Erstellt am: 2. 3. 2012 - 18:17 Uhr
Die Pferde sind los!
Die meiste Musik, die auf der Welt so existiert, interessiert mich nicht. Nicht, dass ich sagen würde, dass das alles Dreck ist, aber sie berührt mich auf keine besondere Art. Sie ist mir egal und zieht an mir vorüber, als wäre sie nie dagewesen.
Aber es gibt trotzdem noch genug Musik, die meine Synapsen wie eine Weihnachtslichterkette kurz vor dem Durchknallen aufblinken lässt. Die Platte mit den polynesischen Gesängen vom Flohmarkt ist fabelhaft, 50er-Jahre-Doo-Wop wird auf Lebzeiten etwas sein, womit ich gut kann. Und was, wenn Jamie Oliver in seinem Keller wirklich unveröffentlichtes Material von Joy Divison gefunden hat? Heiliger BimBam! By the way, ein ziemlich öder Popschinken kann ziemlich geil klingen, wenn ihn der richtige Mensch neu interpretiert (follow the link, "Stunde 3", bei Minute 21 anklicken) und das BulbulTumido-Orchester sollte man sich anschauen, wenn sie gerade in der Stadt sind.
Jedenfalls, der Bullshit-Detektor ist ein kleiner, keifender Chihuahua, der anderen ans Bein pinkelt.
Das Trojanische Pferd
Und das Gute daran: Man hat mehr Zeit für die guten Musiken im Leben! Ist doch spitze, oder? Also her mit der Platte vom Trojanischen Pferd, die schon bei ihrem Debüt gezeigt haben, dass es noch Musik abseits der Zeitverschwendung gibt.
Schon für ihr selbstbetiteltes Debüt haben sie Hass und Zynismus in zartes, pastellfarbenes Zuckerlpapier gepackt, und auch der Zweitling kommt vielversprechend daher: "Wut und Disziplin" nennt sich das Werk. Ein Titel wie zwei Pole, die sich aneinander reiben. Klingt so, als ob man die Platte gerne auspacken und auf den Player stecken will. Und man wird nicht enttäuscht: Immer noch kein rundes Lied, immer noch Ecken und Ecken und Kanten und das ist gut so.
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Ich schlag der Zeit den Schädel ein. Willst du vielleicht mein Mädel sein?
Und was findet man auf dieser Platte:
- die Kirchenorgel im Wiener Stephansdom
- Barjazz
- Glam- & Prollrockblitzer
- klassische Töne
- Bob Dylan
- Hochmut
- Irrsinn
- ein Untier
- eine Streicher-Armada
- windschiefe Reime
- einen Psycho-Chor aus der Unterwelt
- die Apokalypse
"Wut und Disziplin" ist der Beweis dafür, dass Wahnsinn und Hörbarkeit nicht aneinander vorbei schreddern müssen. Hubert Weinheimer, der Mann hinter dem Songwriting und den Texten, schreibt Lieder wie andere Menschen Bücher oder Gedichte. Lieder, die auf den ersten Blick gemäßigt und lyrisch daherkommen, um dann sogleich die zynische Zunge schnalzen zu lassen, und die ganze Welt in den Abgrund zu reißen. Blut, antreiben, abtreiben. Warum nur Wien anzünden, wenn die Glut noch heiß ist?
Kinder schlagen. Rindermagen.
Hier klingt nichts so wie es ist. Und musikalisch rotiert das neue Werk "Wut und Disziplin" - wie eben schon angedeutet - zwischen Klassik-, Jazz- und Rockzitaten, Singer/Songwritertum, bombastischen Chören, Kirchenorgel und einer ausgefuchsten Reimpolitik zwischen Nonsens und den besten Sätzen, die man eben spontan aus dem Ärmel schütteln kann. Ein Mix, der auf den ersten Blick vielleicht komisch anmutet. Im Interview sagen Cellist Hans Wagner und Sänger Hubert Weinheimer vom Trojanischen Pferd aber treffende Sätze wie:
"Als Band musst du dich immer für einen Stil entscheiden, und du bedienst etwas. Und ich finde es gut, wenn du dir die einzelnen Stücke hernimmst, und wenn du meinst, dass etwas für dich passt, dann mach das so! Und scheiß darauf, was andere meinen, dass dein Stil sein müsste."
"Wut und Disziplin" ist eine angenehm unangenehme Platte, nichts zum Zurücklehnen. Das Album ist fordernd und in manchen Momenten einfach auch nur furchtbar anstrengend. Übrigens nicht nur für die Zuhörer, wie Hubert Weinheimer im FM4 Interview erzählt:
"Dieses Album hat mich ziemlich erschöpft. Ich weiß auch nicht warum, aber mich haben die Texte und die Aufnahmesessions gefordert. Dieser punktuelle Wahnsinn: Wir loten in jedem Stück Grenzen aus."
Am besten macht man sich selbst ein Hörbild. Hier die Anspieltipps, die Eindrücke, die Zitate. Bitte selber nachhören:
Das Trojanische Pferd: "Wut und Disziplin"
Das Trojanische Pferd
"Wut und Disziplin" wurde übrigens von Wunderhändchen Thomas "Kantine" Pronai in der Celly-Mühle geformt.
Dann noch von drei weiteren Studios und am Ende wurde der finale Mix von Florian Widhalm geliefert.
Erschienen ist das Album auf Problembär Records.
Lied Nummer 2 - "Taubenschacht":
Gitarrenschrammelei trifft auf Schweinerock-Melodien.
Schöne Zitate:
"Sauf dich halbtot, oder ganz tot. Sauf dich frei. Ich bin lustig, mach den Schlussstrich, am Schafott."
"Wendeltreppen, fremde Betten, Séparée. Larifari, Stradivari, Intendanz. Gott getroffen, stockbesoffen, wie interessant"
"Nicht Wichtig":
Das Lied mit der Stephansdom-Orgel und dem großen Chor. Könnte man laut aufdrehen und der nervigen Nachbarin von oben und ihren dämlichen Klarinettenübungen entgegenschallen.
"Zwischen Tür und Angel":
Taucht ab in David Lynch haften Jazz, wird aber schön von Wut und Störelementen durchgepoltert. Die richtige Nummer zum Aggressionsaufbau, falls man vorhat, seinem großen Bruder demnächst so richtig eine zu knallen.
Schöne Zitate:
"Alle Geschichten sind erlogen, ich mach' um mich den großen Bogen."
"Ich fress' mich fett und kotz mich mager, sing' den Superdepri-Schlager."
"Blindgängermuseum":
Ein hysterischer Hitchcockdrama-Psycho-Chor trifft auf Kurt Cobain, und alle spielen in der finsteren Grabkammer eine Runde Tempelhüpfen.
"Die Ganze Welt"
Die musikalische Ruhe vor dem Sturm. Aber fix ist: Heute gibt es Apokalypse zum Frühstück.
Schönes Zitat:
"Die ganze Welt liegt krank darnieder, und aus dem Fieber mach ich Lieder. Die ganze Welt liegt halb erschlagen, sie wird sich selber bald vergraben."
"Treibgut"
Könnte auch Stephen Malkmus und den Sternen gefallen.
"Nörgler, Krittler, Feiger Hund"
Das Lied, mit dem besten Titel. Und eine hübsch verpackte Abrechnung mit all denen die meinen, dass sie immer Recht hätten. Nicht vergessen: Immer schön mit einem Lächeln im Gesicht "Fuck You" sagen.
So ist's gut.