Erstellt am: 20. 2. 2012 - 11:14 Uhr
Männer, die auf Pferde starren
Es wäre so was von an der Zeit für eine neue Quelle passender Zitate, aber irgendwie lande ich doch immer bei Bret Easton Ellis. Sein getwittertes "Just got a text from powerful movie person post-screening: "War Horse is possibly the worst movie I have ever seen in my entire life" tröstet mich ein paar Stunden nach der "War Horse"-Vorführung, aus der ich Pferdemist murmelnd rausgestolpert bin und nicht wusste, was mich mehr irritieren sollte: Steven Spielbergs Fleckerlteppich aus Pathosfetzen, Kindergeschichte und Kriegsdrama oder die bewegten Reviewballaden der amerikanischen Presse. Ich weiß es immer noch nicht genau.
"War Horse" beruht auf dem gleichnamigen Jugendbuch, das bereits erfolgreich in ein Theaterstück umgesetzt wurde, das wiederum hat Spielberg gesehen, war hin und weg und wagte sich an die Filmversion. Im Zentrum dieser Geschichte: ein Pferd. Aber kein gewöhnliches, nein. Auf diesem Rücken, auf dem angeblich das Glück dieser Erde liegt, lastet der ganze Film, das Pferd ist Hauptfigur und Zentrum des Films.
Walt Disney
Hü Hott
Zunächst gekauft von einem Bauern und Suffkopf (Peter Mullan), bekommt das Pferd von dessen Sohn Albert (Jeremy Irvine) den Namen Joey und wird zu einem Arbeitstier umgelernt. Endlose grüne Wiesen, freundlich grinsende Jungs, die stets an einem Apfel kauen oder an ihrer Mütze zupfen, harte Landarbeit, ein undichtes Dach und eine seufzende Emily Watson als Mutter. "War Horse" beginnt wie ein Film für Kinder, eine immer wieder auftauchende, schnatternde Gans sorgt für nicht wirklich funktionierenden comic relief, würde sie zu sprechen beginnen, mich würde es auch nicht wundern.
Walt Disney
Ich hab ja trotz aller nicht so gelungenen Filme Spielbergs ein Faible für sein Kino, weil es sich nicht um Coolness oder Ironie schert. Weil ihm Zynismus fremd und Pathos selbstverständlich ist. Und: Ich hab eigentlich nicht damit gerechnet, dass ich einem Film, sein Bestreben altmodisch zu sein, mal vorwerfen werde, aber "War Horse" hat das geschafft. Das Offensichtliche betonend und überstilisierend erzählt der erste Teil von ehrlichen, hart arbeitenden Bauern, kontrastiert vom arroganten, karo- und die Nase hochtragenden Pächter (David Thewlis). Eine pittoreske Kindergeschichte um den Beginn einer Freundschaft zwischen Albert und Joey, die - trotz ihrer die Natur anhimmelnden Bilder - nie die Künstlichkeit verliert, die Spielbergs Erzählstil immer schon innewohnte. Als gefühlte Stunden später ein schnauzbärtiger Mann auf einem Motorrad durch den Ort knattert und verkündet, dass Krieg ausgebrochen ist, denk ich mir endlich und hoffe auf einen neuen Geschichtsstrang.
walt disney
No Method Men
Der taucht in Form von Tom Hiddelston auf, für den ich - während sein Seitenscheitel in der Sonne glänzt - das Adjektiv schneidig aus dem Archiv hole. Er ist Captain in der britischen Armee und kauft Alberts Vater Joey ab. Aus dem Arbeitspferd, wird das War Horse. Middelston schafft es - wie Benedict Cumberbatch, der kurze Zeit später auftaucht - die hölzernen Dialogpassagen mit unendlicher Würde hinter sich zu bringen. Beide können sich auf Spielbergs altmodischen Stil, fernab von "method acting"-Überlegungen, einlassen und bringen kurzwährenden Glanz in die trübe Hütte. Aber Hiddleston und Cumberbatch sind ja nur Nebenbuhler in Sachen Publikumsgunst, der Hauptdarsteller ist das Pferd.
Wie so oft verwendet nun Spielberg eine Kreatur, die - wie den Hai, E.T oder die Dinosaurier - auf Menschen trifft und die zur Projektionsfläche und Symbolträger wird. Bin ich nun generell schon immun gegen jeglichen Pferdezauber, so schafft es der Film nun absolut nicht, mir Joey als Hauptfigur näher zu bringen. Als Hauptfigur mit etwas Besonderem, Unsichtbaren, Magischen, das alle anderen Filmfiguren in ihm sehen, schon gar nicht. Ich sitze wie eine Ungläubige vor diesem Pferd wie in "Des Kaisers neue Kleider". Das nicht rational Erklärbare, das alle Menschen, die Joey begegnen verzaubert oder zumindest berührt und sie wichtige und richtige Entscheidungen treffen lässt, für mich trägt es ein Tarnmäntelchen. Und wenn man das nicht sieht, dann wird der Film zur Nervenprobe.
Walt Disney
Soviel zum Pferd. Stellt man ein "&"-Symbol zwischen die beiden Worte, die den Originaltitel stellen, dann hat man eigentlich schon die Film-Zusammenfassung. Denn außer um das horse geht es natürlich um war. Um den Horror des ersten Weltkrieges, um neue Arten der modernen Kriegsführung. Brennende Schlachtfelder, die Enge eines Schützengrabens, Bomben und Giftgas und mittendrin als Relikt einer nun bald überholten Art der Kriegsführung das Pferd. Und es wäre nicht Steven Spielberg, wenn er nicht auch aus dem Grauen des Krieges Bilder schöpfen würde, die sich in die Überhöhung und in epischen Symbolismus flüchten.
Oh Spielberg, where art thou
Wenn Joey nach einem atemberaubenden Hetzen über ein Schlachtfeld sich in Stacheldraht verheddert und zwischen britischen und deutschen Schützengräben röchelnd zum Liegen kommt, dann bricht das Narrativ unter den - unheilvollen wie faszinierenden - Bildern zusammen. So naiv, so sentimental und fingerzeigig wie in der kommenden Szene, in der ein deutscher und ein britischer Soldat das Pferd gemeinsam aus dem Stacheldraht schneiden, war Spielberg schon lange nicht mehr. "War Horse" wird zu einem Sammelsurium Spielberg'scher Motive - Vater-Sohn, Beziehung, Erwachsenwerden, Krieg, Freundschaft - aber nie erreicht die Geschichte eine wirkliche Sogwirkung. Steven Spielberg, der Handwerker, der raffinierte Choreograph von Massenszenen, die zum bombastischen Score von John Williams über die Leinwand wogen, der ist noch da. Steven Spielberg, der Erzähler, der ist hier abwesend.
walt disney
Juche, yay und hurra: Am 26. Februar 2012 gibt es hier wieder den Live-Ticker zur Oscar-Verleihung. Mit euch, hoffentlich!
Er wollte mit "Gefährten" zum Kino seiner Kindheitstage zurückkehren, betont Spielberg immer wieder, die Kamera von Janusz Kaminski schwingt sich auf zu Verbeugungen vor David Lean und John Ford und doch verkommt es - etwa im Gegensatz zu "The Artist" und "Hugo Cabret" - zum reinen Zitat. Wenn schließlich gegen Ende der Himmel flammend vom Abendrot eingefärbt wird, und Figuren davor nur mehr als dunkle Silhouetten zu erkennen sind, ähnlich wie in "Vom Winde verweht", dann muss auch ich zum reinen Zitat erstarren und "War Horse" ein rhett butlersches "Frankly my dear, I don't give a damn" entgegnen.