Erstellt am: 13. 2. 2012 - 22:32 Uhr
Christian Ide Hintze
Christian Ide Hintze auf meinem Anrufbeantworter. Christian Ide Hintze in meinem Bücherregal und Christian Ide Hintze letzte Woche auch in meinem Fernseher. Ich bin in der Oberstufe meines lästigen Gymnasiums und er hinterlässt mir eine Nachricht, die mich zu meinen ersten Job beruft. Ich bin irgendwann täglich in seinem Büro und er gibt mir Ausgaben seiner Bücher "Die Goldene Flut" und "die lyrische Guerilla". Ich lieg im Halbschlaf auf der Couch, als Christian Ide Hintze erst letzte Woche in einem TV-Beitrag über Falco spricht, den er 1995 an die "schule für dichtung" (sfd) eingeladen hat, damit eine Gruppe von Sprach-Lehrlingen aus erster Hand erfährt, wie Falco textet.
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Ich schlaf irgendwann ein, denn die Geschichten von Falco, der Burroughs Cut Up-Technik bespricht oder Wolfi Bauer Texte vorliest, kenne ich doch noch aus meinem alten Job in der sfd. Die Anekdoten über die Lesereisen nach Medellín zur dortigen Schule der Dichtung. Die Gespräche über Ginsberg´s Buddhismus. Christian Loidl und seine Träume. Blixa Bargeld und sein Rotwein. Die Besprechungen mit HC Artmann, der für seine Klasse Asterix&Obelix Sprechblasen auf wienerisch vorgibt. Nick Cave, der mit der 2-er Bim zur Bildenden fährt, um dort die Kunst des Liebesliedes zu unterrichten.
Es war die Idee der Lehr- und Lernbarkeit von Poesie, die Christian Ide Hintze antreibt , 1991 die schule für dichtung (sfd) ins Leben zu rufen. Inspiriert von seiner Reise zur "School Of Disembodied Poetics" nach Boulder, Colorado, wo er auf Dichter wie Allen Ginsberg, Anne Waldman oder Ed Sanders trifft. Wo er lernt, dass sein jahrelanges Tun und Handeln – seine Poesie auf Zettel verstreuen, seine aktionistischen lautpoetischen Performances – eine Infrastruktur brauchen. Der heimische Literaturbetrieb braucht mehr als eine Sitzmöglichkeit bei einer Lesung. Alles hinterfragen, offenlegen, erklären, anstoßen und neu beschreiben: Den Mythos, der hinter einem Gedicht steckt. Den Schleier, hinter dem sich Inspiration verbirgt. Das Handwerk, das über grammatikalische Regeln hinausgeht. Oder über die Rechtschreibung. Die verdammte Groß- und Kleinschreibung. Sprache aus Worten und Lauten und Taten sind doch alles, was wir haben. Christian Ide Hintze´s 4-dimensionaler Poesiebegriff umfasst Schrift, Audio, Video und Infrastruktur. Die sfd, mit ihrem Logo, dem "Fisches Nachtgesang" von Christian Morgenstern, wird zum Ur-Ding, das letztendlich den Weg für das Institut für Sprachkunst an der Angewandten in Wien wenn schon nicht ebnet, dann vorraussagt.
Christian Ide Hintze war jahrelang mein Boss und mein Lehrer. Er hat mich am Büchertisch bei Charles Bukowski abgeholt und zu Sappho, der Wiener Gruppe, den Beatniks, dem Schindel und der Streeruwitz gebracht. Die Musik ist nur die Vertonung davon, woran ich mich noch immer anhalte, wenn ich heute eine Band interviewe: die Sprache. Das Wortspiel. Die Botschaft. Christian Ide Hintze ist die Hälfte meines Bücherregals. Er war mein Unterstützer, der laut gelacht, hat als ich meine Zweisprachigkeit als Stolperstein bezeichnet hab. Er war der, der mir gezeigt hat, dass alles möglich ist, als ich nur daran dachte, dass nichts möglich ist. Er war der, an den ich denken muss, wenn ich regelmäßig meine Jahresvorsätze "täglich schreiben!!!" breche.
Während ich das hier tippe, will mir das lästige Schreibprogramm immer aus seinem selbstgewählten Rufnamen "ide" ein "die" machen. falsch. alles falsch heute.
i d e.
Christian Ide Hintze ist nun im Alter von 58 Jahren überraschend verstorben.
Alle meine Gedanken an seinen Sohn, seine Familie und Freunde.
Rest in peace und danke dir für immer.