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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

1. 3. 2012 - 16:30

Fußball-Journal '12-8.

Mikro-Fortschritte auf der Baustelle ÖFB-Team. Fertigstellung erst 2015/16 möglich!

So wie in den Vorjahren - das war das Fußball-Journal '11 - gibt es auch heuer wieder ein Fußball-Journal '12, welches die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das Umfeld begleitet.

Extras: nach dem Afrika-Cup-Journal '12 kommt im Juni ein Special zur Euro, im Sommer ein Journal zu den London-Olympics und auch ein (anders als im Journal '11) nicht tägliches und anlass-bezogenes Journal 2012.

Heute mit einer Nachlese zum gestrigen Testspiel gegen Finnland.

Hier die traditionell ausführliche laola1-Taktikanalyse, da die hochwertige Bewertung von Ballverliebt.eu; und da schließlich die Meinung von 90minuten.at.

Die Ausreden-Bandbreite wäre hoch: keine Termine um zusammen-zukommen, die grindige Infrastruktur des gestrigen Standorts Klagenfurt, ÖFBV-Vorplanungen ohne Durchsetzungsvermögen, eine Liga auf dem Tiefpunkt, spielerische Rückschritte im Vereinscoaching.

Andererseits war auch der Hoffnungsschimmer ein deutlicherer als sonst: Legionäre im Hoch, ein Trainerteam, das seiner Aufgabe auch nachkommt und denkt, vorbereitet und plant.

Wenn man aber, wie der ÖFB und der gesamte österreichische Fußball, der durch seine infrastrukturelle, ökonomische und sportliche Schluderei der letzten 20/30 Jahre und durch sein beharrliches Ignorieren von Sportwissenschaften aller Art, ganze Spielergenerationen versaut und verschwendet hat, dann muss man sich damit abfinden, dass lang überfällige Aufbau-Maßnahmen nur langsam greifen können. Sehr langsam.

Im Fall des gestrigen Finnland-Spiels zeigt sich der Fortschritt daran, dass eine tagesschwache und in sich noch bei weitem nicht ruhende ÖFB-Mannschaft zumindest nicht die Nerven weggeworfen und sich in die Gefahr begeben hat, ein Match gegen einen bezwingbaren Gegner aus der Hand zu geben und massiv in Gefahr zu kommen - so, wie das in den letzten Jahren Usus war.

Mehr geht aktuell, sofern die Tagesform nicht alles richtet, nicht.

Wie die ballverliebten Kollegen richtig sagen: es sind subtile und richtige Umstellungen, die das bewirkt haben. Umstellungen, die genaue Kenntnis von Umständen, Gegnern und eigener Kraft erfordern und eben nur von "akribischen Arbeitern" durchgeführt werden können - und dem hilf/hirnlosen lei-laafn-lossn der Vorgängerschaft das richtige (Fetzen-)Zeugnis ausstellen.

Das Koller-Modell in Theorie und Praxis

Aber von Beginn an: gestern hat Marcel Koller nichts anderes versucht, als das Modell aus seinem ersten Spiel in der Ukraine noch einmal zu probieren, nach Fehleranalyse und mit Verbesserungsansätzen.

Kollers 4-2-3-1 ist zwar flexibel anzuwenden (und auch jederzeit als 4-4-2 oder 4-4-1-1, sogar als 4-1-4-1 spielbar), bietet aber eine erhöhte Sicherheit, was Rollenverteilung und Passwege betrifft. Es ist ein vergleichsweise einfaches System, was der geringen Zeit, die den ÖFB-Coaches fürs Einlernen zur Verfügung steht, geschuldet ist; und es folgt trotzdem der Philosophie des angriffsorientierten, auf Dynamik und schnelles Umschalten ausgerichteten Fußballs, samt Pressing und vergleichsweise hochstehender Abwehr.

Das hat alles ein Gesicht, es gibt für jede Maßnahme eine sinnhafte Erklärung, jede Anforderung an die Spieler beantwortet auch gleichzeitig die Warum-Frage. Hirnlose Platitüden (über den Kampf ins Spiel finden) sind nur noch als Automatismen für die derlei Blödsinn erfreut erwartenden Medien angelegt.

Im Abwehrbereich setzt Koller aufs Rausschieben: seine Innenverteidiger (gestern der beste Mann auf dem Platz: Dragovic) sind auch Eröffner und "zwingen" durch das Ausnützen der Spielfeldbreite die Außenverteidiger zu Vorstößen. Suttner gelang das in der Fuchs-Rolle teilweise ganz gut, Garics hatte, wie zuletzt Schiemer, rechts Probleme struktureller Art. Dazu später.

Das Strukturproblem in der Sub-Unit Mittelfeld

Die Mittelfeld-Zentrale ist mit Baumgartlinger-Alaba an sich optimalbesetzt. Alaba als Offensiverer der beiden kommt, als Linker logisch, meist über links. Auch das führt zu einem strukturellen Problem.

Das offensive Mittelfeld interpretiert seine Rollen zu unterschiedlich. Das war schon in der Ukraine so, und das hat sich in Klagenfurt kaum gebessert - das ist die einzige, ein wenig erschütternde Erkenntnis des gestrigen Matches.

Zu Beginn schien es so, als wäre Andi Ivanschitz, der linke Offensivspieler, im Stande, die doppelte Anforderung an seine Position durchzuziehen. Der Jetzt-wieder-kurz-Kapitän war sowohl ein echter linker Flügel (das in brauchbarer Abstimmung mit Suttner), als auch ein linker Mittelfeldspieler mit Allround-, also auch Defensiv-Aufgaben.

Martin Harnik war das auf seiner rechten Seite nie: er spielte einen echten rechten Flügel, der in der 2. Halbzeit, nach der Janko-Herausnahme, dann auch vermehrt in die Zentrale zog.
Und Marko Arnutovic war nicht der im 4-2-3-1 eigentlich gebrauchte Aufwirbler im offensiven Mittelfeld, sondern allzu oft eine verloren herumhängende Spitze.

Das wurde umso deutlicher, als Junuzovic ihn ersetzte und diesen Job deutlich besser erledigte. Denn diese zentral-offensive Position ist eine wichtige Anspielstation für alle am Spielaufbau Beteiligten. Junuzovic war auch überall zu finden, während sich Arnautovic gern in der linken Platzhälfte aufhielt. Und so kam es eben (wieder, wie in der Ukraine) dazu, dass einander Alaba, Ivanschitz und der Bremer auf den Füßen standen, während rechts zwischen Garics und Harnik ein echtes Loch klaffte, das etwa Baumgartlinger nicht füllen konnte/wollte.

Das ist das Strukturproblem dieser Mannschaft.

Notmaßnahmen und verpuffte Möglichkeiten

Es war kein Zufall, dass der finnische Instinktsprinter Pukki in der Anfangsphase seine Angriffe in genau dieses Loch auf seiner linken Seite setzte.
Überhaupt, die Finnen: die zeigten vor, wie ein flexibles Mittelfeld funktionieren kann - die betrachten sich als Teile einer Untereinheit, als Glieder einer Kette. Im finnischen Mittelfeld wurde übers gesamte Spiel sicher fünfmal klaglos Rollen/Position gewechselt. Davon ist das ÖFB-Mittelfeld noch weit entfernt.

Koller löste das Problem der rechten Seite mit einem originellen Trick: er orderte Harnik ein wenig mehr in die Zentrale, ließ ihn eine Art halbrechte hängende Spitze spielen,um so mehr Platz für Garics zu schaffen, der so auch den etwas gar weit aufgerückten Hamälainen wieder zurückdrängen und das erwähnte Loch zu schließen. Das bedeutete auch: weniger offensive Freiheiten für Suttner links in der zweiten Hälfte.

Das alles ist aber nicht mehr als eine Notmaßnahme, um das Spiel zu kitten und den Sieg über die Runde zu bringen; und kein wirklicher Fortschritt.

Letztlich war es diese Ungleichgewichtung der Seiten, die das ÖFB-Team daran hinderte, seine Offensivbemühungen schnell, automatisiert und effektiv umzusetzen. Und erst diese Kriterien sind es, die aus guten Einzelkönnern ein funktionierendes Team machen. Genau dort, bei dieser Herausforderung, steht das ÖFB-Team gerade.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: es werden auch weiter kreative Ausreißer, wilde Rochaden oder überfallsartige Verlagerungen sein, die Spiele entscheiden. Die sind aber nur im Rahmen einer funktionierenden Grund-Ordnung effektiv. Stimmt die nicht, verpufft alles. So wie gestern alle Bemühungen von Arnautovic und auch viele des omnipräsenten Alaba einfach verpufften.

An der Entwicklungs-Schraube drehen - bis 2015/16

Der ÖFB wappnet sich an der Kommunikations-Front: Wolfgang Gramann, Ex-Spieler, ehemaliger Generalsekretär des ÖFB, vormals Venue-Director bei der UEFA Champions League und zuletzt Managing Director bei Red Bull und aktuell mit der Bewerbung für die U21-Euro 2013 beschäftigt, übernimmt.

Im übrigen ist auch zwei Tage nach Beendigung des U19-Testspiel in Slowenien von ÖFB-Seite keinerlei Infomation über das Ergebnis (der slowenische Verband berichtet hier von einem 5:1 Sieg des Heimteams) oder den Spielverlauf zu erhalten. Die Website gibt gar fälschlich ein 0:0 an.

Nachtrag: am 5.3. wurde auch auf der ÖFB-Website das korrekte Ergebnis eingetragen. Info oder gar eine Reaktion auf meine Mail-Anfrage gab es keine.

Wie Koller/Schmidt&Co. jetzt in den nächsten drei Monaten an dieser Entwicklungs-Schraube drehen wollen - das ist die große Frage. Letztlich wird sich die Mannschaft Ende Mai wohl wieder treffen und versuchen, die Analyse aufzufrischen und an die Erkenntnisse anzuschließen. Es wird dann (im Heimspiel gegen eine Ukraine, an die sich das Team wohl noch erinnern wird) vielleicht wieder zu ein paar Mikro-Fortschritten kommen. Und die müss(t)en dann reichen, um im September in die WM-Quali gegen Deutschland, Schweden und Irland zu gehen.

Es ist nicht schwer auszurechnen: das wird sich nach menschlichem Ermessen nicht ausgehen. Diese Mannschaften sind unglaublich gut eingespielt (das Löw-Team), verfügen über eine über Jahrzehnte verwurzelte Philosophie (Schweden) oder über die Weisheit der Premier League (Irland). Sie sind zudem alle bei der Euro dabei. Es wären einige Glückstage und massive Krisen der anderen nötig, um für Brasilien 2014 planen zu können.

Die Euro 2016 hingegen, für die sich 24 Teams, also fast die Hälfte Europas, qualifizieren werden, kommt gerade richtig. Die Generation Alaba ist dann Anfang 20, die Generation Harnik Mitte/Ende 20 und würde dann endlich über den Erfahrungs-Mix verfügen, den es für eine Turnier-Qualifikation braucht.

Das ist also das Ziel, ein sinnhaft-plausibles. Und eines, für das die aktuellen Mikro-Fortschritte jetzt die Basis legen.
Alles andere ist unrealistischer Schwachsinn.