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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

11. 3. 2012 - 15:00

Die Anekdote

Eier, Butter, Bier - Texte zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz (13)

marc carnal

Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.

Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesenen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.

Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.

Termine findet man hier.

marc carnal

Wenn Harald Schmidt Rudi Carrell parodiert, zitiert er dabei immer die Frage "Hatten Sie schon einmal ein Erlebnis mit einem Krokodil?", wobei ich bezweifle, dass Carrell diesen Satz jemals gesagt hat. Ich hatte jedenfalls noch nie ein Erlebnis mit einem Krokodil. Auch habe ich bisher nichts Nennenswertes mit Honey-Bites erlebt. Und selbst Eierbiskotten und Dille spielen in den fesselnden Kapiteln meiner Biographie bestenfalls Statistenrollen. Zum Thema Rucola könnte ich allerdings eine Anekdote erzählen.

Durch den Fundus meiner Anekdoten rollen an sich Tumbleweeds. Ich wurde schon so oft mit langweiligen Berichten gemartert, dass ich meist befürchte, mit meinen Erlebnissen ebenso zu langweilen. Nur einige Erinnerungs-Evergreens wiederhole ich zur Rettung zäher Abende immer wieder gerne. Zum Beispiel die Tatsache, dass ich einmal auf einer Tankstelle meine Beine vertreten wollte und dabei nicht nur sprichwörtlich um ein Haar von der gar nicht so kleinen Plastikverschalung des Os vom OMV-Schriftzug über mir erschlagen worden wäre. Manche neigen zu Zweifeln an der Authentizität meines Tank-Thrillers, aber ich schwöre bei meinem Augenlicht, nicht mit gespaltener Zunge zu sprechen.

Ansonsten bin ich zurückhaltend mit Erzählungen und Anekdoten. Eine Freundin fasste einmal sehr treffend das Triumvirat der langweiligen Nacherzählungen zusammen:
1. Reisen
2. Träume
3. Filme

Da lobte ich die Freundin und sagte: Gut zusammengefasst!
Nun will ich auch mein Rucola-Erlebnis gut zusammenfassen:

Sneak Peak

Peter Handke hat mir einmal am Friedhof der Namenlosen Rucola und Wurst geschenkt!

marc carnal

Ich gebe zu, dass man diese Geschichte vielleicht doch etwas fetziger beschreiben könnte. Hier also die...

Extended Version

Wer sich erst gar nicht durch diesen langen Text quälen möchte und ihn sich lieber live vorlesen lassen möchte, möge nach unten scrollen und dem Veranstaltungshinweis am Ende des Beitrags folgen!

An einem Frühlingsnachmittag, dessen Luft von einer bis über beide Ohren grinsenden Sonne derart wohltuend erwärmt war, dass selbst unter den prächtigen Kronen der Eichen am Friedhof der Namenlosen die Übergangsjacken abgelegt werden konnten, ohne einen Katarrh zu provozieren, überreichte mir der berühmte und viel gepriesene Dichter Peter Handke dereinst ein Mordstrum Wurst, für dessen Ausmaße selbst nach langjähriger Recherche in etymologischer Fachliteratur kein zutreffendes Adjektiv aufzutreiben war, und würzte die edelmütige Gabe obendrein mit einem ebenfalls nicht bescheiden geratenen Bündel an Blatt für Blatt selbstgerupftem und daher nicht nur geschmacklich einmaligen, sondern auch ideell nicht von der Tischkante zu stoßenden Rucola.

Diese Version ist nun zwar sprachlich üppiger geraten, viel mehr Informationen als die kurze enthält sie jedoch nicht. Vielleicht sollte ich eine noch längere Version schreiben und erzählen, wieso ich überhaupt mit dem Literaten am Friedhof der Namenlosen war.

marc carnal

Director's Cut

Einmal trank ich mit meinem lieben Kollegen Hure bei meiner reizenden Gattin Amina einige Flaschen über den Durst. Auf welchem Sofa und in wessen Wohnung genau ich irgendwann sabbernd einschlief, weiß ich nicht mehr, sehr wohl aber erinnere ich mich noch, dass Gattin Amina schon im Laufe des Abends erwähnt hatte, am nächsten Tag mit ihrem Vater zum Mittagessen verabredet zu sein und im Morgengrauen, nur wenige Stunden vor dem innerfamiliären Date, im Rausch vorgeschlagen hatte, Kollege Hure und ich mögen sie doch begleiten. Keine Ahnung, wie sie auf diese Idee kam, es war ihr Tags darauf jedenfalls noch ernst damit - Ungeduscht, mit pelziger Zunge und roten Augen stiegen wir Mittags in ein Taxi und fuhren zum Alberner Hafen.

Nach über halbstündiger Fahrt endlich angekommen, spazierten wir zu einem Gastgarten mit Ausblick auf die Donau ganz in der Nähe des Bestattungs-Geheimtipps "Friedhof der Namenlosen", wo dereinst Wasserleichen begraben wurden, deren Identität ein redlicher Herr namens Josef Fuchs ausgeforscht hatte.
In besagtem Gastgarten fanden wir bald Peter Handke im Beisein eines ausgesprochen kleinen, untersetzten Herrn, der sich als Walter vorstellte. Auch wir stellten uns vor und waren froh, in unserem derangierten Zustand nicht über allzu Forderndes parlieren zu müssen, sondern einer innerfamiliären Unterhaltung lauschen zu können.

marc carnal

Zu dieser kam es allerdings nicht, denn Amina hatte es dank ihrer restalkoholisierten Unkonzentriertheit verabsäumt, das Gepäck des Vaters aus ihrer Wohnung mitzubringen, weshalb sie sogleich wieder kehrt machen musste, um dies nachzuholen. Nun waren wir also alleine mit Peter Handke und dem winzigen Walter.
Noch ohne Frühstück im Magen wurden wir angehalten, Weißwein zu trinken. Danach wurden wir zu unseren Berufen und Lebensentwürfen befragt. Ich fühlte mich ein bisschen wie beim ersten Treffen mit den Schwiegereltern, was es ja auch war, Herr Handke wusste allerdings nichts von meiner bald darauf stattfindenden, freundschaftlichen Hochzeit mit seiner Tochter.
Um das Gespräch etwas in die Gänge zu bringen, enthüllte endlich der verboten kleine Walter seine Identität und geizte dabei nicht mit ausführlichen biographischen Auskünften. Der ehemalige Österreichische Botschafter im Vatikan erzählte unter anderem von seiner Liebschaft mit seiner Haushälterin.

Ansonsten ist meine Erinnerung lückenhaft, schließlich ist das Treffen schon einige Jahre her. Nicht vergessen habe ich jedenfalls, dass Herr Handke uns etwas verblüffte, indem er plötzlich sein volles Glas Wein auf den Boden schüttete und uns anhielt, es ihm gleichzutun, weil er mit diesem serbischen Brauch der Toten gedenken wollte. Außerdem weiß ich noch, dass der Wirt den berühmten Autor anflehte, eine Widmung in ein Buch mit erotischen Fotographien zu schreiben, was dieser mit einigem Murren auch erfüllte.

Nach einer Stunde kam endlich Amina mit dem Gepäck zurück. Herr Hanke und der wie schon erwähnt nicht unbedingt hünenhafte Walter mussten nun aufbrechen, denn ersterer wollte seinen Flug nicht verpassen. Als Gegner des alkoholisierten Lenkens ging ich natürlich davon aus, dass wir auch die Heimfahrt mit dem Taxi absolvieren würden, doch Walter, übrigens der kleinste in der Runde, bestand trotz offensichtlichen Taumelns darauf, uns zu kutschieren.
Schnell schenkte Herr Handke uns noch Rucola und Wurst.

Dann zwängten wir uns zu fünft in ein winziges Auto, das der ausnehmend unterhaltsame, sympathische und kleine Walter zuerst zum Flughafen und dann in die Stadt steuerte. Selten hatte ich in einem Auto so große Angst. Alle Mitfahrenden waren bleich und schwiegen. Walter, der nur mit Mühe über das Lenkrad sah, fuhr ungemein schnell, ignorierte nicht nur eine rote Ampel, sah Verkehrsschilder nur als unverbindliche Empfehlungen und redete während der ganzen Rallye auch noch ohne Unterlass, wobei er seine stummen Zuhörer immer wieder erschreckend lange anblickte, anstatt auf die Straße zu sehen.
Zu Hause angekommen, legte ich Rucola und Wurst in den Kühlschrank und mich ins Bett. Beides habe ich nie gegessen.

Probleme? Hier ist die Lesung:

Rasmus Raubaum

Am kommenden Mittwoch, also am 14. März, liest der feine Herr Carnal aus den "Texten zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz" im schönsten Kaffeehaus Wiens, nämlich im Café Schmid Hansl (Schulgasse 31).

Fairerweise wird natürlich auch auf empfehlenswerte Alternativen an diesem Abend hingewiesen:

  • Ich war noch niemals in New York - Musical von Gabriel Barylli nach den Songs von Udo Jürgens. Raimundtheater, 19.30 Uhr
  • Sabine Dreschler: "Die Kraft der Schüßler Salze". Schutzhaus d. Blumenfreunde, 18.00 Uhr
  • Champions League: Chelsea - Napoli (20.15, live in ORF1)

Ansonsten steht einem Besuch im Schmid Hansl (und zwar um 20 Uhr MEZ) eigentlich nichts mehr im Wege und würde den Autor dieser Zeilen ausgesprochen freuen und ehren!