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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

9. 2. 2012 - 18:16

Wie die Uhren ticken

Länger als 30 Minuten muss ein Album gar nicht dauern: "Narrow" von Soap&Skin ist die perfekte Verdichtung von Song und Sound, Analog und Digital, Leben und Sterben.

Heute, 10. Februar 2012 ab 18 Uhr in Connected: Exklusive Acoustic-Session und Interview mit Soap&Skin, auf fm4.ORF.at Videos von der Session.

Man muss auch wirklich nicht ständig über irgendwelche merkwürdigen Projektionen reden, über "Sphinxen aus Eis" und "Wunderkinder": "Das sind eben solche Begriffe", sagt Soap&Skin, "das ist peinlich, was soll das denn aussagen? Ein romantisch verklärtes Bild?"

Seltsam genug, dass, wenn eine junge Frau alleine soundtechnisch tiefbohrende, möglicherweise leicht neben der Spur alltäglicher Hörgewohnheiten liegende Musik erdenkt, gleich begriffliche Sensationen konstruiert, vor allem aber strippenziehende Fremdeinwirkung von irgendwelchen Machern im Hintergrund anvermutet werden müssen.

Soap&Skin

Daniel Hafner

Die Konzerte der bevorstehenden Tour von Soap&Skin bringen vornehmlich nicht die einsamen, intimen Liederabende einer jungen Frau alleine an Klavier und Powerbook, sondern versprechen in Ankündigungen "Soap&Skin - mit Ensemble". Anja Plaschg, die Frau hinter Soap&Skin, hat sich für die Live-Darbietung Unterstützung zur Seite geholt: Cello, Kontrabass, Violine, Viola, Trompete bzw. Flügelhorn und Plaschgs Schwester als Backing Voice. "Ich werde aber trotzdem nach wie vor auch solo auftreten. Es fühlt sich bloß wahrhaftiger an, wenn das, was ich so komponiere, auch wirklich live gespielt wird."

Nun mögen die Auftritte mit kleinem Orchester den Schluss nahelegen, dass - ähnlich wie viele, viele Produzentinnen und Produzenten von im weitesten Sinne elektronischer Musik das in der jüngeren Vergangenheit getan haben - auch Anja Plaschg die Solo-Unternehmung Soap&Skin jetzt ebenfalls für den Tonträger zu einer Art Band-Konstrukt transformiert hat.

Tatsächlich aber hat sie "Narrow", wie schon ihr vor gut drei Jahren erschienes Debüt-Abum "Lovetune For Vacuum", so gut wie komplett - ausgenommen ein kleiner Chor hier oder ein wenig geborgte Elektronik da - alleine erdacht, eingespielt und zusammengebaut.

Soap&Skin

Marco Prenninger

Der Tod von Anja Plaschgs Vater im Jahr 2009 liegt als thematischer und stimmungstechnischer Schatten über "Narrow"- das mit seinen 8 Stücken und 30 Minuten Spieldauer übrigens als "Mini-Album" (was aber auch ein wenig egal ist) dargereicht wird. Das Stück "Vater", über das sich Boris Jordan schon vergangenen Sonntag Gedanken gemacht hat, eröffnet "Narrow" und gibt die Gewichtung vor. Soap&Skin singt auf "Narrow" von Uhren, vom Verrinnen der Zeit, vom rauen Pulsschlag der Pauke, vom Tod.

Dem direkten, gar herausfordernden Blick auf dem Albumcover und dem vermeintlich in den Texten zu erhaschenden Blick hinein ins private Eigenleben der Künstlerin stellt Soap&Skin eine hochkünstliche Musik gegenüber, in der die Kategorien verwischen. Die knisterndere und knacksende Experimental-Elektronik, die in früheren Stücken von Soap&Skin Vergleiche mit Bastlern wie Autechre oder Aphex Twin heraufbeschwor, scheint zunächst stark in den Hintergrund gedrängt und von "organischer", "echter" Live-Musik überholt worden zu sein. In Wahrheit aber wird "Elektronik" bei Soap&Skin eben nicht als Zierrat eingesetzt und ist weniger Effekt denn elementares Trägermaterial und Arbeitsgerät.

soap&skin cover

Soap&Skin

"Narrow" von Soap&Skin erscheint via Solfo Music

So hat Soap&Skin gut ein halbes Jahr mit der Setzung der Streicher-Samples für ihre Bearbeitung von Desireless' "Voyage, Voyage" verbracht: Im Original ein durchschlagender Feten-Hit der mittleren 80er-Jahre, bei Soap&Skin ein bebendes Klagelied, dem jeder üble Beigeschmack der "ironischen" Coverversion fremd ist und der eine Deutung der titelspendenden "Reise" als eine eventuell endgültige nahelegt.

Für das Stück "Lost" hat sich Anja Plaschg wie es scheint Franz Schuberts "Sehnsuchtswalzer" einverleibt und in "Deathmental" verschmelzen industrial-haftes Maschinen-Schnaufen und Fanfaren-Bombast zu einem selten gehörten barocken Totentanz. Einer der schönsten, wenn man so will berührendsten Momente auf "Narrow", der vielstimmige Chor-Refrain im Stück "Wonder", kann als einzige Täuschung und Vorgaukelung großer Gefühligkeit gelesen werden: Wo anderswo gemeinschaftliches Gruppensingen oft als Beweis des Wahrhaften, Freundschaftlichen und Echten ins Feld geführt wird, da hat bei Soap&Skin eine gemeinsame Studio-Session mit befreundeten Gastsängerinnen und - sängern nie stattgefunden. Alles von jedem in der privaten Stube aufgenommen, per Internet verschickt und von Anja Plaschg sauber verschnitten.

So verdichten sich auf "Narrow" rotweindunkle Poesie, Nebelschwaden aus dem Rechner und aus dem Piano tropfende Geisterwalzer zu einem Dokument von schwindlig machender Beklemmung. Das Vergehen des Lebens, das Ticken der Uhren: Lange schon nicht mehr wurden die grauen Stunden zwingender vertont. Eine Platte, die nicht zuletzt die Debatten von "Authentizität" und Inszenierung wunderhübsch zum Torkeln bringt.