Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Endlich zurück"

Eva Umbauer

Popculture-Fan und FM4 Heartbeat-moderierende Musikjournalistin.

29. 2. 2012 - 11:06

Endlich zurück

Das britische Duo The Ting Tings veröffentlicht fast vier Jahre nach dem Debutalbum endlich einen neuen Longplayer. "Sounds From Nowheresville" ist das FM4 Album der Woche.

Forestglade 2012

Die Ting Tings spielen am 14. Juli 2012 auch bei Forestglade Festival in Wiesen.

Das Line Up:

  • INCUBUS
  • THE TING TINGS
  • REA GARVEY
  • YOUNG GUNS
  • fiN

Rip It Up And Start Again - Genau das machten die Ting Tings. Aber erinnern wir uns kurz: Katie White und Jules de Martino bastelten vor einigen Jahren in Manchester an einem Album voller DIY-Bubblegum-Punkpop. "We Started Nothing", samt den Singles "That´s Not My Name" und "Shut Up And Let Me Go", wurde ein großer Erfolg. Mehr als vier Millionen verkaufter Singles und zwei Millionen verkaufter Alben machten diese britischen Kids von Nebenan zu Pop-Gatecrashern, nein, sagen wir es ruhig, zu Popstars. Die ersten zwei Jahre nach "We Started Nothing" verbrachten die Ting Tings damit, auf Tour zu sein, aber dann? Das berühmt berüchtigte "schwierige" zweite Album wollte in Angriff genommen werden, und in der Tat erwies es sich - zumindest eine ganze Weile lang - als ganz und gar nicht einfaches Unterfangen.

Britisches duo The Ting Tings

Ting tings

This Is Pop?

Kinderkram, sagt meine englische Freundin K. im Frühjahr 2009 - über die Ting Tings. K.s kleine Tochter ist in der Tat glühender Fan, da trifft es sich gut, dass ich sozusagen als Gastgeschenk das Album der Ting Tings mitbringe, signiert natürlich - beim Flex-Konzert der Band - samt Widmung für dieses englische Mädchen C., das die Ting Tings liebt, während ihre Mutter - außer Hörweite der Tochter - noch immer schnaubt, welch unfassbar schlechte Musik diese Ting Tings doch machen. Ich diagnostiziere - natürlich nur unausgesprochen, man will ja nicht unhöflich sein zur Gastgeberin - eine klitzekleine Portion Neid bei K., schließlich ist sie selbst auch Musikerin, hat aber keine Millionen Platten verkauft.

"This could have been perfection, but we had a little sense, so we started all again." ( "Give It Back" - The Ting Tings, 2012)

Katie White und Jules de Martino begannen also mit dem Nachfolgealbum zu "We Started Nothing". In Berlin. Ein großes Dancepop-Album sollte es werden, und Berlin würde wohl für einen guten Schuss Technoinspiration sorgen. Katie und Jules kamen gut voran. Fast war man schon fertig, samt Titel. "Kunst" könnte der Longplayer heißen. Ein cooler teutonischer Titel für das neue Album der zwei Brits. Die Leute von der Plattenfirma kamen vorbei, wippten mit den Füßen und drückten Begeisterung aus. Braves Mädchen, braver Bub, gut so, das wird ein großes Ding werden. Die Musikindustrie in der Krise? Ach wo, wir haben ja die Ting Tings im Stall, gute Pferde, die ziehen ordentlich.

Rip It Up

Nein, Katie White ist keine Zynikerin. Die Begeisterung der Plattenfirmaleute war aufrichtig und gut gemeint, sagt sie heute, mit etwas Abstand zu den Ereignissen, aber den beiden Hauptakteuren, Katie und Jules, fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen, dass ihre neuen Songs gar nicht das waren, was sie eigentlich wirklich wollten. Einstampfen hieß das simple, aber doch auf gewisse Troubles hinauslaufende Wort. Was würde die Plattenfirma sagen zu diesem bedrohlichen Wort "einstampfen"? Was wenn sie uns "droppen", uns fallen lassen? Noch schlimmer: Was, wenn sie uns zwingen, die Stücke doch zu veröffentlichen? Sechs bereits fertig aufgenommene Songs mussten dran glauben. Die Ting Tings hatten eine größere Panikattacke und flohen aus Berlin. Ob die Plattenfirma ob dieser Entwicklung auch eine mittlere Panikattacke bekam, ist nicht bekannt. Auf Konfrontation setzte die Company, Columbia, aber schließlich nicht, und das war auch der klügere Schritt.

Britisches Duo Ting Tings Katie und Jules.

Ting Tings

Wir hatten immer alleine an Songs gebastelt, erzählt Katie White im FM4 Interview - damals in Manchester, bevor wir so bekannt wurden. Wir waren in erfolglosen Bands gewesen, und wir spielten vor neun Leuten in Wohnzimmern. Wir konnten einfach nicht damit umgehen, dass wir nun ständig sämtliche Mitarbeiter der Plattenfirma um uns hatten, die uns sagten, wie toll wir wären, und die jeden neuen Ton, den wir einspielten, hören wollten, um in Lobeshymnen auszubrechen. Wir wussten schließlich nicht mehr, ob uns diese Songs gefielen, weil sie uns gefielen, oder ob wir sie nur gemocht hatten, weil die Plattenfirma sagte, dass sie toll sind.

Katie White:
"We had songs that are pop songs in the past, but we never acted like a pop band. It was just convincing people to remember that on the fist album we didn´t act like a pop band and it was successful. The second album, why do we suddenly have to be this marketed machine? It took a while, but everybody is on the same page now, so it´s good."

Start Again

Aus Berlin geflohen, wagten die Ting Tings in Spanien einen Neuanfang. Der geplante Albumtitel "Kunst" war Geschichte, stattdessen bot sich "Sounds From Nowheresville" an - weil man sich an jenem Ort im Süden von Spanien tatsächlich ein wenig inmitten von Nirgendwo fühlte, im Gegensatz zu Berlin jedenfalls, und "Sounds From Nowheresville" passte auch als Überschrift für den insgesamt konfusen Zustand der beiden.

"This time I´m gonna get it right", singt, oder besser, spricht Katie White im Stück "Guggenheim". Sie wiederholt es immer wieder, damit es nur ja wirkt. Und schließlich singt/spricht sie: "I´m gonna play my bass at the Guggenheim." Von Manchester nach New York City? Das ungewöhnliche Pärchen Ting Tings - sie, 29, extrovertiert und redselig, er, 42, zurückhaltend und still - als (sympathische, süße) art terrorists? Ein Fan von Debbie Harry und Blondie war Katie White schon immer, aber das hier? Inspiriert von Patti Smiths "Horses" vielleicht? Oder von der New Wave-Sängerin Cristina Monet und ihrer 1980er Spoken-Word Version vom 1969er Peggy Lee Hit "Is That All There is?"?

Britisches Duo Ting Tings.

Ting ings

Drei Alben geben die Ting Tings als "lebensrettend" an - überhaupt und besonders in jener für sie nicht einfachen Zeit. Diese drei Platten haben "Sounds From Nowheresville" dann auch maßgeblich inspiriert:

"77" von den Talking Heads, "Tusk" von Fleetwood Mac und "Paul´s Boutique" von den Beastie Boys. Ersteres ist das Debutalbum der der New YorkerInnen David Byrne, Tina Weymouth, Chris Frantz und Jerry Harrison, ein Klassiker, entstanden im Jahr 1977, der das Stück "Psycho Killer" enthält. "Tusk" ist ebenfalls ein klassisches Album der Popgeschichte - experimenteller als das zwei Jahre zuvor erschienene "Rumours", und überhaupt mehr Punk und New Wave zugeneigt als dem Blues oder dem Westcoast-Hippietum, wie sonst üblich bei Fleetwood Mac.
Und schließlich "Paul´s Boutique", das 1989 erschienene, zweite Album der Beastie Boys, das als Klassiker des Hip Hop gilt, auch wenn es erst - nach "Licensed To Ill", dem Debut der Beasties - als eine Art Rohrkrepierer erschienen war.

Ich bin ja nicht sicher, ob die Ting Tings die bereits aufgenommenen Songs dann tatsächlich auch einstampften, oder ob doch die Plattenfirma noch schnell eingriff - wie Jules De Martino auch selbst sinniert in einem der Songs - und die Stücke kopierte, bevor sie in die Mülltonne geschubst wurden. Irgendwann könnte da also ein verlorenes Album der Ting Tings erscheinen. This is the long lost album of Machester´s legendary Ting Tings könnte es also einmal heißen. Bleiben wir aber im Hier und Jetzt, bei den elf Songs, die es auf das schließlich recht eklektische "Sounds From Nowheresville" schafften. Raus aus der brittle bratty punk pop Formel, hinein ins schier Grenzenlose. Wer das dem Mädchen Katie und dem Buben Jules nicht zugesteht, selbst schuld.

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Die Songs

Albumcover Ting Tings zweites Album "Sounds From..."

Columbia

"Sounds From Nowheresville" von den Ting Tings ist bei Columbia/Sony erschienen.

  • "Silence": Electro-Rock-Hymne. Erinnert an die frühen New Order. Oder die Melodie an die Eurythmics?
  • "Soul Killing": Reggae-inspiriert. Tolles Schlagzeugspiel von Jules de Martino.
  • "Guggenheim": Toller spoken-word-Monolog.
  • "Hang It Up": Hip Hop meets Hard Rock. Shouting, not rapping.
  • "One By One". Techno Pop.
  • "Day To Day": Verträumter R&B. Von der 90er Jahre US-Girlband TLC beeinflusst. Singing, not shouting.
  • "In Your Life": Euphorische Ballade. Gitarren, Cellos.
  • "Help": Einer der (überlebenden) Songs aus der Zeit in Berlin. Interessantes Arrangement.
  • "Hit Me Down Sonny": Make out like Speedy Gonzales, finito, a liar, lya - iya, think I´m on fire. Was?
  • "Give It Back": Snotty defiance. Therapie. Die schwere Geburt des neuen Albums, zusammengefasst in einen 3 Minüter.