Erstellt am: 4. 3. 2012 - 13:25 Uhr
Song Zum Sonntag: Die Türen
Sie fordern Output bis zum Rausschmiss und Ordnung bis zum Abriss. Es hat dich niemand gefragt, ob du auch Lust dazu hast … Deine Hobbies sind Yoga und Systemkritik … ALG 2, RTL 2, Aufstehen um zwei und nicht einen Menschen zum Reden … Ich will keinen Mindestlohn, ich will Mindestliebe, ich will auch kein Grundgehalt, ich will nur einen Grund zum Frieden … Denn es heißt Leben oder Streben und goodbye.
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über die Türen macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Die Videos der Türen sind schon Klasse: „Rentner und Studenten“ zeigt Enddreißiger-Kinderwagen- Bobos und das Präkariat, wie sie einig in Prenzlauer Berg für „mehr Freizeit“ demonstrieren. „Leben oder Streben“ zeigt die Band in einem ärmlichen Querelle-Dekadenz-Look, die unterprivilegierte Boheme ohne Geld, Zukunft oder Gewissen aber voller Stolz, coolem Wissen, Selbstbewusstsein und Lebenswillen - mit Gaunerbärtchen, Hausanzughosen, Safarisakko, neonfarbenen Hosenträgern und abgeschnittenem KiK-Querstreifenpulli. Der schmerbäuchige Sänger macht asynchrone Tanzworkshop-Bewegungen, dazu der wie immer gleichgültig coole Blick von Gastgitarrist Andreas Spechtl über offenem Hemd. Die Band spielt einen sehr unaufgeregten Funk, jede Bewegung scheint zu viel. Man schwingt leicht angekatert, während eine hektische Kamera wie in einer Art Gemeindebaufernsehvariante von „Top of The Pops“ um den Sänger kreist und die angewiderten Musiker in Großaufnahme einfängt.
Knut Claßen
„Da Sein muss doch reichen“, singt Maurice Summen, und das Video antwortet mit dieser schmuddeligen Dekadenz, die zugleich die Antithese zu Roxy Music zu sein scheint und ihre stilvolle Vollendung in der Boheme der Kellerkinder.
Das passt zum Text. „Ich will keinen Mindestlohn, ich will Mindestliebe“ könnte das vernachlässigte und vergessene untere Drittel der Gesellschaft schon fordern, die „Marginalisierten, von denen man seit Ewigkeiten schon nichts mehr gehört hat, was nicht weiter gestört hat“. Angesichts der Tatsache, dass die von den so genannten „Leistungsträgern“ - das sind die, die nichts „leisten“, sondern Besitz akkumulieren oder akkumulierten Besitz ideologisch in „Leistung“ umdefinieren – in deren Medien wahlweise als "Problem" dargestellt werden, weil sie zu dumm, zu hässlich oder zu faul seien oder auch nur „zu spät aufgestanden, zu früh schlafen gegangen, zu lang nachgedacht“ haben und weil von ihren Leistungen nach Abzug der Stromrechnung nicht genug übrig bleibt, um Besitz zu akkumulieren. Oder weil sie in ebendiesen Medien in - zynisch und ernstgemeint - so genannten „Realitätsfernsehsendungen“ als Quelle für echte Konflikte und echte Verzweiflung ausgebeutet werden können.
„Mindestliebe“, das wird ihnen in beiden Fällen verweigert.