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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

8. 3. 2012 - 20:10

Spiele machen und viel mehr

Die Fachtagung Game Developers Conference in San Francisco ist eine der ergiebigsten Videospielveranstaltungen überhaupt.

Die drei großen Hallen des Moscone Center in San Francisco, in denen die fünftägige Game Developers Conference (GDC) stattfindet, sind jeweils durch mindestens eine Straße voneinander getrennt. Zwischen Nord- und Südhalle kann man auch unterirdisch wechseln, will man aber von der West- in die Nordhalle, ist der Weg über den breiten Zebrastreifen unvermeidlich. Die Marketer und Marktschreier wissen das und stellen so an die ohnehin schon verstopften Straßenecken Energy-Drink-Hostessen, Student/innen in Tierkostümen und laute Zettelverteiler. Passanten könnten glauben, dass hier ein Stadtfest oder ein Musikfestival abgehalten würde.

Dabei ist die GDC eine teure und hochprofessionalisierte Fachkonferenz, bei der sich aufstrebende Games-Entwickler/innen inspirierende Vorträge, lehrreiche Workshops und lukratives Networking erhoffen. Doch was wären die USA ohne ihr Entertainment und was wäre eine Veranstaltung einer Entertainment-Industrie ohne gebührende Show.

Wie jedes Jahr besteht die GDC aus mehreren Subtagungen, die sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten innerhalb der Industrie beschäftigen. Jede Veranstaltung ist in eine Kategorie eingeteilt: Game Design, Programmierung, Business, usw. Es gibt zwei Ausstellerhallen, eine Award-Show und Zusatzveranstaltungen, wie dieses Jahr etwa ein Screening der Filmdokumentation "Indie Game: The Movie". Die Wucht an Angeboten als Einzelperson in ihrer Gänze wahrnehmen zu wollen, ist von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Deshalb ist bei der Game Developers Conference das Gegenteil von Stress ratsam: Zurücklehnen, das Programm durchsehen und sich fragen, was man sich denn wirklich, wirklich gerne ansehen und -hören möchte.

GDC-Besucher/innen suchen auf einem großen Tisch ausgebreitete, große, flache Tafelmagneten aus. Darauf sind einzelne Worte oder Wortteile geschrieben.

Robert Glashüttner

Vielleicht damit beginnen: Mit übergroßen Kühlschrankmagneten sollen abstruse Spielenamen für fiktive Games erstellt werden. Das ganze nennt sich "Super Magnetic Game-O-Matic", ausgedacht hat es sich das Game-Art- und Werber-Kollektiv iam8bit aus L.A.

Prinzipiell ist das Wechseln zwischen den einzelnen Summits und Schwerpunkten jederzeit fließend möglich und erwünscht. In der Praxis ist es aber so, wie beim Leben in einer Großstadt nach dem ersten Jahr: Man bleibt aus Bequemlichkeit und Vertrautheit in seinem Grätzel. Das kann auch Vorteile haben: besserer Fokus, Konzentration aufs Wesentliche. Manche Workshops sind ganztägig angelegt, so dass man erst gar nicht in Versuchung eines Vortragsfleckerlteppichs kommt. Besonders beliebt: Ganztägige Entwickler-Tutorials, angeboten von Facebook oder Google.

Bei den Vorträgen sticht in diesem Jahr vor allem die Beschäftigung mit dem immer größer werdenden Markt der Smartphone- und Tablet-Games hervor. Viel Angebot gibt es auch zu der umfassenden Frage, was Videospiele über Unterhaltung und reinen Selbstzweck hinaus noch so leisten können. Aus der ehemals Marketing-getriebenen "Gamification" (mittlerweile ein Unwort innerhalb der Branche) wurde nun "Game IT", wo man sich die Frage stellt, wie man Strukturen, Systeme und personelle Prozesse innerhalb von Unternehmen mit Videospielmechaniken optimieren kann. Auch heiß: "Games for Change", die ehemaligen Serious Games, wo politische und soziale Probleme und Situationen über Spiele dargestellt und erlebbar gemacht machen sollen.

Der Videospielbaukasten "game-o-matic". In einer grauen Fläche befinden sich mehrere Piktrogramme, denen man mittels Linien Verhältnisse zuweisen kann.

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Noch ein "Game-O-Matic", diesmal aber mit einem anderen Ziel: Hier sollen News-Meldungen durch experimentelle Minispiele dargestellt werden. Dazu stellt man einige Dinge und Menschen mit Verben zueinander in Beziehung und klickt dann auf "Generate Game".

Bei der Smartphone-und Tablet-Tagung herrscht noch viel Unklarheit darüber, welches Geschäftsmodell dieser Markt verfolgen und wie PR-Arbeit zielführend vorangetrieben werden soll. Eine geordnete Antwort auf etwa den Software-Wildwuchs in Apples "AppStore" ist immer noch nicht gefunden. Auch bei der Zukunft der Systeme gibt es mehr Frage- als Rufezeichen. Soll man bei iOS bleiben oder doch eher früher als später auf Android und Windows Phone aufspringen?

Ein Vortragsgast auf der GDC, er trägt ein blaues T-Shirt, auf dem "Jetpack Joyride" steht.

Robert Glashüttner

Einer, der viel über Erfolgsgeschichten am Smartphone erzählen kann: Luke Muscat von Halfbrick Studios berichtet über den Werdegang und die Update-Philosophie des Spielehits "Fruit Ninja".

Selbst wenn die Aufmerksamkeit auf das eigene Smartphone- bzw. Tablet-Game gelenkt ist, sind sich die Entwickler und Geschäftsleute uneinig darüber, wie man diese Spiele dann möglichst lukrativ verkaufen soll. Das Preisniveau in diesem Segment ist (für den Konsumenten erfreulich) niedrig, deshalb versuchen viele Firmen, ihre Kunden nicht nur einmal - beim Kauf - zur Kasse zu bitten, sondern später weitere Male, nämlich dann, wenn man neue Inhalte im Spiel freischalten möchte. Dieses sogenannte "Freemium"-Model (ein Bastard aus den Worten "Free" und "Premium") ist allerdings oft undurchsichtig, verwirrend und in letzter Konsequenz auch unsympathisch. Deshalb ist Vorsicht geboten, damit man ein Freemium-Modell nicht so designt, dass man mehr Kunden abschreckt als anlockt.

Einer, der sich um zu wenig Sympathie keine Gedanken machen muss, ist der New-Media-Künstler und Game Designer Zach Gage. Der New Yorker ist bei der Gestaltung seiner Spiele ebenso schlau und bedacht wie als Person ruhig, pointiert und bescheiden. Seine iOS-Spiele wie "Bit Pilot" und "SpellTower" sind kleine Hits. Trotz des künstlerischen Anspruchs steht Gage auf Präzision im Game Design. So spricht er bei der GDC über die taktilen Notwendigkeiten beim Erstellen eines Spieleinterfaces für Touchscreen-Geräte.

Zach Gage spricht auf der GDC. Er trägt ein weißes T-Shirt und ein grünes Bandana.

Robert Glashüttner

Zach Gage

Geht es um Persönlichkeit und Design-Philosophie, wäre Zach Gage auch im Indie-Sektor der Game Developers Conference gut aufgehoben. Wie immer sind die Freigeister der GDC eng im Veranstaltungsprogramm verwoben: An den ersten beiden Tagen gibt es Indie-Vorträge, danach werden die für den "Independent Games Award" nominierten Spiele und ihre Designer in der Messehalle vorgestellt. Am Mittwoch Abend ging die dazugehörige Award-Veranstaltung über die Bühne. Wer gewonnen hat, kann man in der offiziellen Pressemeldung lesen.

Ein Vortrags-Slide, auf dem "Fuck you, we will make whatever we want" steht.

Robert Glashüttner

Die Auftritte der Indies bringen neben gegen den Strich gebürsteten Spielideen und viel Dagegensein auch die neuesten Bartmoden und gepflegte Selbstzweifel. Wir lieben, was wir machen; wir machen, was wir wollen; aber interessiert das überhaupt jemanden? Dabei ist der Output und die Dynamik der unabhängigen Spielemacher ungebrochen, unter anderem wegen immer besserer Software-Werkzeuge, funktionierendem Crowdfunding, gut zugänglicher Systeme, auf denen man veröffentlichen kann und nicht zuletzt dem starken Zusammenhalt der Szene.

Ein Slide aus dem Indie Game Summit, auf dem steht: "Torture I would never inflict on a player: Any kind of tutorial. Any kind of intro movie. Any kind of explanation".

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Indie-Game-Designer Bennett Foddy schreibt gerne alles in Großbuchstaben und schätzt Spiele, die einem nichts vorkauen.
Die Messestände des Independent Games Festival. Besucher stehen ringsum um kreisförmig angeordnete Computerspielstände.

Robert Glashüttner

Großer Andrang bei den Spieleständen des Independent Games Festival.

Aus- und Weiterbildung innerhalb der Videospielwelt ist ein weiteres Thema, das den GDC-Veranstaltern seit Jahren wichtig ist. Erfreulicherweise präsentieren sich dabei nicht nur die üblichen Studien- und Lehrangebote, die sich auf Programmierung und Game Design spezialisieren, sondern etwa auch Vorschläge und Ideen zur akademischen Aufarbeitung von Videospielgeschichte. Dabei wird mit einigen bisher unüberlegt praktizierten Methoden gebrochen, etwa, dass die US-amerikanische Games-Geschichte nicht auf den Rest der Welt übertragen werden darf oder es wenig zielführend ist, bei jungen Studierenden einen umfangreichen Spielekanon vorauszusetzen.

Ein Präsentations-Slide, auf dem steht: "You cannot cover the essential games - give up! We need a different approach to game history: essential viewpoints".

Robert Glashüttner

Die bunte Mischung aus Geschäftsleuten, Studierenden, Spieler/innen, Journalisten, unabhängigen Jungunternehmern, erfahrenen Industrieexperten und spezialisierten Akademiker/innen macht die Game Developers Conference zu mehr als nur einem wichtigen Branchentreffen. Die große Bandbreite der Besucher beweist das hohe Potential, den internationalen Charakter und die interdisziplinären Stärken von Videospielkultur und Videospielentwicklung. Schade, dass die GDC nicht für Interessierte außerhalb des Fachpublikums zugänglich ist, denn es ist eine der ergiebigsten Games-Veranstaltungen überhaupt.