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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

3. 3. 2012 - 12:50

Kleine Euphorieschübe

Zehn persönliche Gründe, sich auf das heurige Kino zu freuen.

Schon klar, die großen Filmvorschau-Spiele hatten wir hier an dieser Stelle bereits zum Jahresanfang. Aber weil Vorfreude einfach so etwas Wunderbares ist, sind hier noch ergänzend zehn persönliche Bonusgründe diesem Leinwand-Jahr entgegenzufiebern, in beliebiger Reihenfolge.

1. Michael Fassbender kommt heuer noch dreimal

Nein, eigentlich kommt er viel öfter und das sehr bald. Das war jetzt allerdings ein schlüpfriger Witz aus der untersten Schublade, den Film „Shame“ betreffend, der nun endlich bald startet. In dem verstörenden Meisterwerk des Briten Steve McQueen brilliert Fassbender als sexsüchtiger Geschäftsmann, der von seinen Trieben gefesselt durch New York driftet. Macht euch auf eine von Körpersäften getränkte Gesprächsrunde dazu hier bereit, mein Kollege Sebastian Selig konnte die deutsche Autorin Silvia Szymansk als Mitdiskutantin gewinnen, die auf körperlich ausschweifendes Chaos spezialisiert ist.

Anyway, wer wie meine Wenigkeit nach all den fantastischen Vorjahrsrollen des umtriebigen Ausnahmetalents Fassbender weiterhin nicht genug bekommen kann, darf sich auch schon nächste Woche auf Steven Soderberghs Actionthriller „Haywire“ freuen. Und später im Jahr auf Ridley Scotts Alien-Comeback „Prometheus“, in denen unser Mann Michael wenigstens in Nebenrollen glänzt. Und ich hole gerade erst langsam den Backkatalog auf, der gebürtige Ire definiert den Begriff Workaholic neu.

2. Jennifer Lawrence wird zum Blockbusterstar

Sie hat sich mit ihrer subtilen Darstellung einer jungen Hinterwäldlerin in „Winters Bone“ in die Netzhaut eingebrannt. Überraschend schnell gelang Jennifer Lawrence allerdings der Sprung vom Cineastendarling in die Big-Budget-Liga. Demnächst fightet Lawrence im Postapokalypse-Thriller „The Hunger Games“, nach einem erfolgreichen Teenieroman, um ihr Leben, während TV-Kameras zuschauen. Die härtere, fiesere und doch romantische Antwort auf die „Twilight“-Franchise klingt wie „Battle Royale“ meets „The Running Man“ meets „Amerika sucht den Superstar“, count me in.

The Hunger Games - Official Trailer

3. Tom Hardy zieht für John Hillcoat den Colt

Eine der größten Talenteverschwendungen kann man ja dieser Tage im Kino sehen. Die Rede ist von Tom Hardy als liebestoller Spion, der in der belanglosen Action-Romcom-Mixtur „This Means War“ Reese Witherspoon bezirzt. Ja genau, der irre intensive und gespenstisch wandlungsfähige Tom Hardy aus „Bronson“, „Inception“, „Tinker Tailor Soldier Spy“ oder „Warrior“.

Nachdem es der Brite in „The Dark Knight Rises“ mit Batman höchstpersönlich aufgenommen hat, zieht er für einen grandiosen Regisseur die Knarre. John Hillcoat begibt sich nach „The Proposition“ erneut auf sonnenverbranntes Western-Terrain. In „The Wettest Country“ erzählt er, nach einem Drehbuch von Mr. Nick Cave, von einer grimmigen Schwarzbrenner-Gang. An der Seite von Tom Hardy agieren, tief durchatmen, Gary Oldman, Guy Pearce, Jessica Chastain, Mia Wasikowska und, tatsächlich, Shia LaBeouf. Ein potentieller Killerfilm, wenn ihr mich fragt.

The Wettest Country

The Weinstein Company

4. Joss Whedon sitzt wieder im Regiestuhl

Okay, belegt mich ruhig mit dem Geek-Bannfluch. Nicht nur „Lord Of The Rings“ kratzt mich eher wenig, auch das Universum der Vampirjägerin Buffy hat sich mir nie erschlossen. Aber, bevor jetzt manche NerdInnen handgreiflich werden, ich verehre den Schöpfer der letzteren Figur. Zum Fan von Joss Whedon wurde ich durch die schlichtweg geniale und leider gecancelte Science-Fiction-Serie „Firefly“ und einige der klügsten Interviews, die ich je von einem Genre-Innovator gelesen haben.

Der supere Joss ist jedenfalls der Hauptgrund, warum ich mich auf „The Avengers“ so freue. Einen intelligenteren, warmherzigeren Mann hätte Marvel nicht in den Regiestuhl setzen können, um das legendäre Superheldenteam ins Kino zu bringen. Ich freue mich aber auch auf: Scarlett Johanssen im Action-Modus, Mark Ruffalo als Hulk und natürlich jeden einzelnen Oneliner des saukühlen Robert Downey Jr. Während mich der aktuellste „Spider-Man“ Trailer eher skeptisch macht, sage ich jetzt schon: Die Rächer werden rocken.

5. Paul Rudd und David Wain frönen der freien Liebe

Erst kürzlich wagte es ein Filmliebhaberkollege, den hochverehrten Judd Apatow zu beschimpfen. Ein Sakrileg, sage ich da nur. Denn in Wirklichkeit schuf der US-Produzent und Fädenzieher ein filmisches Netzwerk, dem wir einige der zentralsten Menschenversteherfilme der Gegenwart verdanken. Und die ganz nebenbei fast immer zum Schieflachen waren.

Zwei spezielle Talente aus dem Apatow’schen Comedy-Pool sind der Schauspieler Paul Rudd und Regisseur David Wain. Jeder für sich hat einiges drauf, ihre Zusammenarbeit bei der köstlichen Rollenspielpersiflage „Role Models“ ist aber in allerbester Erinnerung. Für „Wanderlust“ haben sich die beiden erneut zusammengetan, Rudd und Jennifer Aniston spielen ein New Yorker Ehepaar, das in eine heftige Existenzkrise stürzt. Frustriert vom teuren Leben in der Millionenmetropole begeben sich die Mittdreißiger auf eine Sinnsuche, die in einer Hippie-Kommune endet. Ich prophezeie eine perfekt beobachtete Satire über Wellness-Manie und Eso-Boom, mit Herz und „sexual content, graphic nudity, language and drug use“, wie es das US-Prädikat verspricht.

6. Tim Burton kehrt zu seinen Wurzeln zurück

Ganz ehrlich, „Alice in Wonderland“ hatte retrospektiv nur einen wirklichen Pluspunkt, nämlich die famose Mia Wasikowska. Ansonsten gehörte der vielleicht erfolgreichste Film von Tim Burton zu seinen schwächsten Werken. Jetzt kehrt unser geliebter Gothic-Godfather aber wieder zu seinen Wurzeln zurück, mit einer Leinwandversion der Kult-TV-Serie „Dark Shadows“. Der unvermeidliche (und digital geglättete) Johnny Depp trifft als Vampironkel Barnabas Collins auf eine illustre Schar von Werwölfen, Hexen und Geistern, waberndes Trockeneis und Spinnweben an allen Ecken und Enden, ich höre schon Theremine ertönen.

Wird das ein neuer „Sleepy Hollow“? Die Besetzung macht mir jedenfalls den Mund wässrig: Eva Green, Michelle Pfeiffer, Chloe Moretz, Christopher Lee und erwartungsgemäß Helena Bonham Carter treffen sich beißend im Morgengrauen.

Dark Shadows

Warner Bros

7. Joss Whedon verbeugt sich vor Sam Raimi

Und noch einmal der supere Joss, diesmal als Drehbuchautor. Zusammen mit Debütregisseur Drew Goddard, einem der Hauptverantwortlichen des TV-Phänomens „Lost“, verfasste er so etwas wie die ultimative Hommage an das Frühwerk von Sam Raimi. „The Cabin In The Woods“ ist einer dieser typischen Horrorfilme über eine Gruppe von jungen Menschen, die in einer geheimnisvollen Hütte im Wald stranden.

Beinahe. Denn Whedon und Goddard wollen mehr als sinistere „Evil Dead“ Vibes. Ihr Streifen verbeugt sich vor der gesamten Horrorgeschichte und will gleichzeitig das Genre völlig erneuern. Gigantische Vorfreude meinerseits, vielleicht ist das der Film, der endlich für den überfälligen Angstschweiß im Kinosessel sorgt.

8. Michael Haneke dreht wieder mit Isabelle Hubert

Mit dem frühen Schaffen von Österreichs bekanntestem filmischen Aushängeschild kann man mich jagen. „Benny’s Video“ oder „Funny Games“, für mich unselige Verbindungen von Medienkritik und Moralismus, geschaffen von einem Regisseur, der sich mit der Trennlinie von Fiktion und Wirklichkeit äußerst schwer tut. Michael Haneke gehört für mich aber zu den Filmemachern, die sich stetig steigerten, bis hin zu seinem Meisterwerk „Das weiße Band“. Was sich auch den großartigen Akteuren verdankt, die längst den Regisseur umschwärmen. Dass er jetzt eine Geschichte von Krankheit, Alter und Tod erzählt, in der Isabelle Huppert und Jean-Louis Trintignant zwei pensionierte Musiklehrer spielen, sorgt für Vorfreunde und Beklemmung zugleich. Ob „Amour“ wohl seinem Titel gerecht wird oder doch nur von emotionaler Vergletscherung berichtet?

Amour

wega film

9. Jason Segel lebt allein zu Haus

Von dem Typen kann man nicht genug kriegen. Nachdem er als vormaliger König der derben Comedy und Full-Frontal-Nudity („Forgetting Sarah Marshall“) sein Spektrum in den Bereich des charmanten Plüschmonster-Musicals erweiterte („The Muppets“), macht Jason Segel schon wieder eine Kehrtwendung. In „Jeff Who Lives at Home“ spielt er den Titel-Antihelden, einen Slacker, der noch immer im Hotel Mama wohnt und dem Leben ratlos gegenübersteht. Also ruft die Mutter (Susan Sarandon) den spießbürgerlichen großen Bruder (Ed „Hangover“ Helms) zur Hilfe. Die Mumblecore-Regiebrüder Duplass wagen sich nach dem tragikomischen „Cyrus“ erneut an ein Wackelkamera-Experiment mit Stars. Du liebe Güte, Jason Segel und Ed Helms als Loser-Brüderpaar, ein Must-See.

10. Es steckt noch Leben im Mocumentary Genre

Fake-Dokumentationen, sie sind längst ein Schmerz im Hintern, egal ob es sich um Fake-Exorzismen, Fake-Mondlandungen oder Fake-Geister in Schlafzimmer handelt. Ganz real ist dabei nur, zumindest was mich betrifft, die Genervtheit und das große Gähnen im Kino oder vor dem Bildschirm zuhause. Ziemlich super hören sich aber alle Vorberichte zu einem Film an, der das erprobte Mockumentary-Prinzip mit dem Superhelden-Genre kreuzt.

Chronicle“ erzählt mit Low-Budget-Mitteln und einem ungewohnten Realismus von einer Gruppe junger Leute, die der Reihe nach übermenschliche Fähigkeiten an sich entdecken. Die vielen Lobeshymnen in Netz und Print versprechen jedenfalls weit mehr als „Heroes“ mit Handkamera-Gewackel.