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Markus Zachbauer

Bildung und Einbildung, die Herrscher der Welt. Lifelong Learning in der FM4 Internet-Redaktion.

23. 2. 2012 - 12:52

Ja nix anfassen!

Österreich ist wohl das einzige Land auf der Welt, in dem nicht einmal der Gesetzgeber weiß, ob es jetzt Studiengebühren gibt oder nicht.

Das österreichische Hochschulsystem liegt da wie ein Scherbenhaufen. Die Reaktion der Politik ("Sicherheitshalber mal nicht anfassen") ist deshalb zwar irgendwie nachvollziehbar, aber zum einen nicht sehr mutig, zum anderen entspricht sie auch nicht ganz der Jobdescription. Das aktuelle, beispiellose Gemurks bei den Studiengebühren ist da geradezu symptomatisch.

Was war passiert?

Ein kurzer Blick in die 70er Jahre: Im Zuge der Universitätsreformen wurde der Besuch von Hochschulen in Österreich gebührenfrei. Die Idee dahinter: Prüfungsgebühren und ähnliches sollten keine Hürden darstellen, auch Menschen aus bildungsfernen Schichten sollte ein Studium möglich sein.

Ab nun galt der "Freie Hochschulzugang" über Jahrzehnte als Heilige Kuh des Österreichischen Bildungssystemes. Im September 2000 wurde die dann unter Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer aber doch geschlachtet. 5000 Schilling (später dann cent-genau umgerechnet auf 363,36 €) sollte ein Semester für ÖsterreicherInnen und Studierende aus dem Europäischen Wirtschaftsraum kosten. Für alle anderen das Doppelte.

5000 Schilling

APA/Schlager Roland

Die SPÖ schreibt sich nun die "Abschaffung der Studiengebühren" auf die Fahnen, und tut sich dann - als sie im Jahr 2007 an die Regierung kommt - entsprechend schwer damit, zu erklären, warum die Gebühren doch bleiben.

Im September 2008 zerbricht die damalige Koalition aus SPÖ und ÖVP. Und kurz bevor die nächste Koalition aus (Überraschung!) SPÖ und ÖVP ihr Amt antritt, werden im "freien Spiel der Kräfte" die Gebühren von SPÖ, FPÖ und Grünen wieder abgeschafft.

So geht zumindest die Legende. Tatsächlich wurden nicht die Gebühren abgeschafft, sondern es wurden jede Menge Gründe eingeführt, wann man sie nicht bezahlen muss. Unter anderem dieser: Studieren in Mindeststudienzeit (+1 Semester pro Studienabschnitt) sollte gratis sein.

Interessanterweise lag genau in dieser Regelung der dickste Hund begraben. Die Aufteilung der Studien in "Abschnitte" ist ein Relikt aus der Prä-Bologna-Prozess-Ära. Die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge haben keine entsprechende Unterteilung.

Der Verfassungsgerichtshof befand deshalb im Sommer letzten Jahres: Weil unklar sei, wie die Regelungen auf die neuen Studienpläne angewandt werden müssen, müssten sie entweder entsprechend repariert werden, oder sie verlieren Ende Februar 2012 ihre Gültigkeit.

Zu so einer Reparatur ist es allerdings in den letzten acht Monaten nicht gekommen. SPÖ und ÖVP sind sich in der Sache nach wie vor nicht einig und glänzten so ganz einfach im Nichtstun.

Karlheinz Töchterle und Claudia Schmied

APA/ROLAND SCHLAGER

Kassieren oder blamieren

Die Konsequenz ist unklar. Das nun fehlende, weil ungültige, Gesetz reißt eine Lücke ins System. Und die Gelehrten streiten sich, mit welcher anderen Regelung die denn nun zu füllen sei.

Ein vom Wissenschaftsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten sagt: Im Grunde sind nur die Ausnahmeregelungen gekippt, den Unis steht damit ab sofort frei, Gebühren in beliebiger Höhe einzuheben.

Ein Gutachten des Bundeskanzleramtes kommt zu einem anderen Ergebnis: Kein repariertes Gesetz zu Studiengebühren bedeute eben keine Studiengebühren.

Die Politik schiebt damit den "Gestaltungsauftrag" an die einzelnen Universitäten weiter, die mit dieser neuen grenzenlosen Freiheit aber gar nicht so viel Freude haben. Bildungspolitik wird normalerweise nicht im Rektorat gemacht.

Während SPÖ und ÖVP sich jetzt frei nach dem Motto "mit denen war da ja nicht zu reden" gegenseitig die Schuld für die jetzt entstandene Gesetzeslücke zuschieben, beginnen die Unis langsam, sich mit dem Gedanken anzufreunden, ab dem Wintersemester selbstständig Gebühren nach den derzeit gültigen Regeln einzuheben.

Sollte das nämlich eventuellen Klagen im Nachhinein standhalten, würde eine Universität, die darauf verzichtet zwar irgendwie nett, aber schon auch irgendwie blöd dastehen. Und beim nächsten Hinweis auf die chronische Unterfinanzierung wäre ein "Aber bitte, ihr hättets ja ... wir haben's euch doch gesagt ... da seid ihr jetzt schon selber Schuld!" aus dem Wissenschaftsministerium wohl vorprogrammiert. Weil: Eh kein Geld haben und dann auf die Chance auf ein paar Millionen Euro zu verzichten, das geht natürlich gar nicht.

Dass die Unis mangels Rechtssicherheit dafür aber das Risiko von Klagen eingehen müssen, sei "ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat", beschwert sich die Universitätenkonferenz. Nicht ganz zu unrecht.