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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

19. 2. 2012 - 11:25

Let go, Catherine

Im Videospiel "Catherine" werden betrügende Männer zu Schafen. In ihren Alpträumen jagen Monsterbabys sie über Türme aus Würfeln. Die bizarre Mischung aus Anime und Puzzlegame wirkt vielversprechend, erfüllt aber die Erwartungen nicht.

Frei sein und keine Verantwortung übernehmen müssen oder treu sein und sich einem geordneten Leben stellen? So einer grundlegenden Frage stellt man sich zwar selten, aber unterbewusst schwingt sie oft mit. Gerade in einem Alter, wo man eindeutig erwachsen sein sollte, drängt die Frage der allgemeinen Lebensführung mehr in den Vordergrund. So auch bei Vincent Brooks, dem 32-jährigen Protagonisten von "Catherine". Vincent hat Zweifel, ob er seine langjährige Freundin heiraten und eine Familie gründen soll oder nicht. Genau in diesem Moment taucht eine mysteriöse junge Frau auf, die ihm den Kopf verdreht.

Das sind die zwei Katharinas: Die eine ist Vincents Freundin, eine erfolgreiche Geschäftsfrau im selben Alter, die andere eine junge Frau im Schulmädchen-Look, die ständig aufgeregt kichert und ihn verführt. Vincent betrügt seine Freundin mit ihr, aber wie und warum das passiert, wird ihm nicht so richtig klar. Nun aber kann Vincent nicht mehr länger zweifeln, was richtig oder falsch ist. Er hat betrogen und ist gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Das passiert nicht nur im bewussten Zustand, sondern ab sofort auch in seinen Träumen. Vincent landet in einer Art Vorhölle für Männer, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen. Dort werden sie zu anthropomorphen Schafen und von einer überirdischen Macht gezwungen, aus Steinblöcken geformte Türme zu erklimmen.

Vincent klettert auf einen Turm in der Alptraum-Welt.

Atlus

Die Alptraum-Sequenzen machen das spielerische Hauptelement bei "Catherine" aus. Durch Verschieben der Blöcke bauen wir uns einen Weg nach oben. Zu lange darf's aber nicht dauern, denn es brechen nach und nach die unteren Ebenen weg und ziehen uns in letzter Konsequenz mit in die Tiefe. In jeder Nacht gilt es, mehrere Etagen zu bestehen. Bevor wir wieder aufwachen dürfen, müssen wir in der letzten Etage nicht nur klettern, sondern auch vor einer monströs-abartigen Gestalt flüchten. Das ist immer eine Manifestation von Vincents Ängsten, etwa die im Diesseits schwangere Freundin, die hier als überdimensionaler Zombie erscheint und Vincent mit einer Tischgabel aufspießen möchte oder ein Riesenbaby mit Kettensäge, das "Daddy!!" ruft.

Ein Mensch in Schafgestalt vor dem Beichaufzug in der Alptraum-Welt.

Atlus

Zwischen den Kletterpassagen treffen wir auf mitleidende Schafe, denen Vincent Mut macht. Gemeinsam tauscht man Techniken aus, jammert sich gegenseitig voll und fragt sich, was hier überhaupt los ist. Wieder erwacht, dämmert Vincent und seinen Freunden in der Bar langsam, dass hier eine seltsame Moralinstanz am Werk ist, die Tag für Tag mehr gleichaltrige Männer auf dem Gewissen hat. Nebenbei spitzt sich die Lage in der Dreiecksbeziehung zu. Vincent bekommt von Catherine, der Verführenden, kokette Bilder aufs Handy geschickt, während sich Katherine, die Freundin, fragt, ob sie sich an diesen unsicheren Waschlappen tatsächlich binden soll. Immerhin ist Vincent bei seinen Schafskollegen in den Alpträumen ein mutiges Klettervorbild.

Anime mit Puzzle-Einlagen

"Catherine" ist auf den ersten Blick eine großartige Mischung aus Puzzlegame, surrealer Horrorgeschichte und moralischen Dilemmata. Leider vermischen sich Story und Spiel nie so richtig miteinander. Die Alptraum-Aufgaben werden nach einiger Zeit auch auf der leichtesten Schwierigkeitsstufe schwer und demotivierend, müssen aber gemeistert werden, damit die Geschichte weitererzählt wird. Doch auch im Diesseits wird das melancholische Alltagsphilosophieren über Liebe, (Un-)Treue und die angeblichen Unterschiede zwischen Mann und Frau in der Bar bald redundant und langweilig. Das ewige Hin und Her zwischen Katherine und Catherine dreht sich nach der vierten Kletternacht ebenfalls nur noch im Kreis.

Catherine sagt: "Marriage is just a 'tradition', right? Seriously, who wants to be tied down?"

Atlus

Es ist schon ärgerlich: Videospiele trauen sich selten, komplexe zwischenmenschliche Zustände zu thematisieren und in ein Spielerlebnis zu verweben. "Catherine" punktet zwar mit einem unorthodoxen Setting und einer stilsicheren Darbietung des Geschehens, die von den Normalos in der Bar bis zu bizarren Schafmetaphern eine breite kreative Palette an Ideen abliefert. Übrig bleibt davon aber nicht mehr als ein interaktiver Anime-Film, der mit einem Blockschiebepuzzlespiel verzahnt ist.

Die Moral von der Geschicht'

Abseits von spielerischen und narrativen Enttäuschungen, stößt der religiöse Moralkontext auf, mit dem "Catherine" durchsetzt ist. Das fällt zuerst nicht ins Gewicht, weil die Charaktere und das audiovisuelle Design Coolness und Verrücktheit verströmen. Aber was soll man von einer wie auch immer gearteten Entität halten, die Männer (warum nur die?) für freie Entscheidungen bestraft und tötet, nur, weil diese nicht der traditionellen Idee von Treue, Ehe und Familie entsprechen?

Zwischen den Ebenen eines Alptraum-Levels steigen wir immer in einen Beichtstuhl, der als Lift fungiert und uns in die nächste Etage bringt. Davor stellt eine unbekannte Stimme stets eine Gut-und-Böse-Frage wie "Bist du pervers?" oder "Kann man um Geld Liebe kaufen?". Zugegeben, nicht alle Fragen sind so plump, werden anschließend aber trotzdem in ein simples Schwarz-Weiß-Schema eingespeist, das sich letztlich auf den Ausgang der Geschichte auswirkt. Dann gibt es da auch noch die Kirchenglocken und die "Halleluja!"-Chöre, wenn es der Antiheld irgendwann doch lebend aus den Verließen rausschafft.

Katherine sagt "Speak up and tell me!"

Atlus

Japanische Besonderheit

"Catherine" völlig zu ignorieren, wäre trotz der ambivalenten Inhalte der falsche Weg. Das Game kommt vom Entwicklerteam Atlus, das mit den Serien Megami Tensei bzw. Persona schon seit Mitte der 1990er Jahre für ihre skurrilen, storylastigen Games bekannt ist. Dabei treffen junge, urbane Menschen und ihre Lebenswelten in einer verblüffenden Regelmäßigkeit auf Dämonen und mythologische Symbolik. Viele der Atlus-Spiele sind nie für den westlichen Markt übersetzt worden, und auch "Catherine" ist erst mit einem Jahr Verspätung in Europa erschienen. Wegen des Themas ist das Spiel einer der zugänglicheren Atlus-Titel und macht Lust, sich mit dem Backkatalog näher auseinanderzusetzen.

"Catherine" wird in Europa via Deep Silver vertrieben und ist für Xbox 360 und PlayStation 3 erschienen.

Wer sich aber so gar nicht der Forschung der Videospielkultur verschrieben hat und einfach ein gutes Spiel sucht, ist erst mal besser beraten, Blockschieberätsel und Anime voneinander getrennt zu halten. Später, in der Spielewühlkiste zum Vorteilspreis, kann man Catherines Verführung immer noch nachgeben.