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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

4. 3. 2012 - 07:00

Frauen, erstellt mystische Diagramme!

Eier, Butter, Bier - Texte zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz (12)

marc carnal

Marc Carnal, der schönste Mann von Wien, sammelt seit geraumer Zeit Einkaufslisten.

Unterstützt wird er dabei von einem stetig wachsenden Kreis an redlichen Helfern, die ihn regelmäßig mit am Wegesrand oder in Supermärkten aufgelesenen Zettelchen beliefern, auf denen Fremde seltsame, amüsante, wirre, ungesunde oder fragwürdige Gedankenstützen notiert haben.

Zu diesen teils zauberhaften Stichwortsammlungen verfasst Herr Carnal dann Texte und trägt diese zwischendurch auch öffentlich vor.

Termine findet man hier

marc carnal

Der Laie vermutet bei dieser Liste wohl, sie würde von einer Frau stammen. Das ist auch gut möglich, sicher bin ich mir allerdings nicht. Auch ich habe bei den meisten Listen eine Vermutung das Geschlecht des Autors betreffend, lasse mich allerdings eher vom Schriftbild und der Anordnung leiten und weniger von den notierten Produkten.

Ich kenne ausreichend Männer, die sich gesund ernähren, Wert auf apartes Schuhwerk legen und ihren Körper ausführlich und nicht nur notdürftig in Stand halten. Auch der Verfasser dieser Zeilen, der durch seine virile Gestalt und seine ungebührlich starke Körperbehaarung auf den ersten Blick wie der Inbegriff alles Rohen und Wilden wirkt, ist im Besitz einer großen Flasche Körpermilch, die aus reiner Bequemlichkeit und keinesfalls aus falschem männlichen Stolz seit einem Jahr ungeöffnet zum Ziergegenstand umgewidmet ist. Meine Haare wasche ich durchaus regelmäßig, und zwar mit einem Damen-Anti-Spliss-Shampoo in der Geschmacksrichtung Himbeere. Meine Nägel werden gefeilt statt gebissen, Vollbäder mit Verwöhn-Ölen schätze ich über alle Maßen und auf der Toilette sieht man mich höchstens dann im Stehen, wenn ich ihren makellosen Glanz bewundere, nachdem ich sie geputzt habe.

Mich aus derlei Gründen für homo-, metro- oder sonstwassexuell zu befinden, oder mich despektierlich als Softie zu bezeichnen, käme wohl wenigen Männern und Frauen in den Sinn, auch nicht in Milieus, denen ich mich weniger zugehörig fühle. Das leicht neurotische Suchen von Unterschieden zwischen den Geschlechtern anhand von Alltagshandlungen und Körperpflege ist ein Relikt aus dem Privatfernsehen der Neunzigerjahre, dessen Reizlosigkeit mittlerweile auch die Gesamtbevölkerung langsam erkennt.
Mario Barth mag freilich noch einige Male Stadien zum Bersten bringen und das eine oder andere Wäldchen wird noch der Produktion unzähliger Frauenzeitschriften zum Opfer fallen, die Woche für Woche wieder und wieder beschreiben werden, wie Männer und Frauen sich in Beziehungen und als Single zu verhalten haben, in gar nicht so ferner Zukunft werden derlei Fertigteil-Artikel die Mehrheit aber langweilen.
Kleiner Einschub: Ich gebe gerne zu, dass hier meine Hoffnung diesen überzeugten Ton nährt, während der Realist in mir leisen Einspruch erhebt.

Handarbeiten und Gebären

Gar nicht so unerheblich wie Unterschiede zwischen Mann und Frau bei Körperpflege, Sauberkeitsempfinden und Freizeitgestaltung sind jene im Berufsalltag. Auf die Kritik an Ungerechtigkeit gegenüber Frauen auf der rutschigen Karriereleiter erwidert der Konservative gerne, es müsse doch nicht unbedingt einen Feel-Good-Faktor für das weibliche Geschlecht darstellen, alles zu tun, zu können und zu müssen. Früher seien Frauen schließlich auch glücklich gewesen, wenn sie nicht alle Herausforderungen unserer reichhaltigen Welt angenommen hätten. Damit wären Frauen auch weniger Leistungsdruck ausgesetzt gewesen und hätten ihre Erfüllung in schönen Zeitvertreiben wie Handarbeiten oder Gebären gefunden.
Wie immer meint der Konservative mit „früher“ nur jene Zeit, die er noch aus eigener Erfahrung oder zumindest von Erzählungen seiner Eltern kennt.

text ohne reiter

Am Donnerstag, den 8. März bin ich mit den "Texten zu Einkaufslisten unbekannter Provenienz" bei der ausgesprochen empfehlenswerten Lesebühne
Text ohne Reiter
in Innsbruck zu Gast und empfehle mit Nachdruck, an besagtem Tag um 20.00 Uhr ins Café Moustache zu kommen!

Ganz früher, also so richtig früher, ich meine: Hardcore-früher, waren die Anforderungen an das nicht immer, aber doch meistens schöne Geschlecht größer.

Kürzlich reizte mich die Lektüre des Kamasutra. Ich wollte keine neuen Sex-Stellungen lernen, denn viel mehr als vier, fünf Stellungen, die man spontan durch Details variieren kann, etwa den Neigungswinkel eines Ellenbogens oder ein leichtes Wippen mit dem Fuß, braucht man doch in Wahrheit nicht. Nein, ich wollte tatsächlich das ganze Buch mit seinen vielen Beziehungs- und Aufrisstipps lesen.

In Benjamin von Stuckrad-Barres Latenight-Show war kürzlich der deutsche CSU-Politiker Michael Glos zu Gast und war sich nicht zu schade, den müden Altherren-Jokus vom Playboy zu zitieren, den er nur wegen der Interviews kaufen würde.
Niemand lachte.
Erstens, weil das Betrachten von weichgezeichneten Nacktbildern schon seit Jahrzehnten keinen Tabubruch mehr darstellt und vielleicht auch zweitens, weil die Artikel und Interviews im Playboy tatsächlich reizvoller sind als die Fotostrecken. Als kleines Zitat dieses öden Witzchens fände ich es aber schön, wenn ein Talkshowgast einmal verschämt anmerken würde, er läse das Kamasutra ja nur wegen der Bilder.

Aufsagen von Reimen, Erkennen von Zusammenhängen

In den ersten Kapiteln des berühmten Ratgebers wird unter anderem erörtert, welche Fähigkeiten eine angesehene Frau mit sich bringen sollte. Dass sie singen, tanzen, kochen und schreiben können muss, überraschte mich noch wenig. Die Aufzählung der gewünschten weiblichen Skills erstreckt sich aber über mehrere Seiten und beinhaltet zum Beispiel:

Tätowieren, Blumenarrangements auf Betten, Musizieren auf mit Wasser gefüllten Gläsern, Speichern von Wasser in Reservoiren, Bühnenbildnerei, Zubereitung von Limonaden, Lösen von Rätseln, Üben doppeldeutiger Sprüche, Kunst des Nachahmens, Üben mit Schwert, Pfeil und Bogen, Aufsagen von Reimen, Erkennen von Zusammenhängen, Architektur, Schreinerei, Chemie, Gesteinskunde, Bergbau, Hahnenkampf, Wachtel- und Widderkämpfe, Erstellen mystischer Diagramme, Gedichte schreiben und durch Verwünschungen den Besitz von anderen erlangen.

Das ist Leistungsdruck!

Wollen wir eine Welt, in der die Frau erst Frau ist, wenn sie Widderkämpfe veranstaltet und auf gefüllten Gläsern musiziert? Nein! Wir wollen vielmehr eine Welt, in der gar keine Widderkämpfe stattfinden! Und wir wollen eine Welt, in der Männer ihr Gläser voll mit Bodymilk füllen und darauf musizieren können und in der Frauen zwar kein Wasser in Reservoiren speichern müssen, aber sehr wohl dürfen, wenn sie sich dazu berufen fühlen!

Herrje!
Wir sollten wieder einige Pathos-Levels runterschalten und zur Abkühlung noch kurz das Thema

Mozartkugeln*

* Ich vermute zumindest, dass der letzte Punkt der Liste "Mozartkugeln" bedeutet.

erörtern.
Viel fällt mir dazu beim besten Willen nicht ein.
Höchstens, dass mein Großvater mir und dem Rest der Verwandtschaft regelmäßig Mozartkugeln schenkte. Das ist eine eher öde Info. Dann erzähle ich eben noch, und das mache ich erstmals und noch dazu öffentlich, dass meine Mutter die Beinprothese meines Großvaters noch Jahre nach seinem Tod hinter den Vorhängen der elterlichen Abstellkammer aufbewahrt hatte, sodass Uninformierte, sowohl jene in Zivil, als auch uniformierte Uninformierte, denken mussten, ein einbeiniger Einbrecher würde sich verstecken, womit ich es erstens geschafft habe, in einem Satz drei aufeinander folgende Wörter mit dem Anfangs-Zwielaut ei der schönen Wendung „uniformierte Uninformierte“ folgen zu lassen und zweitens, diesen Text mit einer durchaus seltsamen Wendung hiermit auf etwas fragwürdige Weise zu beenden.