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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

21. 2. 2012 - 15:14

Fußball-Journal '12-4.

Zwischenzeiliges Politikertum und der Tanz um die Medienlogik: Teamchef Marcel Koller hat das System Österreich kapiert.

So wie in den Vorjahren (das war das Fußball-Journal '11) gibt es auch heuer wieder ein Fußball-Journal '12, das die heimische Bundesliga, den Cup, Nationalteam und ÖFB, den Nachwuchs, das europäische Geschäft und das bizarre Umfeld begleitet.

Extras: nach dem Afrika-Cup-Journal '12 kommt im Juni ein Special zur Euro, im Sommer ein Journal zu dem London-Olympics und auch ein (anders als im Journal '11) nicht tägliches und anlass-bezogenes Journal 2012.

Heute: der Bericht zur Kaderbekanntgabe-Pressekonferenz des ÖFB zum Testspiel gegen Finnland, am 29. 2. in Klagenfurt, die von Marcel Koller absolviert wurde. Hier Koller-Aussagen bei abseits.at und hier ein längeres Gespräch bei 90minuten.at.

Der Kader für das Spiel gegen Finnland in Klagenfurt:

Tor: Robert Almer (Düssel-dorf/DEU), Heinz Lindner (Austria), Christian Gratzei (Sturm).

Abwehr: György Garics (Bologna/ITA), Aleksandar Dragovic (Basel/SUI), Emanuel Pogatetz (Hannover/DEU), Christian Fuchs (Schalke/DEU), Florian Klein, Georg Margreitter, Manuel Ortlechner, Markus Suttner (Austria).

Mittelfeld: David Alaba (Bayern/DEU), Julian Baumgartlinger, Andreas Ivanschitz (Mainz/DEU), Yasin Pehlivan (Gaziantepspor/TUR), Jürgen Säumel (Sturm), Zlatko Junuzovic (Werder/DEU), Veli Kavlak (Besiktas/TUR), Jakob Jantscher (Salzburg).

Angriff: Guido Burgstaller (Rapid), Marko Arnautovic (Werder/DEU), Martin Harnik (Stuttgart/DEU), Marc Janko (Porto/POR), Erwin Hoffer (Eintracht Frankfurt/DEU).

Auf Abruf: Lukas Königshofer (Rapid); Ekrem Dag, Tanju Kayhan (Besiktas/TUR), Manuel Weber (Sturm), Christopher Dibon (Admira), Christopher Drazan, Christopher Trimmel (Rapid), Philipp Hosiner (Admira), Roman Kienast (Austria), Stefan Maierhofer (Salzburg).
Dibon und Drazan spielen U21.

Verletzt: Jürgen Macho (Panionios/GRE), Pascal Grünwald (Austria) Tanju Kayhan (Besiktas/trotzdem nominiert!), Sebastian Prödl (Werder/DEU), Andreas Ibertsberger (Hoffenheim/DEU), Paul Scharner (WBA/ENG), Franz Schiemer, Christoph Leitgeb (Salzburg), Andreas Hölzl (Sturm), Thomas Schrammel (Rapid).

Rücktritt: Martin Stranzl (Gladbach/DEU/verletzt), Alexander Manninger (Juve/ITA). Eventuell bekehrbarer Deutscher: Moritz Leitner (BVB/DEU)

Ohne Beobachtung: Mika Gspurning (Seattle/USA), Markus Berger (Odessa/ UKR), Roman Wallner (Leipzig/DEU) Andreas Lasnik (Breda/NED), Thomas Piermayr (Inverness/SCO).

Ohne Spielpraxis: Ümit Korkmaz (Frankfurt/DEU), Rubin Okotie (Sturm), Roland Linz (Austria), Florian Mader, Alexander Greünwald, Tomas Simkovic (Austria).

Im Blickfeld: Ramazan Özcan (Ingolstadt/DEU), Darko Bodul (Sturm), Anel Hadzic (Ried), Patrick Bürger (Mattersburg), Michael Liendl (Austria), Mario Sonnleitner, Harald Pichler (Rapid) uam...

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Der erste U21-Kader von Werner Gregoritsch für das Testspiel am 29. Februar in Villarreal (!) gegen die Schweiz:

Tor: Samuel Radlinger (Hannover/DEU), Jörg Siebenhandl (Neustadt)

Abwehr: Christopher Dibon, Richard Windbichler (Admira), Emir Dilaver (Austria), Maximilian Karner (Ried), Patrick Farkas (Mattersburg), Michael Schimpelsberger (Rapid), Christian Klem (Sturm).

Mittelfeld: Florian Kainz (Sturm), Tobias Kainz (Heerenveen/NED), Stefan Schwab (Admira), Daniel Schütz (Innsbruck), Christopher Drazan (Rapid), Raphael Holzhauser (Stuttgart/ DEU), Daniel Royer (Hannover/DEU).

Angriff: Andreas Weimann (Aston Villa/ENG)
Deni Alar (Rapid), Marco Djuricin (Hertha/ DEU), Dario Tadic (Austria).

Auf Abruf: Andreas Leitner (Admira); Remo Mally (Austria), Martin Hinteregger, Georg Teigl (Salzburg), Lukas Rath (Mattersburg), Mario Grgic, Dieter Elsneg (KSV), Christopher Wernitznig (Innsbruck), Marco Meilinger, Robert Zulj (Ried).

In Zeiten des Schreckens (denn das hätte auch den ÖFB-Granden einfallen können...) ist es mehr als angenehm einen österreichischen Teamchef zu erleben, der praktisch jede seiner Handlungen, jede seiner Personalien und jedes seiner Vorhaben hinreichend erläutern und so nachvollziehbar machen kann. Nach dem auf Planlosigkeit und Wurstigkeit basierenden Gegrunze der Vorgänger ist Marcel Koller also echtes Balsam auf jahrelang brutal blutiggeschlagenen Wunden.

Der Schweizer ist allerdings zu sehr ein Manager inmitten der modernen Fußball-Lehre um sich nicht darüber im Klaren zu sein, dass er - aller offenen Worte zum Trotz - keine Flanke aufmachen darf, auf der ihn die Medien (in denen seine Gegnerschaft, die altinternationale Coaching-Mafia, egal welcher Altersklasse ihre Giftpfeile basteln und abschießen darf) dann irgendwann einmal kalt erwischen werden.

Aktuell ist das der (üble) Zustand der Bundesliga.
Die wurde vor ihrem Saisonstart, selbst von an sich analytischen Menschen wie Paul Gludovatz, schöngeredet, dass die Schwarte nur so krachte, nur um in den ersten beiden Frühjahrsrunden an Erbärmlichkeit kaum noch überbietbare Vorstellungen abzuliefern (mit einer internationalen Brachial-Demütigung als Höhepunkt).

Die geschickte Rücksichtnahme auf patriotische Medienlogik

Das ÖFB-Team, das im ersten Koller-Versuch eh schon nur mit einem einzigen Liga-Spieler auskam, wird im 2. Anlauf womöglich eine reine Legionärstruppe sein. Trotzdem muss Koller die Liga bei Laune halten. Schließlich hat er mit Bayern, Werder, Hannover, Besiktas und Porto nur hin und wieder, mit den großen Vier hierzulande (und vor allem deren Lobbyisten in den lokalen Medien) aber andauernd zu tun.

Also: selbst wenn dieselben Regional-Chauvinisten jetzt mundgerecht aufgelegt bundesliga-kritische Fragen stellen und so zu einer realistischen Einschätzung derselben einladen - sie würden nicht zögern die von ihnen suggestiv geforderte Kritik schon übermorgen gegen Koller zu verwenden, um ihn als Nicht-Patrioten fertigzumachen. Diese Medien-Logik ist nicht einmal bewusst perfid, sie folgt (vergleichbar mit dem was Politiker seit Jahren machen) ausschließlich der via Umfragen/Gefühl/Lobby-Taktgeber inszenierten Volks-Befindlichkeit.

Also schlägt Koller Brücken. Spricht von der Sinnlosigkeit des Vergleichs mit den Deutschen und deren Liga, lobt die Nachwuchsarbeit, betont die Bedeutung der Spielbeobachtungen (und er sitzt praktisch spieltäglich in einem Stadion).

Die dezent angebrachte Wahrheit über die Bundesliga

Zwischen den Zeilen lässt er tief blicken. "Wir haben uns zu kümmern", sagt er einmal. Und als der Kollege Fiala von 90minuten eine Fangfrage zur vollständig nominierten Austria-Abwehr stellt, entfleucht Koller sogar die ganze Wahrheit. Diese Spieler müssten sich ohnehin an das, was der ÖFB-Trainerstab von ihnen fordert, anpassen - "sie müssen sich umstellen".

Bislang, unter Daxbacher, legte die Austria-Abwehr ein offensives High-Risk-Spiel an den Tag, schob die beiden Innenverteidiger gern auf die Seiten um so beide Außenverteidiger zu zusätzlichen Angreifern zu machen - ganz so, wie das Koller im Ukraine-Spiel (nur zur Erinnerung: mein damaliges Fazit und hier noch die nachträgliche Analyse des deutschen Taktikblogs Spielverlagerung) praktiziert hatte.

Unter Vastic spielt dieselbe Abwehr so vorsichtig und stocksteif wie unter Constantini - was zwar "die Null stehen" lässt, aber die Austria des Vorteils, den sie allen Mitbewerbern gegenüber hat, beraubt: ihrer Kreativität nach vorne. Im Derby etwa rehhagelte sich die neue Austria Wien zu keinem einzigen wirklich gelungenen Angriff, und so auch zu keiner echten Torszene.

Was Koller natürlich vor Probleme stellt; die er nur implizit anspricht, um seine Partner in der Liga nicht zu verprellen. In Wahrheit ist das, was Vastic die Austria aktuell spielen lässt eine absurde Verhinderung international Anschluss zu finden. Ähnliches gilt letztlich auch für Sturm und das ohnehin recht österreicherlose Salzburg. Da Ried personell eine Spur zu schwach besetzt ist, bleibt - von der Anlage her - aktuell nur Rapid. Koller lobte die interessante Variante mit dem Wühl-Stürmer Guido Burgstaller, den er gleich auch berufen hat.

Die Nachvollziehbarkeit der Kollerschen Personalpolitik

Kollers Riege der Rückkehrer: nachvollziehbar. György Garics, dessen italienisch-takisches Verständnis der Bundestrainer lobt, für die (erkannte und angesprochenene) Problemposition des Rechtsverteidigers, Jürgen Säumel und Pehlivan als Back-Ups fürs defensive Mittelfeld.
Sogar das Gwirks auf der Tormann-Position erklärt Koller zufriedenstellend. Die neuen Jangstars Siebenhandl und Königshofer werden dezent aufgebaut (U21 bzw. auf Abruf), stattdessen will er den aktuell spielpraxislosen Christian Gratzei "kennenlernen" - schon in Voraussicht auf künftige Aufgaben. Eventuell bleibt Robert Almer, trotz seiner Bankrolle bei Düsseldorf, die Nummer 1 - einfach weil er im Ukraine-Spiel gut war.

Mit dem Angriffsverhalten war man weniger zufrieden. Deshalb gibt es - im Gegensatz zur Ukraine, wo es "Feuer frei ab 30 Metern!" hieß - den Marsch-Befehl diesmal in den Strafraum einzudringen, immer mehrere Akteure in den 16Meter-Bereich zu bringen.
Das ist das vorrangige Ziel in den drei Tagen Vorbereitung. Und das bedeutet: die prinzipielle Philosophie aus dem ersten Koller-Spiel (die Abwehr steht hoch, Pressing, schnelles Umschalten in die Offensive) bleibt - und in den Angriffs-Bereich soll mehr Dynamik kommen.
Insofern passt es auch, dass man daheim gegen die leicht schwächer eingeschätzten Finnen (die allerdings über eine reine, nicht zu unterschätzende Legionärstruppe verfügen) das Spiel sowieso deutlicher gestalten muss.

Das überfällige Scharfstellen eines alten blinden Flecks

Koller kommt nur einmal echt ins Schwimmen. Nicht als er sein neues Teammitglied, den Psychologen/Mentaltrainer Thomas Graw vorstellt, mit dem er in Bochum lange Jahre gearbeitet hat. Dass dieser bislang allzu blinde Fleck im ÖFB-System endlich scharf gestellt wird - eh super, eigentlich sogar eine Sensation.

Nur: auf (logische) Nachfrage auf die Kurz/Mittel/Langfristigkeit der Wirkung, die ein Mentaltrainer in einer Mannschaftssportart haben kann, sprach Koller (ebenso logisch) davon, dass es hier nicht um ein kurzfristiges Hokuspokus, sondern um nachhaltige Wirkung gehen würde.
Auf meine konkrete Frage, wie sich diese Arbeit - nicht nur seine, sondern vor allem die seines Teams, Mentalcoach inklusive - vor allem in den nächsten drei Monaten, in denen es keinerlei Teamzusammenkunft geben wird, denn gestalten werde, reagierte Koller unendlich österreichisch: Er ging nicht einmal ansatzweise darauf ein und wich großräumig aus.

Wir haben hier also einen wunden Punkt, der auf den engen Rahmenterminplan der UEFA, aber auch auf den überfüllten Liga-Kalender und die inexistente Durchsetzungskraft des ÖFB zurückzuführen ist: Zwischen dem Länderspiel am letzten Februartag und dem Cupfinale am 20. Mai gibt es keinen Platz für gar nichts.

Das gähnende Loch der erzwungenen Inaktivität

Koller kann da Besuche machen und Einzelgespräche führen und kriegt sein Team erst in der letzten Mai-Woche für ein paar Tage zusammen. Danach müssen alle in einen kurzen Urlaub und Mitte Juni beginnt die Vorbereitung auf die Mitte Juli beginnende neue Saison. Im August ist die heiße Phase der Europacup-Qualifikationen, im September beginnt mit dem Heimspiel gegen Deutschland die Qualifikation für die WM 2014.
Sowas wie die Möglichkeit eines gezielten Trainingsaufbaus hat Koller also eigentlich gar nicht.

Insofern kann man sein politikerhaftes Geturne rund um meine Nachfrage also auch positiv erklären: anstatt constantinesk herumzusudern und sich in Selbstmitleid zu verlieren, nimmt der Schweizer die Herausforderung, aus Nichts Etwas zu formen, an. Und unternimmt bei den wenigen Zusammentreffen alles, was möglich ist.

Deshalb kommt dem Finnland-Spiel (und dann auch dem Heim/Rückspiel gegen die Ukraine) einiges an Bedeutung zu: strategische Rückfälle in alte Muster etwa wären fatal.

Die Finnen (bei denen der ältere Eremenko-Bruder, Mikael Forssell und die zurückgetretenen Altstars Jääskeläinen und Tainio fehlen) sind ein echter Prüfstein: Sie können es sich - im Gegensatz zum heimischen Tabellenführer - nämlich leisten auf den in schwacher Form befindlichen Markus Heikkinen zu verzichten.