schon nicht verdauen konnte, der sollte sich von Nicholson Bakers Roman gleich ganz fernhalten. Denn darin stecken sich Männer und Frauen etliche Dinge in alle verfügbaren Körperöffnungen. Passenderweise heißt sein Kompendium dieser erotischen Eskapaden dann auch „Haus der Löcher“.

Ned hielt sich den Schwanz an den Bauch und stellte sich ein bisschen breitbeinig hin, damit Tendresse, die noch immer den Schal um die Augen hatte, an seinen Eiern riechen konnte. Sie machte mehrere lange Schnüffelgeräusche. „Mmmmm, warmer Granit, Lagerfeuer, Fängerhandschuhe, Knetmasse, wattierte Umschläge. Sehr subtil. Ich glaube, ich weiß eine gute Frau für dich.“

Die Muschipflaume am Mösending

Willkommen im „Haus der Löcher", einer utopischen Sex-Welt, irgendwo zwischen Psychoklinik und Swingerclub, in der alle brunftig und willig sind. Männer wie Frauen. In diesem Roman verausgaben und entleeren sie sich immer wieder, Kapitel für Kapitel. Mit sexueller Wirklichkeit will das „Haus der Löcher“ nichts zu tun haben. Dort ist die Lust befreit von Schuld- und Schamgefühlen.

Autor Nicholson Baker ist Mitte fünfzig und hat sich bereits in seinem Telefonsex-Protokoll „Vox“ an intellektueller Pornografie versucht. Zwischen den Buchdeckeln seines aktuellen Romans hausen skurrile Sex-Fantasien: von abgetrennten Armen, die Frauen befriedigen und mit Fischfutter am Leben gehalten werden können. Von Männern, denen die Köpfe abgetrennt worden sind, damit sie sich beim Sex auf das Wesentliche konzentrieren können. Von zwei russischen Dirigenten, die sich mit Frauenbeinen befriedigen.

Borodin und Rimski-Korsakow walkten ihre Waden und machten an ihren Zehen irrwitzige Schwanzsachen. „Mein Penis kommt gleich!“, ächzte Borodin. „Meiner kommt auch!“, sagte Rimski-Korsakow. „O Gott, Chuck, lange kann ich das nicht mehr aufhalten“, sagte Luna. „Stopf mir dein Fickvieh in den Mund!“ Sie rieb ihre Muschipflaume an dem Mösending und hob die Hüften an, um die Spannung zu halten. „Nnnnng-aaaaa!“ Sie ließ die Orgasmuswelle über sich niederbrechen, und da spürte sie auch schon zwei heiße Stöße weißen russischen Samens an ihre Zehen nieseln.

Nicholson Baker

Rowohlt

Nicholson Baker, Jahrgang 1957, wird 1992 mit seinem Telefonsex-Roman "Vox" bekannt. Seine Geschichten greifen aber nicht nur sexuelle, sondern auch politische Wirklichkeiten auf und verfremden sie: in "Checkpoint" (2004) beschreibt er einen geplanten Mordanschlang auf George W. Bush. Nicholson Baker lebt mir seiner Familie in Maine.

Im Disneyland der Körpersäfte

Dödelfleisch und Lippenfleisch, Schwanzpfahl und Luderschlitz. Übersetzerin Elke Schönfeld greift tief in den Metapherndschungel, um die wilden Sprachgebilde von Nicholson Baker ins Deutsche zu retten. Bei aller verspielten Versautheit der Sprache ist „Haus der Löcher“ ein erstaunlich unschuldiger, fast infantiler Porno-Roman geworden. Sexualität ist darin nicht gefährlich, was auch bedeutet, dass man nicht darüber nachdenken muss.

Hier soll man sich ganz den Ideenwelten des Autors hingeben, in dieses Disneyland der Körpersäfte einziehen. Altmodisch anrüchig ist dort nichts mehr, eher schon klinisch steril. Die Leidenschaften werden ebenso vermessen wie die Genitalien, Körper werden auseinander gebaut und neu zusammengesetzt.

Je mehr Porno wir aus der Welt herausgesaugt haben, desto größer ist das Monster geworden“, sagte er. „Das hatten wir so nicht vorausgesehen. Natürlich dachten wir, es könnte kleine, spontan generierte Anomalien geben. Aber das hier – das hier ist eine Personifizierung des Polymorphen, wie sie die Welt der menschlichen Leck-Fickerei noch nicht gesehen hat.“ In dem Moment fuhr ein mächtiger Arm aus der öligen Flüssigkeit, und eine riesige Hand griff einfach so in die Luft. Am Unterarm baumelten fünf Penisse – es sah aus wie ein bizarrer Dudelsack. Die Hand war ein Klumpen aus einem halben Dutzend Vaginen.

Das „Haus der Löcher“ ist allein deshalb einen Besuch wert, da es nach Henry Miller und Anais Nin kaum mehr gute Porno-Literatur gegeben hat. Befriedigt geht man daraus allerdings kaum hervor: zu infantil und steril schreibt Nicholson Baker sein Sex-Utopia herbei. Spaß macht dieser Roman trotzdem: und sei es nur wegen Sätzen wie diesem:

Sein Schwanzzug pendelte in ihrem Muschiloch, füllte und leerte es im Wechsel, und sie war hin und weg.