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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

18. 2. 2012 - 13:25

Wulff und der Bär

Am Freitagvormittag ist in Berlin der Bundespräsident nun endlich zurückgetreten, aber am Potsdamer Platz geht das Leben weiter, und das Filmfestival Berlinale dem Ende zu.

In weiser Voraussicht hatten sehr viele Filmleute und Schauspieler schon am letzten Sonntag beschlossen lieber nicht zum traditionellen Berlinale-Empfang des Bundespräsidenten zu gehen. Gespenstisch leer und recht bedrückend soll es bei der Party des deutschen Staatsoberhauptes auf Schloss Bellevue gewesen sein. "Endlich hat es ein Ende, das unwürdige Spektakel", so denken alle mit denen man spricht, und dann kommt der Stoßseufzer: "Das hätte man auch früher haben können, da wäre Wulff selbst, und auch uns, Einiges erspart geblieben."

Holliday Grainger, Robert Pattinson und Christina Ricci am 62. Berlin International Film Festival

EPA

Viele Berg- und Talfilme

Wehmütiger als vom Bundespräsidenten fällt der Abschied von der Berlinale und vom Potsdamer Platz, diesem schrecklichsten Platz Berlins, an dem es keine einzige nette Bar, keinen guten Imbiss und keinen Platz zum Ausruhen gibt. Und trotzdem war es wieder toll: das ganze Gewimmel, die Fotografen und Filmteams, die vielen jungen Frauen die superengagiert schwere Taschen mit Laptops und Aufnahmegeräten durch die Gegend schleppen, die exaltiert gekleideten sehr alten Menschen, die Sprachenvielfalt, die Dringlichkeit des Filme -Sehens, ach alles. Ein Hauptthema der Berlinale sollten die Revolutionen in der arabischen Gesellschaft sein, aber die Filmkritik hat andere Themen ausgemacht: Viele Berg- und Talfilme wären gezeigt worden, oder es wäre oft ums Eingeschlossen - Sein gegangen, um dysfunktionale Familien, um Sexualität und Krieg.

Interessante Zufallsmischungen

Über 400 Filme wurden gezeigt, und wer Glück hatte und offiziell akkreditiert wurde, der stöhnte ob der Vielfalt und probte verschiedene Eingrenzungsstrategien. Die "wichtigen" Journalisten müssen natürlich die Wettbewerbsfilme sehen, eine Jungfilmerin gab an, sich nur Tierfilme oder Filme, in denen Tiere mitspielen, anzuschauen. Die Filmpuristen verachten den Mainstream- Wettbewerb, sie gehen nur ins "Forum" und berichten begeistert von den verschollen geglaubten Filmen aus dem goldenen Zeitalter des kambodschanischen Kinos, den so genannten "Khmer-Filmen", die die Vernichtungswelle des Pol-Pot-Regimes in den Siebzigern überlebt haben.

Filmplakat "The Flowers of War"

Beijing New Picture Film Co.

Wer nicht akkreditiert ist und auch nicht die Nerven hatte, sich lange für Karten anzustellen, der hatte dann noch die Möglichkeit, Filme in den Kinos zu sehen, in denen Bekannte arbeiten. Denn die Berlinale ist in Berlin auch als Arbeitgeber für Saisonkräfte sehr beliebt. Auf diese Weise kamen interessante Zufallsmischungen zu Stande: Es gab den spanischen Wettbewerbsfilm "Dictation", eine vorhersehbaren Gruselgeschichte um ein kleines Mädchen und ihre Pflegefamilie, in "Iron Lady" ließ sich die perfekte Maske Meryl Streeps bewundern, und man konnte sich darüber aufregen, dass es um Margaret Thatcher rein menschlich ging, und Auswirkungen ihrer furchtbaren Politik auf England ausgespart wurden.

Leider ganz und gar unerträglich war auch das Kriegsepos "The Flowers of War" vom chinesischen Regisseur Zhang Yimou. In der teuersten chinesischen Kinoproduktion aller Zeiten spielte Christian Bale die Hauptrolle, er konnte gegen das quälende Pathos des patriotischen Monuments nicht anspielen.

Aber wer wird nun den Bären kriegen?

"Barbara" der Film des Berliner Regisseurs Christian Petzolds Beitrag gilt als Favorit. In dem stilistisch reduzierten Drama geht es um eine Ostberliner Kinderchirurgin in der DDR der Achtziger Jahre, die in ein Provinzkrankenhaus versetzt wird, nachdem sie erfolglos einen Ausreiseantrag gestellt hat.

Nina Hoss in Christian Petzolds „Barbara“

Piffl Medien

Nina Hoss in Christian Petzolds „Barbara“

Auch der portugiesische Beitrag "Tabu" von Miguel Gomes gilt als Anwärter auf den Bären, weil er so unkonventionell und störrisch erzählt ist, dazu in schwarz-weiß und mit Rückblenden in die Kolonialzeit Afrikas. Angelina Jolie wird mit ihrem Regiedebut "In the Land of Blood And Honey" keinen Bären gewinnen, weil ihr Film über den Balkankrieg nicht im Wettbewerb sondern in der Sektion "Berlinale Special" lief. Sie war der Star der Berlinale und der Berliner Boulevard ist ganz verliebt in sie.

Aber auch die seriösen Filmjournalisten erkennen staunend an, dass ihr Film viel weniger misslungen ist, als man es bei einer regieführenden Hollywoodschauspielerin annehmen würde. Nur gegen Ende sei der Film ein wenig zu engagiert, wenn er die militärische Intervention feiert.

Bundespräsident Christian Wulff geht am Freitag (17.02.2012) im Schloss Bellevue in Berlin nach seiner Erklärung weg. Wulf erklärte seinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten

dpa/Michael Kappeler

Viele fürchten ja nach der Berlinale in ein schwarzes Loch zu fallen, wenn der Alltag wieder ansteht. Aber da kann vielleicht ein letzter Gedanke an Christian Wulff trösten: Er weiß bestimmt auch nicht, was er jetzt so machen soll.