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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

21. 2. 2012 - 17:31

Wie ein wildes Haus voll Liebe

"Hotel Amour", das neue Album des Produzenten-Teams Terranova, ist die geschmeidige Symbiose von House-Track und Popsong.

Die Konstante im Schaffen von Terranova ist das Flatterhafte. Personal-Rochaden im Bandgefüge deluxe, längere Auszeiten und die Durchdeklinierung von so gut wie jedem zweiten Style, der auf und knapp neben dem Dancefloor Platz hat, haben die mindestens 15-jährige – wenn man nur mal grob nach Tonträgerveröffentlichungsdatum rechnet – "Karriere" geprägt.

Vom Fundament von smartem Downbeat und HipHop, das im, man kann das ab und zu schon auch so sagen, legendären Beitrag von Terranova zur prinzipiell fast immer sehr guten DJ-Kicks-Reihe, eindrucksvoll dokumentiert war, haben sich die Herren im Laufe der Jahre immer wieder, mal nach da, mal nach dort, entfernt – ohne jedoch die eigene Geschichte zu leugnen – und so beispielsweise die Felder von Techno, von Post-Punk zehrendem Dance-Rock der Marke DFA oder von knackigem Funk gut durchpflügt.

Dass auf "Hotel Amour", dem neuen, fünften regulären Album von Terranova, wieder wild wuchernde Vielschichtigkeit herrscht, darf man schon beim Durchblicken der Gästeliste erahnen: Eine Handvoll befreundeter Stimmen hat die neuen Tracks von Terranova veredelt und atmosphärisch in die unterschiedlichsten Gemütslagen gebogen.

Terranova

K. Bunse

Terranova: &ME & Fetisch

Mittlerweile besteht Terranova aus den beiden Produzenten und DJs Fetisch – das einzige verbliebene Urmitglied – und &ME, der aktuell auch solo vermehrt mit tiptop Produktionen für das Label keinemusik von sich reden macht. Unter dem pragmatischen Namen "Fetisch&ME“ haben die zwei Herren schon für die Münchner von Gigolo dunkle Schweiß- und Sexmusik gebastelt und mit dem Projekt Lottergirls Schweinerock Richtung Dancefloor geformt, mittlerweile sind sie als immerhin vorübergehend stabil scheinende Einheit Terranova beim Kölner Traditionshaus KOMPAKT gelandet. Auf so ein tendenziell formoffenes, jedoch stets in einer unverkennbaren Ästhetik geerdetes Label wie KOMPAKT gehört so eine Platte wie "Hotel Amour" auch hin.

Als loser Ausgangspunkt und Energiespender für "Hotel Amour" kann ein Bootleg von Justin Timberlakes "My Love" gelten, das Fetisch und &ME vor ein paar Jahren wohl nur zum Spaß und als DJ-Tool gefertigt haben: Bei einem gemeinsamen Auftritt aber erkannten Terranova in Thomas Hoffding von der dänischen Disco-Kapelle WhoMadeWho den passenden Sänger für eine echte, sauber ausproduzierte Coverversion des Stückes - die jetzt auf "Hotel Amour" unter dem Titel "Paris is for Lovers (My Love)" firmiert.

Terranova

K. Bunse

Liebe, Soul und House sind die Pfeiler, auf denen das "Hotel Amour" ruht. Im echten Leben ein tatsächlich existierendes Hotel in Paris, beliebt bei Künstlern, Musikern und dergleichen, ausgestattet mit individuell gestalteten Zimmern - und während der Produktionsprozesses von Fetisch und &ME gern aufgesuchtes Kaffee-Hang-Out. Das Hotel hält nun als Metapher für die Platte her, als Haus mit vielen Räumen, durch die munter die Styles und Vibes flirren.

Terranova Hotel Amour Albumcover

KOMPAKT

"Hotel Amour" von Terranova ist bei KOMPAKT erschienen

Neben Thomas Hoffding haben Terranova Schauspielerin und Regisseurin Nicolette Krebitz, die immer gut durchgeknallten Disco-Crooner Snax und Khan und Billie Ray Martin zum Gesang geladen, die als "Grande Dame des elektronischen Soul" zu bezeichnen, wohl kaum vermessen wäre. Und Udo Kier. Udo Kier. Der flüstert und haucht dann diabolisch.

Ein bisschen ist die neue Platte von Terranova - wenn auch nicht als konfrontativer Gegenentwurf, es geht schließlich um amour, konzipiert - die Antithese zur aktuellen Vorliebe nicht weniger Produzenten, beim Musikmachen großteils auf echt angreifbare, analoge Gerätschaften zurückzugreifen: "Hotel Amour" ist zwischen den Wohnsitzen Berlin und Paris fast komplett digital an einem Laptop entstanden - an ein, zwei Stellen hat man vielleicht eine Gitarre direkt ins Gerät eingespielt, irgendwo faucht mal eine Orgel.

Was der Deepness der Platte keinen Abbruch tut. Geschmeidig wogt "Hotel Amour" vor sich hin. Übertrieben knallende und rotzende Hände-in-die-Luft-Momente, die in den letzten 10 Jahren soviele Dance-Produktionen, die manch einer gerne "Electro" nennt, dominiert haben, haben Terranova vermieden. Was keineswegs bedeutet, dass das hier langweilig wäre. Auf "Hotel Amour" wird wieder einmal - in diesem Falle nahezu perfekt und unaufdringlich - die oft zitierte Verwischung von Dance-Track und Popsong vollzogen. Man merkt es aber gar nicht. Auch wenn allzu große Sensationen ausbleiben: Disco-Schunkler im Midtempo-Bereich, die Hüften zucken machende House-Geräte für den Tanzboden und dreiviertelekstatischer Funk fügen sich hier zu einem sehr guten Album, das bei aller Vielstimmigkeit durchgehend in einer einheitlichen Farbe glüht - und als Album-Album im Gesamt-Konzept-Sinne ebenso verstanden werden kann, wie als eine Art Singles-Collection. This is the house that love built.