Erstellt am: 9. 3. 2012 - 12:00 Uhr
Diagonale 2012
Diagonale - Festival des österreichischen Films:
20. - 25. März 2012, Graz.
Einmal im Jahr konzentriert sich der österreichische Film an einem Schauplatz: Die Diagonale macht Graz zum 15. Mal zum Podium für das heimische Filmschaffen. Weil es in dieser Stadt zu Fuß vom Programmkino zum Multi-Saal-Komplex geht und die Sonne im Süden verlässlich gegen das Augen-Jetlag anarbeitet, bleiben die Rahmenbedingungen konstant einladend. Das Programm der Diagonale setzt traditionell auf aktuelle Produktionen, aber Festivalleiterin Barbara Pichler will mehr bieten als eine kontinuierliche Bestandsaufnahme. Sie will die Diagonale als öffentlichen Raum verstanden wissen. Nun, er will genutzt werden!
FM4 ist mit einer Sondersendung am 23. März, 19 bis 21.30 Uhr, im Kunsthaus Graz. Denn all diese Eindrücke wollen wir besprechen.
Diagonale Festival Trailer 2012 from Diagonale Film Festival on Vimeo.
Premieren!
Beim Klicken durch das Programm fällt mein Augenmerk auf die Premieren. Die Diagonale zeigt über einhundert Filme - quer durch die Formate und Genres - die im letzten Jahr gefertigt wurden. Versäumtes darf im "Jahresrückblick" nachgeholt werden. Neues eröffnet das Festival: Anja Salomonowitz hat mit "Spanien" am ersten Abend Österreich-Premiere.
Dor Film / Petro Domenigg
Filme, die im letzten Jahr regulär in unseren Kinos liefen, zeigt die Diagonale jeweils einmal. Damit Platz für Neues bleibt. Tickets sind ab 14. März erhältlich.
Die Eröffnung ist zwar geladenem Publikum vorbehalten, in den kommenden Tagen laufen dann unter anderem Umut Dağs "Kuma" und Hans Weingartners "Die Summe meiner einzelnen Teile" zum ersten Mal in einem österreichischen Kino. Innere Extremzustände geißeln einen Mathematiker bis dieser nicht mehr kann und Hans Weingärtner setzt wieder da an, wo er mit "Das weiße Rauschen" debütierte und brillierte: bei der menschlichen Psyche.
Daheimgebliebene, an die Fernbedienung:
ORF III zeigt Umut Dağs Papa und andere Vorjahresschätze in der "Langen Nacht des kurzen Films": 23. März ab 22.20 Uhr.
"Kuma" ist der erste lange Spielfilm von Umut Dağ, der im Vorjahr für "Papa" den Preis des besten Kurzfilms auf der Diagonale bekam. Diesmal stehen zwei Frauen im Mittelpunkt: Die Ankunft einer kurdischen Verwandtschaft aus Anatolien fordert Fatima, eine Mutter mit Prinzipien. Umut Dağ kam in Wien als Kind kurdischer Eltern zur Welt und studierte bei Michael Haneke an der Filmakademie. Auf der diesjährigen Berlinale eröffnete "Kuma" die Schiene Panorama und war - wie viele Vorstellungen - ausverkauft.
Fast bin ich versucht zu schreiben: Schon wieder hat auch der arbeitsame Peter Kern ein weiteres Werk fertig. Der Titel "Glaube, Liebe, Tod" steht für sich. Peter Kern selbst wiederum wurde von Veronika Franz und Severin Fiala begleitet und porträtiert.
Beim "Jahresrückblick" highlightet mein Marker "Ibiza Occident" und Fritz Ofners "Evolution der Gewalt", die außerhalb Wiens noch kaum liefen.
FreiBeuter Film
Noch mehr Premieren!
Heute, Freitagnachmittag, in FM4 Connected: Petra Erdmann über die kommende Diagonale.
Zahlreicher als im Bereich Spielfilm sind die Erstaufführungen bei den Dokus. "Wir sind eigentlich zu klein", sagt Intendantin Barbara Pichler über das Verhältnis des enorm starken Dokumentarfilmschaffens zu den Vorstellungsmöglichkeiten auf der Diagonale. Insgesamt gab es 500 Einreichungen, das Festival könnte locker wachsen - was die Quantität und auch Qualität des Filmschaffens betrifft. Doch angesichts des Verlusts eines Hauptsonsors ist daran nicht zu denken.
Wie wenig sich der heimische Film allein geografisch beschränken will, beweisen bereits die Titel im Bereich Dokumentarfilm. Der Umgang Kambodschas mit seiner Vergangenheit ist Thema ("The Future's Past - Creating Cambodia" von Susanne Brandstätter), genauso wie ein Besuch im Kärntner Griffen, das als Heimatort Peter Handkes bekannter ist als die Zweisprachigkeit seiner BewohnerInnen ("Griffen" von Bernd Liepold-Mosser). Ruth Mader fragt "What is Love" und inszeniert dokumentarisches Kino mit fiktivem Dreh: Die Personen spielen sich selbst. Strikt dokumentarisch rückt Nikolaus Geyrhalter dieses Jahr mit "Donauspital" die Vorstellung von Krankenhäusern als dramatisch-blutig-romantischem Arbeitsplatz zurecht. 2011 eröffnete er mit seinem europäischen "Abendland" die Diagonale.
Kino vermag Dinge zu zeigen, die sich im realen Leben den engsten Vertrauten verschließen. Sebastian Meise hält seine Kamera auf das Tabu-Thema Pädophilie und Kindesmissbrauch. Und er tut dies im Abseits von schaurigen Chronikmeldungen in dem Spielfilm "Stillleben" - in dem Soap&Skin alias Anja F. Plaschg einen Auftritt hat - und der klugen Doku "Outing". Letztere ist geschnitten aus Material zur Recherche: Ein Mann mit pädophilen Neigungen berichtet, wie er mit sich umgeht. Zentral wird die Frage: Wie kann und will die Gesellschaft mit pädophilen Menschen umgehen?
Ungesehen empfohlen
Ungeschaut ein Tipp für Entdeckungen ist das Kurzspielfilmprogramm. Die meisten Regisseure sind Kinder der Achtziger und Neunziger Jahre.
Für CineastInnen der Neigungsgruppe Filmgeschichte ist die Vorführung von "Die toten Fische" von Michael Synek Pflicht. Geliebt und gehasst wird diese surreale Erzählung nach einer Kurzgeschichte von Boris Vian - allein zu sehen bekamen ihn ausschlißlich FestivalbesucherInnen nach seiner Uraufführung in Cannes 1989. An der Filmverwertung haperte es.
Darf's ein bisschen Experimentelles dazu sein?
Eine "Pauschalempfehlung" von Barbara Pichler gibt es für die fünf Experimentalfilmprogramme. Die könne man sich ohne Angst ansehen, weil die Perspektiven groß und die Abwechslung reich wären. Wollen wir es wagen? Die Vorliebe für das Abstrakte haben die ExperimentalfilmerInnen abgelegt, weiß Expertin Barbara Pichler. Es wird wieder verstärkt figurativ gearbeitet.
Auf der Gästeliste: Avi Mograbi und sein brisantes Kino
Weibliches Filmschaffen fokussiert das Filmarchiv Austria in einer eigenen Schiene: Gelegenheit, "Küchengespräche mit Rebellinnen" nachzuholen. Vier Frauen erzählen von ihrem Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
Kino als politischen Erfahrungsraum zu begreifen, das klingt nach guter Formulierung. Für den Israeli Avi Mograbi ist es Programm. Wie sich dieses drängende, die Gegenwart am Nerv treffende Kino genau gestaltet, wird der Spezialgast in Graz erklären.
Der Begriff "Dokufiction" erfasst Avi Mograbis Filme noch am ehesten: Sie verwischen Grenzen zwischen fiktiver Erzählung und Zeitzeugenschaft, und sie beschäftigen sich in allererster Linie mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Dabei nimmt sich der 55-Jährige nicht aus und reflektiert seine eigene Rolle vor der Kamera.
Avi Mograbi
In der Tat aufregendes Gegenwartskino verspricht sein jüngster Film "Z32" aus 2008: Er basiert auf dem Zeugnis eines jungen Mannes, der sich nach dem Militärdienst bei einer Eliteeinheit der Organisation Breaking the Silence aussprach.
Die Kinoleinwand ist Mograbi nicht genug: In der E.S.C. in der Jakoministraße baut der Gast eine Videoinstallation.
Gegen eckige Knie: FM4 präsentiert die Diagonale-Nightline
Irgendwann sperren sich die Beine gegen rechte Winkel und der Rücken der Person in der vorderen Reihe will keine einzige Stoßmassage mehr ertragen. Die Diagonale-Nightline ist eine Insel im Festivalleben: Auf in die Postgarage.
22. März, 21.00 Uhr
Das Fool's Island Project von *The Karlbauers* wird weder eine Bebilderung noch Visual-Strecke. The Karlbauers ziehen mit ihrem musikalischen Roadmovie ein neues Register und bauen Ton und Bild wie Inseln in einem "Ocean of Sound" auf.
Um 22.00 übernehmen DDKern und DJ Bellamy. BulBul und Wipeout wissen DDKern als Drum-Berserker zu schätzen. In Graz gibt er den DJ und vereint Gipsy Funk und New Wave, Gospel und Industrial!? Listening!
Sandrine Derselle
23. März, 22 Uhr
Lonely Drifter Karen versetzte die GrazerInnen bei ihrem letzten Konzert in der Postgarage derart in Entzückung, vor Aufmerksamkeit wurde nicht mal mehr geflüstert. Ihr neues Album "Poles" präsentiert Tanja Frinta, die für die Doku "du und ich" die Musik schuf.
Trees*Traumhaft und Philipp L'Heritier finden sich danach als DJs ein.
24. März, 22 Uhr
Weil die Diagonale ja ein Festival mit Wettbewerb ist und am Samstagabend die Preise verliehen werden, kommt das V-Team (Seayou Records) gerade zum richtigen Zeitpunkt.
Ein Preisträger steht bereits vor Beginn der Diagonale fest: Johannes Silberschneider wird mit dem Großen Schauspielerpreis geehrt.