Erstellt am: 9. 2. 2012 - 16:01 Uhr
Video verboten?
Müssen sich Polizisten bei Amtshandlungen filmen lassen, oder können sie das verbieten? Darf man die Videos oder Fotos von Polizisten - auch jene, die man zum Beispiel bei einer Demonstration macht - veröffentlichen? Diese Fragen stellen sich viele, seit vor einigen Monaten zwei Polizeibeamte den Flüchtlingshilfe-Verein Purple Sheep auf Unterlassung und Schadenersatz verklagten. Der Verein hatte die Polizisten gefilmt, als sie ein schwer behindertes Kind und dessen Eltern aus dem "Freunde Schützen"-Haus abholten. Den Film über die versuchte Abschiebung veröffentlichte Purple Sheep dann im Internet. Die Polizisten sehen sich in ihren Rechten verletzt.
§ 78 UrhG Bildnisschutz
(1) Bildnisse von Personen dürfen weder öffentlich ausgestellt noch auf eine andere Art, wodurch sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, verbreitet werden, wenn dadurch berechtigte Interessen des Abgebildeten oder, falls er gestorben ist, ohne die Veröffentlichung gestattet oder angeordnet zu haben, eines nahen Angehörigen verletzt würden.
Die Bestimmung, aufgrund derer die Polizeibeamten den Verein Purple Sheep verklagten, ist im Urheberrechtsgesetz festgelegt. Dessen §78 heißt „Bildnisschutz“ und verbietet das Veröffentlichen des Bildnisses einer Person, wenn die Veröffentlichung „berechtigte Interessen“ dieser Person verletzt. Diese Formulierung, sagt der Medienanwalt Thomas Höhne, ist vom Gesetzgeber ganz bewusst so allgemein gefasst. Ein Klassiker unter den erfolgreichen Klagen sei die Verwendung des Bildnisses in der Werbung ohne Einverständnis der betroffenen Person. Erfolgreich seien auch zahlreiche Klagen gegen die Veröffentlichung von Fotos, die Menschen in sehr persönlichen und intimen Situationen zeigen.
Recht auf ungehinderte Berufsausübung
Ein solches "berechtigtes Interesse" kann auch die Berufssphäre des Menschen darstellen. In ihrer Klage gegen den Verein Purple Sheep schreiben die Polizeibeamten, dass für sie der Erfolg zukünftiger Amtshandlungen durch die Veröffentlichung ihres Bildes beeinträchtigt werde. Thomas Höhne hat einen ähnlichen, elf Jahre alten Fall gefunden: "Es ist ein Urteil des Obersten Gerichtshofes. Da hat auch ein Polizist, vertreten von derselben Rechtsanwaltskanzlei wie jetzt, geklagt. Er war damals Angehöriger der Wirtschaftspolizei und wurde bei einer Amtshandlung fotografiert. Das Foto wurde dann veröffentlicht. Er hat sich dagegen gewehrt und genau wie hier argumentiert: Er müsse auch manchmal als verdeckter Ermittler tätig werden – wenn jetzt aber die halbe Welt wisse, wer er ist, erschwere das in Zukunft seine Berufsarbeit. Diese Ansicht hat der OGH geteilt und er hat dem Unterlassungsbegehren des Klägers stattgegeben."
"How To Film A Revolution" ist ein Video-Tutorial zum richtigen Verhalten mit Kamera-Equipment auf Demonstrationen
Den Verein Purple Sheep klagen die Polizeibeamten neben der Unterlassung aber auch auf Schadenersatz. Thomas Höhne räumt den Klägern wenig Chancen ein, diese geforderten 4000 Euro pro Kopf zu erhalten: „Die werden sie sich abschminken können. Ich kann nicht sehen, wo die zarte Seele der Kläger so gekränkt worden wäre durch die Veröffentlichung, dass ihnen dafür immaterieller Schadenersatz zu stünde. Aber das ist eine Nebenfront, in erster Linie geht es um den Unterlassungsanspruch.“
Radio FM4 / Claus Pirschner
Geeignet, Zorn auszulösen
Den Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Videoveröffentlichung stützen die Polizisten auf zwei Argumente. Eines davon hält Thomas Höhne ebenfalls für schwach und eher chancenlos: Die Polizisten schreiben in der Klagsschrift, dass sie "aufgrund der negativen öffentlichen Wertung einer derartigen Amtshandlung“ in ihren Rechten verletzt würden. "Zwar nicht die Mehrheit, wohl aber ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung" werte die versuchte Abschiebung des Kindes mit Behinderung "als inhuman", die Beamten fühlten sich daher "feindseligen Emotionen von Menschen mit dieser Denkungsweise und Einstellung ausgesetzt." Die Veröffentlichtung des Videos sei "geeignet, beim Publikum Empörung und Zorn auszulösen".
Thomas Höhne sagt dazu: "Das ist sozusagen Berufsrisiko. Es gibt Berufsgruppen, die von vornherein scheel angesehen werden. Niemand hat gern den Exekutor im Haus. Niemand zahlt gern Strafmandate. Damit muss man leben, wenn man diesen Beruf ausübt".
SOS-Mitmensch schreibt zur Klage der Polizeibeamten gegen Purple Sheep: "Eigentlich richtet sich die Klage der Polizisten ja gegen die Innenministerin, die ihre Mitarbeiter dazu zwingt, Dinge zu tun, für die sie sich dann schämen. Die Klage der Polizisten stellt zu Recht unser Asyl- und Abschiebesystem in Frage, aber trifft leider zu Unrecht die, die sich für ein menschlicheres Asylsystem einsetzen. In einer Demokratie müssen schwerwiegende Behördeneingriffe in Grundrechte auch filmisch dokumentiert werden können, und es muss möglich sein, diese Filmdokumente der Öffentlichkeit zu präsentieren. Nur so kann der Schutz von Menschenrechten gesichert werden. Und nur so kann sichergestellt werden, dass Behörden, wie etwa die Polizei, hohe ethische Maßstäbe an ihre Arbeit anlegen."
Mehr Chancen räumt der Medienanwalt den Polizeibeamten hinsichtlich ihrer zweiten Argumentation ein: Die Beeinträchtigung in der zukünftigen Ausübung ihres Berufes, im OGH-Urteil von 1991 anerkannt, könne auch diesmal vom Richter so gesehen werden. Im konkreten Fall gelte es aber, die Interessen der Polizeibeamten gegen das öffentliche Interesse am Abschiebeversuch abzuwägen: "Besteht ein öffentliches Interesse daran, diese Amtshandlung bildlich mitzuerleben?", fragt Höhne.
"Konkret wird eine Geschichte erst, wenn man Menschen sieht, handelnde Personen. Und in diesem Fall ist die Amtshandlung ja wirklich nachher als rechtswidrig erkannt worden, weil hier ein behindertes, schwerkrankes Kind hätte abgeschoben werden sollen. Was man doch nicht getan hat." Sogenannte "Präzedenzfälle", wie ihn das OGH-Urteil von 1991 darstellt, zählen in Österreich allerdings weniger schwer als zum Beispiel in den USA. Die Richter sind in ihrer Entscheidung trotz vorhergegangenen OGH-Urteils völlig frei.
Der Flüchtlingshilfe-Verein Purple Sheep warnt auf seiner Website, dass durch den Prozess ein "Präzedenzfall" geschaffen werden solle, um zukünftig Polizisten bei Amtshandlungen "nicht mehr filmen zu dürfen". Für diese Befürchtung, sagt Höhne, gäbe es keinen Grund - auch, weil der "Bildnisschutz“ des §78 UrhG nur die Veröffentlichung, nicht aber die Anfertigung von Fotos und Videos regelt. Filmen und Fotografieren ist in Österreich grundsätzlich erlaubt.
Thomas Höhne: "Bei einer Amtshandlung könnte die Argumentation der Polizei lauten: Das Filmen ist eine Vorbereitungshandlung zur Verbreitung. Den Verbreiter erwischen wir nachher nicht mehr, aber wir erwischen jetzt den Filmer und weisen ihn daher an: Hören sie auf mit dem Filmen. Ich würde sagen, das muss man dann situativ lösen, es ist eine Frage der individuellen Courage, wie weit man da geht." Ein Recht, nicht gefilmt oder fotografiert zu werden, hat man in Österreich – auch als Polizist – nicht. Und wenn eine rechtswidrige Amtshandlung gefilmt wird, dient das dem öffentlichen Interesse. Im Zweifelsfall – und um sich einen Prozess zu ersparen – hätte Purple Sheep vor der Veröffentlichung des Videos allerdings die Gesichter der Polizeibeamten unkenntlich machen können.