Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Wer hat die Kokosnuss geklaut? "

Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

16. 2. 2012 - 11:57

Wer hat die Kokosnuss geklaut?

Christian Krachts neuer Roman "Imperium" erzählt ein obskures Kapitel deutscher Kolonialgeschichte in der Südsee.

"Der kokovore Sonnenmensch ist der Mensch, wie er sein soll. Die Kokosnuss ist der Stein der Weisen. Was sind Universitäten gegen eine solche Lebensweise?" Das ist ein Zitat des begeisterten Veganers und Nudisten August Engelhardt aus einer Werbebroschüre für seinen "Sonnenorden – Aequatoriale Siedlungsgemeinschaft" die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland Verbreitung fand.

Hubertushöhe, historische Ansicht, Papua Neuguinea

Gemeinfrei

Der "Sonnenorden" auf der Südpazifischen Insel Kabakon - heute Papua Neuguinea - war eines der zahlreichen esoterischen Projekte jener Zeit, die zwischen Mystizismus, Naturheilkunde und politischer Utopie ein Paradies für den "neuen Menschen" sein sollte. Der von August Engelhardt erfundene "Kokovorismus" stellte die Kokosnuss ins Zentrum des Heilsversprechens. Der in Nürnberg geborene Engelhardt machte Ernst mit seinem Glauben an die "göttliche Nuss", kaufte eine kleine Insel in der Südsee und begann dort nackt und fast allein zu leben und sich dabei ausschließlich von Kokosnüssen zu ernähren. Fast dreißig Personen sollten ihm von Deutschland aus an das andere Ende der Welt folgen, um es ihm gleichzutun.

August Engelhardt, historische Fotografie

Gemeinfrei

Eine historische Fotografie des echten August Engelhardt

Aus dieser unglaublichen, aber wahren Geschichte aus der fast vergessenen und vergleichsweise kurzen Episode deutscher Kolonialgeschichte hat Christian Kracht seinen neuen Roman "Imperium" gemacht.

Das "Imperium", die deutschen Kolonien im Südpazifik, ein Prestigeprojekt des wilhelminischen Zeitalters, wird im kleinen Privatimperium des Spinners August Engelhardt als Farce gespiegelt. Dabei stellt sich "Imperium" in die Tradition des klassischen Abenteuerromans des 19. und 20. Jahrhunderts, Marke "Die Schatzinsel". Und zwar sowohl in der Wahl des Sujets, als auch in Sprache und Erzählduktus.

Kracht tritt als leicht onkelhafter, auktorialer Erzähler auf, der die Hauptfigur schon einmal als "unser Freund" bezeichnet und Kapitel mit "Wir überspringen jetzt ein paar Monate" beginnen lässt. "Imperium" ist eine virtuose sprachliche Hommage, die Erinnerungen an frühe Lektüre wachruft, als man die abgelegten Jugendbücher von Eltern und Großeltern für sich entdeckt hat und sich in entfernte Inselreiche voller "Eingeborener" träumt, noch ganz ohne Ahnung um die realen Schrecken des Kolonialismus.

Aber Christian Krachts Buch ist schlau: Unter der Decke des gemütlichen Dahinerzählens einer absonderlichen Geschichte stecken Widerhaken. Die utopische Minikommune und das wirre Gedankengebäude des idealistischen Gründers wird zunehmend von Antisemitismus vergiftet.

Auch die Körper der Anhänger der kokovaischen Idee werden von Mangelerscheinungen und tropischen Krankheiten ausgezehrt. Die Parallele zu Adolf Hitler, dessen tödliche Ideologie auf diesem irrlichternd esoterisch/rassistischen Grund des frühen 20. Jahrhunderts gewachsen ist, wird vom Autor gleich selbst gezogen.

Buchcover Imperium von Christian Kracht

Kiwi Verlag

Sieht aus wie ein neuer Band von Tim und Struppi, es handelt sich aber um den neuen Roman von Christian Kracht. "Imperium", 242 Seiten, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

Dem Einzelkämpfer Engelhardt steht eine zunehmend ratlose Kolonialverwaltung gegenüber, die mit Mühe die Riten der bürgerlichen Kultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts samt Klavierabend und Bibliothek in der tropischen Abgeschiedenheit aufrechterhält. Als Koordinaten für den Ideen-Kosmos, den Christian Kracht hier aufspannt, seien hier noch ein paar Namen genannt: Herman Hesse, Mark Twain, Joseph Conrad, Jane Campions "The Piano", Henry David Thoreau, Magnus Hirschfeld, Jack London, Karl May, R.L. Stevenson.

Christian Kracht, mit seinem Debütroman Faserland ins literarische Bewusstsein gerückt, hat sich in den letzten Jahren als dandy-esker Reisender einen Namen gemacht. Asien, Südamerika, Afrika, Schweiz, Nordkorea…, Krachts Suche nach dem Fremden endet mit der melancholischen Einsicht, dass stets auch das Eigene im Fremden enthalten ist. Krachts Reisen scheinen immer von Literatur angetrieben zu werden. Die imaginierte Route durch Städte, Landstriche, Kontinente richtet sich nach der Magie des Klangs alter und neuer Namen. Die Grenzen zwischen Fiktion und historischer Realität lässt Christian Kracht in "Imperium" gekonnt verschwimmen.

Das ist für seine Romane nichts Neues, schon in seiner Iran/China-Fantasie "1979" und in der Schweizer Utopie "Ich werde hier sein, im Sonnenschein und im Schatten" hat das für leichte Verstörung und die bange Kritikerfrage "Darf er denn das?" gesorgt . So heiter, ja, auch schrullig hat Christian Kracht allerdings noch keinen Roman geschrieben.

Der "Nazi"-Vorwurf

"Imperium" hat eine sogenannte "Feuilleton-Debatte" entfacht, mit Nazis und allem, was dazugehört. Der Spiegel-Autor Georg Dietz versucht in der Printausgabe des Magazins, Christian Kracht als "Türsteher rechten Gedankenguts" zu überführen.

Satanisch, antisemitisch, rechtsradikal sei Kracht. Dabei stützt sich der Spiegel allerdings mehr auf einen vor ein paar Jahren veröffentlichen Briefwechsel zwischen Kracht und dem amerikanischen Künstler David Woodward als auf den Roman. Aber immerhin: Kracht ist beleidigt und hat alle Termine seiner Lesetour samt Buchpräsentation abgesagt. Einem unvoreingenommenen Blick auf das Buch hilft das sicher nicht. Sehr schade.

Antworten auf den Spiegelartikel, der nur in der Printausgabe erschienen ist, haben unter anderem die Frankfurter Rundschau und die FAZ veröffentlicht. Auch der Spiegel selbst rudert sichtlich zurück.