Erstellt am: 29. 2. 2012 - 19:45 Uhr
Neue Alben ...
Phenomenal Handclap Band - „Form & Control“ (Tummy Touch)
Eine Erfahrung im Umgang mit Popmusikern: Jene, die besonders hemmungslos die Vergangenheit zitieren, pochen besonders hemmungslos auf ihre Fortschrittlichkeit, Verankerung im 21. Jahrhundert und die Jetztbezogenheit ihrer Kunst. Und das zumeist ungefragt (was man durchaus als Hinweis auf ein gewisses Problembewusstsein deuten kann, wo ja eigentlich keines sein sollte). Das ist nur allzu verständlich. Wer will schon als gelebte Rückständigkeit mit Mottenkugel-Flair durch die Welt staksen. Einerseits. Andererseits will der Auskennerkonsens nach der rasch abgeebten Begeisterung über Reynolds Retromania-Thesen wissen, dass eben jene Rückbesinnungstendenzen sich zwangsläufig aus der derzeitigen Verfassung des Planeten Pop und seiner Konstellation im Sternensystem ergeben (Netz + Krise + Conditio Pop seit eh schon immer = Baudrillards Discokugel).
Tummy Touch
Und tatsächlich, der fortschrittlich rückständige Mann mit der ELO-Rundumgedächtnisfrisur, dem James-Last-Lächeln und dem Disco-Stu Jumpsuit besitzt ein Mobile Phone. Er verfügt über einen Facebook Account und parkt seine digitalen Errungenschaften in einer Cloud. Er hat erkannt, dass die moderne Technologie sein Freund ist. Sie ist der große Ermöglicher, der Verbinder, der Entkoppler. Er haut zwar die alte Hammond-Orgel, ist aber kein Maschinenstürmer. So kommt alles zusammen: Laptops und Lederhosen.
Jean Marquand, einer der zwei guten Geister des New Yorker Vintage-Dance und Prog Kollektivs Phenomenal Handclap Band, versucht die Eingangs erwähnte, überflüssige Rechtfertigungsfigur mit einer Analogie zu meistern: Our band philosophy is like an author who only reads old books. Just because he reads the classics doesn’t mean that he isn’t relevant and he doesn’t make things that make sense for now. Schöne Erklärung. Allein, es hilft ja nix.
Das zweite Album dieser aus Downtown-Artists und Brooklyn-Seniorhipsters bestehenden Kongregation der leuchtenden Tanzfläche trägt den Titel “Form & Control”. Der Name ist wohl ironisch zu verstehen. Im Gegensatz zu der stilistischen Supernova des Debüts, das so ziemlich alle Funk, Disco und Rockspielarten der 70er Jahre deklinierte, beschränkt man sich am Nachfolger zwar weitestgehend auf die Planeten Prog und Disco.
Doch das Sounduniversum der PHCB ist noch immer maß- und grenzenlos: Laser duellieren sich mit Gitarren, Sternzeichen tanzen zu Weltraumbeats. Dem Steinzeitsynthesizer werden mittelalterliche Kadenzen entlockt – Earth, Wind & Fire, Tod Rundgren, Captain Future sogar den Proto-Power Metallern von Rainbow wird gehuldigt. Wo aber einst bei den Ahnen die Bedeutungsüberfrachtung mittels Pathos für Schwerkraft mit Absturzfolgen sorgte, federt der Groove der Phenomenal Handclap Band angenehm beschwingt durch die Weiten der Milchstraße. Das reicht zwar nicht ganz fürs Universum, aber mindestens für eine Apollo-Mission.
Anspieltipps: "The Right One", "Following", "Afterglow".
Perfume Genius - „Put Your Back N 2 Me“ (Matador Rec)
Das richtige Album zur rechten Zeit. Das Vorzeigelabel Matador-Records speiste vor einigen Wochen einen Promoclip für das neue Perfume Genius Album in die Datenbank von YouTube (siehe Video weiter unten). Es zeigt den jungen Singer-Songwriter Mike Hadreas aus Seattle in inniger Umarmung mit dem Pornodarsteller Arpard Miklos. Die hausinterne Zensur des Videoportals erklärte den Clip für „nicht familientauglich“. Zahlreiche Homoinitativen und Promis wie R.E.M.s Michael Stipe beschwerten sich. Der nachvollziehbare Einwand: bei einem Hetenpaar hätte der an sich harmlose Clip wohl keinen Bann erfahren. Der Trailer wurde daraufhin von YouTube wieder freigeschalten, jedoch mit einer Zugangsbeschränkung für unter Achzehnjährige belegt.
Matador
Die Kontroverse schaffte es als Aufreger in alle großen Medien des Landes, wohl auch deshalb, weil im aktuellen Vorwahlkampf der Republikaner erzkonservative Kandidaten wie Rick Santorum sich über die Ablehnung der Homoehe und andere Moralkrepierer zurück ins Rampenlicht der Primaries spielen wollen und die hohe Suizidrate unter schwulen Teenagern in den USA ein großes Problem bleibt.
Auch davon handelt das neue Perfume Genius Album. Wie schon das Debüt „Learning“ (2009) ist auch das zweite Werk von Hadreas aka Perfume Genius ein vertonter Offenbarungseid. Im Fach der sehr direkten Kummerballade zu Hause, wird hier die Hand auf die Flamme gelegt, anstatt sich wohlig am Kerzenschein zu erfreuen. Zart anschlagende Horrorballaden über Suizidgedanken, Sucht und internalisierte Homophobie wechseln mit Hoffnungsschimmer und Beteuerungspoesie. Hadreas bedient sich musikalisch minimalistischster Mittel und schafft gerade dadurch immer wieder großartige Überwältigungsmomente, wenn z.B. im Refrain der bis dahin freundlich aufbrausenden Piano-Ballade „No Tears“ dem hellen Organ eine verzerrte Geisterstimme zur Seite gestellt wird, die den Vorsatz „Keine Tränen mehr!“ zu einem tintenschwarzen Salztropfen gerinnen lässt.
Oder die Pausen zwischen den Mollakkorden in „Dirge“. Sie bauen eine Spannung auf, die dem brüchigen Flehen von Hadreas eine durch Beuschel und Seele gehende Nachhaltigkeit verleihen. Freunde des großen Indiedramaturgen Jamie Stewart (Xiu Xiu) sind im Tränental von Perfume Genius gut aufgehoben, auch Fans von Antony und Scott Matthew werden wohl zum Taschentuch greifen.
Anpieltipps: "Normal Song","All Waters", "No Tears"
Shearwater - „Animal Joy“ (Sub Pop/Trost)
Jonathan Meiburg freut sich aus unüblichen Gründen über das Ende der kommenden Tour zum bereits achten Studioalbum seiner Band Shearwater. Wenn Ende Herbst „Animal Joy“ weltweit dem Publikum live vorgestellt wurde (u.a. am 14. April im Wiener Chelsea), kann sich der Bandleader dieser das Wort Ausnahmeformation redlich verdienenden Truppe aus Austin, Texas echter tierischer Freuden hingeben. Dann wird er mehrere Wochen auf einer kargen Inselgruppe im Südatlantik hocken und die Ernährungsgewohnheiten des Falklandkararaka erkunden. „Ein etwas seltsamer Greifvogel“, erklärt Meiburg während unserer Skype-Session „im Sommer frisst er Pinguin- und Albabros-Eier oder Kücken. Wie aber ernährt er sich im Winter?“. Tja, das ist die Frage.
Die treuen Shearwater-Fankolonien weltweit wissen natürlich Bescheid über die ornithologischen Anwandlungen des Frontmanns. Allein der Bandname ist Beleg, jedoch nicht der einzige Hinweis auf Viecher und Vögel im Werk dieser Unbeirrbaren, die über diverse Genealogien mit Acts wie Okkervill River oder Sharon Van Etten verbunden sind.
Sub Pop
Meiburg ist ja dann tatsächlich auch der Zivilisationsflüchtling, Waldschratt und Naturkundler, den man in so manch schwacher Singer-Songwriter Brust vermutet. Ich bin sicher nicht allein mit der Ansicht, dass man diese wilderness-Mentalität überall in seiner Musik findet - wenn auch gänzlich ohne Lagerfeuerromantik und Filzbart-Chic.
Allein das Triptychon der letzten drei Alben klingt nach dem überbordenden Versuch, die Fauna und Flora namens Mensch zu verorten und katalogisieren. Das letzte Album „The Golden Archipelago“ war der Abschluss dieser von Meiburg als „Island Arc“ bezeichneten Triologie. Während sich modischere Popbiologen wie das Animal Collective über den Naturbegriff in Wahrheit dem Großstadtmenschen nähern, hat man bei Shearwater stets den Eindruck, dass hier tatsächlich nordkanadische Schluchten vermessen werden oder man mit dem Forscher auf einer Klippe steht und den Horizont nach Vogelschwärmen oder menschlichen Regungen erkundet.
Auf „Animal Joy“ verstärkt sich nun dieser Klippeneindruck im Geiste der längst vor der einsamen Insel namens Großbritannien versunkenen Neuromantiker Tears For Fears . Die Gefühle sind bombastisch, der Sound ist jedoch klar wie kalte Luft und kühler Synth. Meiburg konstruiert seine Songs immer noch um eine Klaviermelodie herum, doch diese Platte gehört eindeutig der Rhythmusfraktion, den Breaks und zuwiderlaufenden Polyrhythmen, dem Fiepen aus allen möglichen Zwitscherkisten.
Und immer wieder die kräftig aber einsam geschlagene Snare Drum! Der Swans erprobte Zeugler Thor Harris haut das Ding selbst in leisen Momenten weit über die übliche Nachahmungstat. Meiburg gibt sich am Organ expressiv wie selten und lässt auch manchmal den Rocker von der Leine, geht es doch bei diesem Album hauptsächlich ums Recyceln persönlicher Altlasten. Nicht alle Shearwater Fans werden den Fahnen schwingenden Einzug des 80er Jahre Pop- und Rockfeels goutieren. Aber wer weiß, vielleicht rudert der Vogelmeister hernach wieder zurück in die vetrauten Gewässer des Shearwater Archipels.
Anspieltipps: "Breaking The Yearlings","You As You Were", "Open Your Houses".