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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

24. 2. 2012 - 16:18

Rockstars aus dem Club

Das französische Elektronik-Duo Justice war zu Gast in Wien.

Ich ärgere mich bis heute, dass ich Justice 2006 in Graz nicht gesehen habe. Damals waren sie, man mag sich das heute kaum noch vorstellen, Teil des avantgardistischen Club-Programms beim elevate-Festival. Justice begründeten gemeinsam mit Bands wie Digitalism, Boys Noize und dem wieder aus der Versenkung aufgetauchten Mr. Oizo die Speerspitze einer neuen Bewegung der elektronischen Tanzmusik, die musikalische Reduktion und Subtilitäten gegen maximale Wucht und auffälliges Auftreten eingetauscht hat. Es war eine kleine Revolution, die über verzerrte Synthiesounds, stampfende Bassdrums, toxische Knicklichter und bunte Gewänder ausgetragen wurde und schließlich in das mündete, was man heute grob unter dem Subgenre Electro-House zusammenfasst.

Fast forward ein halbes Jahrzehnt und Justice sind eine Stadionrock-Band, mitten im Mainstream angekommen und dort fix verankert. Nicht nur im elektronikverliebten Europa stemmen Schüler/innen und Student/innen allerorts schwere Beats. Auch in den USA, wo vormals neuartige Musikstile meist länger brauchen, um im Pop aufzugehen, ist Justice mittlerweile ein Unterhaltungsgarant für einen beträchtlichen Teil der Altersgruppe 16 bis 25.

Ein großes, weiß beleuchtetes Kreuz inmitten einer Wand aus elektronischen Audiogeräten.

Christian Stipkovits

Civilization

Mit ihrem erst zweiten Album "Audio Video Disco" tourt das französische Duo nach längerer Live-Pause nun wieder und ist gestern, am 23. Februar, im Wiener Gasometer angekommen. Von den ehemals überdrehten und offensiv gekleideten Partymenschen aus der Urzeit von Justice entdeckt man im Publikum kaum noch jemand, dafür sind die vielen neuen Fans gekommen und haben all die sägenden Hooks im Ohr und die eingängigen Vocal-Samples auf den Lippen. Das weiß beleuchtete Kreuz, das wunderbar überhebliche Logo von Justice, dessen starker religiöser Symbolismus einfach ignoriert oder im Falle von fast schon blasphemischen Momenten (dazu später) für sich selbst übernommen wird, ist schon auf der Bühne montiert und sorgt für erste Jubelmomente. Auch immer dabei: Die mittels Marshall-Verstärkern und heftig blinkenden Audiogeräten plakativ dargestellte Wall of Sound.

Bereits in den ersten Minuten des Konzertes bestätigt sich die Vermutung, dass Justice trotz des gitarrenlastigen Prog-Rock-Charakters von "Audio Video Disco" nicht ansatzweise daran denkt, Livemusiker auf die Bühne zu holen oder uncoole Bühnenansagen zu machen. Der artifizielle Glamour und die Club-Atmosphäre von früher sollen und dürfen nicht verwässert werden. Das ist einerseits konsequent, doch hier lauert auch ein Grundproblem von Justice im Jahr 2012: das völlige Ignorieren der neuen Situation der Band, die jetzt auf großen Bühnen steht und ein komplett neues und vor allem zahlenmäßig größeres Publikum vor sich hat. Zwei wippende Hanseln hinter einem noch so protzigen Podest werden den Umständen nicht mehr gerecht. Oder so würde man glauben.

Gaspard Augé und Xavier de Rosnay hinter ihrem Pult, de Rosnay mit offenem Mund und verblüffter Mimik.

Christian Stipkovits

Gaspard Augé (links) und Xavier de Rosnay

Einfach Spaß, gemma Gas

Den Gästen zu urteilen machen Gaspard Augé und Xavier de Rosnay freilich gar nichts falsch. Kreisch, Jubel, Kreuzzeichen: der Herrgottswinkel der Großeltern wurde von überdrehten Enkeln für diesen Abend beklaut und auf manchen T-Shirts blinkt das Cross-Symbol sogar in dicken LED-Lämpchen. Elemente aus einzelnen Songs werden zu spontanen Mashups zusammengewürfelt und sorgen so für doppelten Wiedererkennungswert und potenzierte Euphorie im Publikum. Zeit für Experimente bleibt da keine, aber nach denen sucht Justice auch schon länger nicht mehr. Notwendig sind sie nicht und obwohl Augé und de Rosnay von ihrem eigenen Erfolg sichtbar gelangweilt sind, haben leicht zu begeisternde Fans und deren devote Hingabe dann auch wieder ihren Reiz.

Wer nicht bereits durch einzelne Sounds und Snippets in unmittelbaren Erregungszustand zu versetzen ist, hat es hingegen schwer, in Stimmung zu kommen. Der Sound wirkt matschig und entfernt, was in diesem Fall besonders absurd ist, weil die Heftigkeit von Justice-Tracks ja genau dazu gedacht ist, dass sie einen ergreift und wegbläst. Stattdessen hat man auch in der Mitte des Raumes das Gefühl, man würde ganz hinten stehen oder gar nicht live dabei sein sondern bloß einen Konzertmitschnitt auf DVD sehen. Erst weitere Bierspritzer und die "Audiooooo!!!"-Rufe vom gut gelaunten Besucher links von einem lassen wissen, dass man eben doch mittendrin statt nur dabei ist.

Oh, Don Piano

Nach zwei Dritteln des Konzerts gibt es dann doch einen Wechsel des Bühnensettings. Kreuz und Gerätschaften trennen sich automatisiert langsam und würdevoll in der Mitte in zwei Teile und machen die Sicht frei auf Gaspard Augé, der nun - wie im Video zu "Audio Video Disco" - mit dem Rücken zum Publikum am Keyboard sitzt und das einzige klassische Live-Element des Abends zelebriert. Dabei hilft die schicke Lichtshow, die nicht via klassische Visuals umgesetzt wird, sondern durch aufwändig auf Verstärker, Geräte und Wand angebrachte Minileuchten, die für bunte Farben, Sequenzen und Formen programmiert sind. Höhepunkt der visuellen Darbietung: Ein Sternenhimmel mit glaubwürdiger Tiefenwirkung.

Xavier de Rosnay blickt konzentriert auf sein Notebook.

Christian Stipkovits

Kurz nachdem man sich mit dem Abend dann doch arrangiert hat, folgt sein beklemmendster und seltsamster Moment. Es bildet sich ohne klar ersichtlichen Grund eine Schneise in der Mitte des Saales, von der Bühne bis zum Eingang. Das Publikum hat sich auf den Boden gesetzt, anscheinend, um ihren Elektro-Götzen zu huldigen und eine körpergesenkte Minute der Ehrfurcht einzulegen. Justice wirken unbeeindruckt (Ist es ein Konzert-Meme, von dem Uneingeweihte nichts wissen?), Xavier und Gaspard strecken würdevoll ihre Hand in die Feierluft und kurz danach geht es wieder normal weiter in die letzte Teilstrecke des Auftritts.

Nach gut einer Stunde und zwei ziemlich komplett durchgespielten Alben fehlt mehr Input, aber das ist das kleinste Problem. Zum Rausschmeißen gibt es noch ein Medley der Greatest Hits, angeführt von einem Pendel zwischen "Phantom" und "We Are Your Friends", jenem Rework des Simian-Stücks "Never Be Alone", mit dem das alles hier begonnen hat. Öffentlich werden die beiden wohl wirklich nie wieder alleine sein.