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Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

22. 2. 2012 - 18:37

Heimatlosigkeit für alle

Olga Grjasnowas Debütroman "Der Russe ist einer, der Birken liebt" erzählt von hippen und traumatisierten Kosmopoliten.

Das Buch handelt von der jungen Dolmetscherin Maria Kogan, liebevoll genannt Mascha. Sie ist in Baku geboren, kommt aus einer jüdischen Familie, die nach Unruhen in Aserbaidschan nach Deutschland flieht. Mascha ist damals noch ein Kind.

Wenn man so wie sie mit 11 Jahren in ein fremdes Land kommt, ist es sehr wahrscheinlich, dass man dort die Macht der Sprache zu spüren bekommt. So ergeht es auch Mascha. Allerdings gehört sie nicht zu denen, die unter dieser Macht zusammenbrechen. Zu Beginn des Romans ist sie Ende 20 und beherrscht fünf Sprachen. Sie ist eine hippe Kosmopolitin, von denen es heutzutage nicht wenige geben sollte.

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Mascha ist ständig in Bewegung, kann nur schwer an einem Ort bleiben. Die junge Frau, die als Elfjährige zwangsweise auswandern musste, weiß mit Ende 20 nicht, wie sie mit Sesshaftigkeit umgehen soll. In ihrem Umfeld bewegen sich ganz ähnliche Gestalten. Ihr Ex-Freund Sami aus Beirut, der in Deutschland lebt und auf sein Visum wartet, um in Kalifornien zu studieren zum Beispiel, oder ihr Studienkollege und bester Freund Cem, der aus einer türkischen Einwandererfamilie kommt.

Der langweilige Tod eines Langweilers

Einer passt nicht in dieses Bild: Maschas große Liebe Elias. Er ist ein langweiliger Deutscher, der nicht viel mehr zu bieten hat als eine Kindheit in der DDR. Anders als die anderen Charaktere hat Elias keine Grenzen überwunden. Vielmehr haben die Grenzen ihn Überwunden. Durch den Zerfall der DDR ist er ist migriert ohne sich zu bewegen.

Der Langweiler ist aber nicht lange dabei. Nach 100 Seiten stirbt Elias an den Folgen eines Vorfalls, der ähnlich banal ist, wie er selbst. Nach einer Fußballverletzung muss er operiert werden. Die Operation erweist sich kompliziert, die Wunde heilt nicht.

Elias mag langweilig gewesen sein, aber er war auch Maschas Halt. Sein Tod setzt die Bewegungsenergien in Mascha frei. Nun wird Mascha zu dem was sie eigentlich ist: eine unruhige Heimatlose, die ständig in Bewegung bleiben muss. Die Bewegung geht aber in Richtung einer Heimat: nach Israel.

Die Nationale oder sprachliche Identität ist kein bestimmender Faktor für Mascha, die fünf Sprachen spricht. Sei bewegt ihre religiöse Identität, oder besser gesagt der Mangel daran. Als Elias im Krankenhaus liegt, betet sie so wie die Juden, die sie in einer Arte-Dokumentation gesehen hat. An einer weiteren Stelle gibt sie zur größten Überraschung ihres besten Freundes Cem zu, dass sie kein Hebräisch kann. "Zum ersten Mal gibst du zu, dass du etwas nicht kannst", sagt Cem daraufhin.

Die Suche nach Selbstverständlichkeiten

Buchcover

Hanser Verlag

288 Seiten Heimatlosigkeit. "Der Russe ist einer,der Birken liebt" ist im Carl Hanser Literaturverlag erschienen.

Was Olga Grjasnowa ausgezeichnet gelingt, ist die Darstellung von lächerlichen Situationen und Alltagsdialogen. Ihre Sprache ist scharf und analytisch. Vor allem deshalb ist der Roman auch keine billige, emotionalisierende Migrantenliteratur. Migrationsgeschichten stehen im Vordergrund, aber Migration ist hier kein Ausnahmefall, sondern der Normalzustand.

Es gibt aber auch Sachen, die weniger gelingen. Manche Charaktere sind zu abgedroschen. Extrembeispiel ist die Sibel, mit der Mascha eine kurze Beziehung führt. Sibel kommt aus einer traditionellen türkischen Familie inklusive ängstlicher passiver Mutter, patriachalischem Vater, der im Internetcafe einen Bräutigam sucht und prügelnden Brüdern. Schließlich haut Sibel ab und fängt eine destruktive Beziehung mit Mascha an. Auch Mascha selbst ist nicht frei von Klischees. Am Flughafen von Tel Aviv wird ihr Laptop gesprengt, weil die Soldaten wegen der arabischen Tasten auf ihrem Laptop eine Terroristin vermuten. Das alles wirkt dann manchmal doch zu aufgesetzt.

Dabei ist das, was Mascha antreibt, nicht die Suche nach außergewöhnlichen Erfahrungen, sondern die nach einer scheinbaren Selbstverständlichkeit. Sie sucht nach Zugehörigkeit oder - etwas populistischer ausgedrückt - nach einer Heimat. Doch Heimat ist eben für heimatlose Kosmopoliten etwas, das nicht selbstverständlich ist.