Erstellt am: 13. 2. 2012 - 09:34 Uhr
Österreich ist fReif für die Insel!
Etwa minus zehn Grad hat es draußen, in meiner Erinnerung ist das etwa gleich kalt, wie letztes Jahr um diese Zeit. Auch sonst sind die Hauptkoordinaten des Protestsongcontests in seinem neunten Jahr weitgehend gleich geblieben. 12. Februar, Rabenhof, Dirk Stermann, Arbeitersängerbund, zehn FinalistInnen, Publikums-Schlangen, die bis auf die Straße reichen - alles wie gehabt, alle sind sie hier (bis auf die Vorjahressieger Gebrüder Marx).
Martin Blumenau, Peter Paul Skrepek, Doris Knecht und Ernst Molden sind jury- und publikumserprobt, neu im Team sind diesmal die Christina Nemec und Nina Horaczek, die heute statt ihrer Falter-Kollegin Ingrid Brodnig auf der Bühne Platz nimmt. Die "zur Zeit beste Jury Österreichs" verspricht Stermann, schließlich habe sie sich "in einem harten Casting durchgesetzt".
Christian Stipkovits
Christian Stipkovits
Christian Stipkovits
Christian Stipkovits
Die psc-erfahrenen Rotzpipn & Das Simmeringer Faustwatschenorchester eröffnen mit ihrer "freundlichen Bundeshymne 2.0" das Finale. Gemeint ist sie als Protest gegen alle Hymnen, weil diese immer nur verherrlichen, anstatt die Wahrheit zu sagen. So ist die Version der Rotzpipn ein bitterböser Abgesang auf Österreich, gegen fremdenfeindliche Mentalitäten, Kellerkinderzimmer und gegen die Bequemlichkeit. Performancetechnisch kann man ihnen auch nichts vormachen, sind sie doch zum dritten Mal in Folge im Finale. "Österreich ist fReifreiReif für die Insel", ein wunderbarer Satz. Auch die Jury zeig sich angetan, später wird sich noch zeigen, wie sehr. Ernst Molden nennt die Rotzpipn seit dem Anti-Fekter-Song seine "Schatzis". Ein primitives Land wie Österreich brauche genau solche primitiven Hymnen.
Die nächste Band kommt aus Melk, was laut Stermann ja alleine schon genug Protest wäre. Wait for the b-side, it´s better sind mit sechzehn Jahren die jüngsten Teilnehmer an diesem Abend. Ihr Song "Wie hat die Börse reagiert" richtet sich gegen die absurde Tatsache, dass in Nachrichten früher oder später nach deren Einfluss auf die Börsenkurse gefragt wird. Ihren Protest untermauern sie heute mit einem Original-Ausschnitt aus der "Zeit im Bild" und bekommen auch den komplexen Rhythmuswechsel in ihrem Song gut hin. Großer Jubel im Publikum.
Peter Paul Skrepek freut sich über die rhythmische Perfektion, stört sich aber an den leicht falsch gestimmten Gitarren. Über die Aktualität und Treffsicherheit des Textes sind sich alle einig; Doris Knecht stellt außerdem einen Wandel im Feindbild von Protestliedern fest, die sich vermehrt gegen Banken und Börsen richten.
There is something to be learned wagen sich mit ihrem Lied "Alles, Alles" in protestsongcontest-untypische Musikgefilde vor. Irgendwo zwischen Deichkind, Frittenbude und Das Bo richten sie ihre Texte gegen sich selbst und jeden, der sich angesprochen fühlt. "Wir können alles, alles, nur nicht glücklich sein" - die Texte in den Strophen versteht man leider nicht immer gut. Ernst Molden würde aufgrund des Liedes nicht wirklich sein leben ändern, auch Nina Horaczek fühlt sich nicht direkt angesprochen. Die mutige Musikwahl wird jedoch allgemein beklatscht.
Auch die Comedian Feminists aus Tirol machen etwas ganz Anderes. Als zehnköpfiger Frauenchor kommen sie in Zwanziger-Jahre-Kleidern mit Federboas auf die Bühne, wiegen sich im Takt, performen eine kleine Choreographie und singen lieblich-säuselnd über das absurde Prinzip des Cross-Border-Leasens. Wie sie später zugeben werden, haben sie selbst lange Zeit nicht verstanden, worüber genau sie da singen. Doris Knecht interessiert sich für Leasing nicht, denn dort, wo sie herkommt, besitzt man die Dinge lieber selbst. Christina Nemec findet den Refrain unterhaltsam, die Strophen aber "irrelevant". Peter Paul Skrepek lobt die Live-Darbietung, Ernst Molden möchte die Frauen gerne noch andere Lieder singen hören (sie also in den nächsten Jahren beim PSC wiedersehen?).
Die zweite Schülerband des Abends, hirschl, waren schon letztes Jahr weit vorne mit dabei. Das Singen haut am Anfang noch nicht ganz so gut hin wie im Halbfinale, aber als ihr Song "Wernhartsgrub" nach der Hälfte explodiert, haben sie ihre altbekannte gute Bühnenform bereits wiedergefunden. Martin Blumenau gibt dennoch den Bad Cop und findet das Sudern über Aufwachsen in einem schrecklichen Ort entbehrlich: "Get over it." (Auch, wenn hier vieles ja nur symbolisch gemeint war.) Ernst Molden verteidigt die Band, erntet für seinen Scherz, dass es in Österreich sowieso nur eine Stadt gebe, dennoch Buh-Rufe.
Der Protest der großartigen Yasmo & Miss Lead (die man im Nachhinnein wohl ungestraft als "großartig" bezeichnen darf) richtet sich zuallererst gegen die Oscar-Verleihung, in zweiter Linie gegen das Medienspektakel, das Jahr für Jahr darum veranstaltet wird und danach prinzipiell gegen das Beurteilen und Gegeneinander-Abwägen von Menschen und Leistungen (ein Augenzwinkern in Richtung Jury darf man sich hier gerne dazudenken). Doris Knecht freut sich, an diesem Abend voller Proteste endlich einmal das Wort "Fuck" zu hören, Christina Nemec interessiert sich zu wenig für die Oscars und Peter Paul Skrepek prophezeit Yasmo eine große Zukunft, nur vielleicht nicht beim Protestsongcontest. Martin Blumenau missversteht Yasmos durchdachtes Droppen von Filmtiteln (ein kunstvolles Stilmittel im Rap) und findet, dass die Filme, gegen die es geht, dadurch zu viel Präsenz bekommen. Hm, okay.
Wosisig aus Niederösterreich sind vielleicht die einzigen, die sich mit ihrem Auftritt beim Protestsongcontest in Gefahr bringen, schließlich richtet er sich gegen fädenziehende Landeshauptmänner und deren uneingeschränkte Macht. Vielleicht tanzen deshalb während ihrer energetischen Bühnenshow vier Akteure mit Papiersackerln voll großer Fragezeichen auf dem Kopf. Auf Dirk Stermanns Frage, wogegen sich ihr Song nun genau richte, möchte die Band lieber nicht antworten, "wegen der guten Freunde vom Papa". Nina Horaczek hat sich als Politikredakteurin den ganzen Abend auf dieses Lied gefreut. Nur die Fragezeichen haben bei ihr auch ein Fragezeichen nach Sinn und Zweck hinterlassen. Martin Blumenau meint, dass noch nie jemand Niederösterreich so sehr auf den Punkt gebracht hat wie Wosisig mit ihrer Zeile "Der Erwin sagt, wo kommen wir da hin? also bleiben wir stehen". Ernst Molden und Christina Nemec erkennen in dem Song deutliche Wave-Referenzen. Das schaut für die allgemeinen Wertungen schon einmal gut aus.
Die jährliche Nirvana-Coverversion, die beim PSC eingereicht wird, kommt diesmal von Gregor Fröhlich & Die Krisenstimmung, und diesmal schafft sie es auch ins Finale. Ihren Song gegen den aktuellen Rating-Wahn bezeichnen sie als "Liebeslied", die Umdeutung des Nirvana-Titels zu "Rate me" geht für meinen Geschmack sehr gut auf. Mit PauT haben sie ja auch einen prominenten Gitarristen/Songschreiber und ehemaligen PSC-Gewinner mit dabei. Das Publikum jubelt, die Jury tut sich bis auf Peter Paul Skrepek mit dem Song aber eher schwer. Christina Nemec fühlt sich an ihr Theaterwissenschafts-Studium und überzogene, allzu dramatische Performances erinnert.
In Sachen dramatischer Performance übertrifft die nächste Teilnehmerin, Johanna Zeul, die bisherigen jedoch bei Weitem. Während ihres Beitrags "Ich will was Neues" verzieht sie das Gesicht, vollführt Luftsprünge oder hebt die Gitarre ans Gesicht, um sich daran anzulehnen. Der Absolventin der Popakademie Baden-Württemberg merkt man ihre Professionalität auf der Bühne deutlich an, was auch die Jury positiv hervorhebt. Skrepek beglückt die überaus gut gestimmte Gitarre, würde Johanna Zeul aber lieber mit einer vollständigen Band im Rücken sehen. Molden ist von der Darbietung zwar auch mitgerissen, findet das Lied, ebenso wie Horaczek, aber trotzdem insofern schwach, als man seine Konsumkritik "fast so verstehen könnte, als ob Johanne wirklich gerne zum Gerngroß geht." Nur Christina Nemec sieht darin einen Song, der "endlich etwas will". Blumenau darauf: "Ja, aber ihr fällt nichts ein."
Das Lied "Man findet immer was, das stört" von Witwer gehört musikalisch zu den Schönsten des Abends, auch für das Arrangement haben sich die Musiker mit Akkordeon, Megafon, Geige und Trommeln viel überlegt. Aber den Protest "gegen Menschen, die nur von ihrem Fernsehsofa aus motschkern", will die Jury im Text nicht wirklich erkennen. Nina Horaczek findet die Reime verkrampft, Doris Knecht streicht die Attraktivität der einzelnen Bandmitglieder hervor und Peter Paul Skrepek bezieht das Lied irgendwie auf Syrien.
Christian Stipkovits
Die genaue Wertung gibt es hier.
Die Entscheidung
Die Beurteilungen der Jury fallen heuer auffällig unterschiedlich aus. Während für Martin Blumenau und Nina Horaczek Wosisig mit ihrem mutigen Auftritt auf Platz Eins stehen, vergibt Christina Nemec ihre neun Punkte an die sonst eher im Mittelfeld gelegene Johanna Zeul. Peter Paul Skrepek sieht als einziger Gregor Fröhlich & die Krisenstimmung ganz vorne, Doris Knecht ist für There is something to be learned und Ernst Molden setzt als einziger die volle Punkteanzahl auf die Sieger: Dreimal 7, einmal 9 und einmal 5 Punkte sind jedenfalls genug - die Protestsongcontest-Sieger 2012 heißen Rotzpipn & Das Simmeringer Faustwatschenorchester, knapp vor Wait for the b-side, it´s better. In ihrem dritten PSC-Finaljahr haben die Simmeringer den Wertungskrimi also für sich entschieden. Bei ihrer Abschlussperformance der neuen Österreich-Hymne können sie sich endlich einen alten Wunsch erfüllen und das Publikum das Absperrband vor der Bühne zerreißen lassen.