Erstellt am: 21. 2. 2012 - 13:17 Uhr
Extremely dröge and incredibly rührselig
Sentimentally watered notierte John Updike 2005 über Jonathan Safran Foers Roman "Extremely Loud and Incredibly Close" und insofern könnte man Stephen Daldrys Filmadaption zunächst einfach nur konsequent nennen. Eine interessante Rolle nimmt dieser Film nur in einer Beziehung ein: Mehr als zehn Jahre nach den 9/11-Anschlägen ändert sich nun die Herangehensweise, in der auf der Leinwand vom worst day, wie er in "Extremly loud and incredibly close" genannt wird, erzählt wird.
Bisher gab es zahlreiche Dokus, die sich an dokumentierten Fakten und true stories abarbeitenden Dramen wie "United 93" und "World Trade Center, den Umweg über die Abstraktion wie "Cloverfield" und zahlreiche Filme, die - oft ohne jemals 9/11 zu erwähnen, das Trauma New Yorks und seiner Bewohner einzufangen versuchten.
Daldrys Film aber will Schock, Unverständnis, Angst, Verunsicherung sowie Versöhnung, Hoffnung und schließlich auch noch ein gospelchorartiges meltingpotiges one love abbilden. Er will im Kleinen - ein Junge vermisst seinen Vater - das große - das Trauma, das der 11. September verursacht hat - abbilden. Und weil der Regisseur Stephen Daldry keinen Deutungsfreiraum mag, ist im dafür jede Offensichtlichkeit recht.
warner
My heart belongs to Daddy
Als hätte es die Kontroverse um die Fotos die einen der Falling Men zeigen, nie gegeben, fliegt einem zu Beginn von "Extremely ..." Tom Hanks entgegen, ruhig, ohne Panik und vor blauem Hintergrund. Hanks spielt Thomas Schell, der sich am 11. September in einem der Türme des WTC aufhält und umkommt. Die Nachrichten, die er auf dem Anrufbeantworter zuhause hinterlässt, behält sein 10-jähriger Sohn Oskar für sich. Er tauscht den Anrufbeantworter aus und baut sich in seinem Schrank ein Mausoleum für den schmerzlich vermissten Vater.
Rückblenden etablieren Hanks als überirdisch guten, stets freundlichen, engagierten Vater, der versucht, seinen Sohn aus dem Schneckenhaus zu locken, ein Schneckenhaus, das Asperger recht nahe kommt. Oskar (Thomas Horn) hat also jede Menge Ticks und Ängste, einen enormen Wortschatz und großes Allgemeinwissen. Für die Viel-Fernseher: Steckt Sheldon Cooper, Monk, House und den Mentalist in eine Rührmaschine und schrumpft das Ergebnis auf einen blassen Jungen im Strickpullunder.
warner
New Yorker Schnitzeljagd
Was als harmonisch arrangiertes Kaleidoskop von Familienszenen beginnt, die klar machen, was für eine kluge Wahl es war, Hanks als diesen Familienvater und Opfer der Anschläge zu besetzen, weil er sich als amerikanischer Jedermann ins kollektive Gedächtnis gespielt hat, gerät aus der Balance, wenn sich Oskar zu einer New York Erkundungsreise aufmacht. Auf der Suche nach dem Bestimmungsort eines Schlüssels, von dem er annimmt, dass sein Vater ihn ihm hinterlassen hat, durchforstet er die Stadt, trifft weinende Frauen, freundliche Großfamilien, weise alte Damen aber auch eine Frau, die ihm die Tür vor der Nase zuschlägt.
Man kann es ihr nicht ganz verübeln, Oskar ist altklug, prätentiös und anstrengend. Dass er nicht voll und ganz als Sympathieträger eingesetzt wird, macht die unendliche lange Odyssee mit ihm nicht wirklich erträglicher, andererseits ist eine sperrige Kinderfigur auch eine Abwechslung zu den Kindchenschemata auf zwei Beinen, die üblicherweise auf die Leinwand geschickt werden.
warner
Daldry, der Captain Obvious
Oskar ist ein Meister des analytischen Denkens, liebt Landkarten, Ordnungssysteme und Listen. Der worst day, Verlust und Schmerz sind aber mit Analyse nicht zu bewältigen. Genauso wenig wie New York, da nutzen die ganzen Stadtpläne nichts. Es ist das gute alte "Wie man in den Big Apple reinbrüllt, so hallt es zurück"-Regel, die bemüht und auf die ganze Welt ausgedehnt wird. Stephen Daldry ist ein Regisseur, der nichts den Assoziationen des Publikums überlassen will, er nimmt einen nicht bei der Hand. Man rennt mit ihm wie in "Flucht in Ketten" durch Handschellen aneinandergeschweißt durch den Film. Er traut noch nicht mal seinen Bildern zu, dass sie die Botschaft sicher von der Leinwand ins Publikum senden und setzt unzählige Male Oskars Voice Over ein, damit wir auch noch hören, was wir ohnehin grad sehen.
Binsenweisheiten und Banalitäten
Und weil hier so viel von einem Oskar die Rede ist. Mir ist keine Gelegenheit zu billig, um auf den Oscar-Liveticker hinzuweisen, der in der Nacht von Sonntag auf Montag stattfindet. Mit euch! Juche!
Kleine Glanzlichter in diesem sentimentalen Rührstück sind Viola Davis, Jeffrey Wright und Max von Sydow, aber auch Tom Hanks und Sandra Bullock als Oskars Eltern. Doch die betuliche Inszenierung erstickt schließlich jegliche schauspielerische Überzeugungsarbeit im Keim. Und auch wenn der Kniff mit der Abbildung des großen Ereignis im Kleinen, also Oskars Verlust und Schmerz als Leerstelle für 9/11, noch funktioniert, so schlägt das spätestens fehl, wenn Oskars Weg, mit dem Verlust umzugehen, vom Film ebenfalls als Trauma-Therapie für ganz New York angeboten wird. Da bricht die kindliche Sicht des Films dann doch unter der Last und Bedeutung des 11. Septembers zusammen, da wird aus der plötzlichen Katharsis dann eine beinah frotzelnde Banalität.
warner
Tamburin statt Blechtrommel
Vielleicht kann Daldry alte Gewohnheiten eines Theaterregisseurs nicht abschütteln, vielleichtglaubt er immer noch, wenn es nicht überdeutlich sichtbar ist, übersieht es jemand in der letzten Reihe. Aber nein, Stephen. Wir sind incredibly close an der Leinwand und deine Metaphern sind extremely loud. Wenn Oskar ein Angstgefühl überkommt, dann rasselt er mit seinem Tamburin, vielleicht sollten Kinos Tamburins für die Besucher bereithalten, wer weiß, vielleicht hilft's auch gegen Genervtheit.