Erstellt am: 14. 2. 2012 - 17:59 Uhr

Leider geil!

Das neue Deichkind-Album tanzt Ballett de Tourette. Tu doch nicht so, du magst es doch auch, unser Album der Woche.

deichkind

This is a warning, auf keinen Fall reinhören. Neuronale Dysfunktionen im Gehirn sind das Resultat. Sobald der Befehl von ganz unten seinen Weg durch den Hirnnerv in den Kopf gevocodert hat, zuckt die Zellkörperkultur im Neonlook und alles blinkt pyramidal.

Die Großraumdisco im Kopf will bis lang nach Mitternacht den Schlaf penetrieren und der Schlaf der Gerechten brüllt nach Eiswürfel in Pyramidenform. Gute Laune mit Poltergeist will never die und winselt weinerlich um akustischen Orgienstopp. Im Klartext: Wer reinhört, verliert.

Hab ich gesagt machst du so, hab ich gesagt mach so

In your face, this is it. Das genialste Deichkindalbum.

Während beim Vorgänger noch eindeutig eine Zeile als Krönchen aufs Album gesetzt werden konnte, ist das beim Befehl von ganz unten fast unmöglich. Wohin die Reise geht? Voilà, hier die topper, ein textliches Potpourri mit Niveau, Stil und Talent:

deichkind

Hab ich gesagt machst du so, hab ich gesagt mach so

Man bringe uns ein Opfer, vorne vom Foyer, die Füße von der Klofrau wärn für uns ok

Kleine Kinderhände machen schöne Schuhe, meine neuen Sneakers sind leider geil

Wir dulden keinen Anstand, weil der Freigeist dann stirbt

Was ist das fürn Prolet dieser Batman? Ich habe heut ein Date mit den Beckhams

Hey, nerv nicht mit Fanpost, ich trachte nachTrennkost

Milben und Gesindel leben im Pimmel

Das passiert nicht aus versehen, wir machen das mit Absicht

Ja, ihr werdet euch bestätigt finden, liebe Deichkindkritiker: Platte Reime, billiger Sound, Discoschlagerqualität, bummbumm nach Strickmuster 0815. So kratzt man nicht mal annähernd an der Oberfläche. Aber bei jeder Party gibt es einen Pooper in der Ecke, Geschmäcker sind wie Ohrfeigen. Nach diesem Album kann man sich aber einem, egal wie man zu ihren Songs steht, nicht mehr verschließen:

deichkind

Deichkind sind zu einem einzigartigen Kulturphänomen geworden, die Mischung aus musikalischer Massentauglichkeit gepaart mit Gesellschafts- und Konsumkritik macht ihnen niemand auch nur annähernd nach. Kindergeburtstag meets Durchprofessionalisierung meets DIY meets DaDa meets 2012.

Es würde mich ein Auftritt im Musikantenstadl weder verwundern, noch vor den Kopf stoßen. Die kulturellen Grenzüberschreitungen sind aufgehender Plan, der nicht mal annähernd nach Plan aussieht und sich im anarchischen Schafskostüm versteckt. Übrigens könnte ich auf Anhieb zehn Menschen nennen, die mich zu diesem Auftritt im volkstümlichen Kostüm begleiten würden, um gemeinsam vor laufender Kamera für Mutti zu schunkeln.

Sprechgesang und Völkerball, Hasselhoff und Mauerfall

Nun zum Album. Ganz im Stile der beiden Vorgänger, also im Stile des aktuellen Deichkinds, reihen sich hier die Tracks aneinander. Wie bekannt: ein Opener, der uns auf die Knie zwingt, um in huldigender Körperstellung den Rest des Albums zu hören: Tetrahedon. Songs wie Mond, Pferd aus Glas oder Strahl sind im erschreckenden Schlagerstil gehalten. Erschreckend deshalb, weil die garantiert niemand mehr aus dem Kopf kriegt.

Dazwischen sampeln sie übrigens die Rock Steady Crew und setzen sie auf Pferde aus Glas gefüllt mit Bier. Mit der roten Kiste, dem letztne Track am Album, geht man eine gelungene Teamarbeit mit den Punkhaudegen Slime ein und würdigt deren Musik, die seit Jahrzehnten ein wesentlicher Bestandteil der deutschen Punkkultur sind. Überhaupt klingt das Album stellenweise sehr nach deutschen New Wave Zeiten.

99 Bierkanister werden da etwa besungen, für eine Zusammenarbeit mit Nena fühlen sie sich allerdings noch nicht bereit, das Prozacalter ist noch in weiter Ferne.

viralbuzz.de

Aber Dich gibt's nur einmal für mich

Schön, dass Deichkind auch an Menschen denken, die keine Freunde haben, auf einer einsamen Bohrinsel hängen, auf Wetterforschungsstationen fernab von geselligen Hüttenspäßchen sind; mit diesem Album ist man niemals alleine. Viele neue spaßige Amigos werden sich apostellike an die Seite gesellen und bei jeder Gelegenheit auch ungefragt Kopfnicken und Pozucken verursachen. Bald verschwimmen die Grenzen der Dimensionen und die Freunde im Ohr werden sich verselbständigen. Lass es einfach laufen. Ein Hoch dem Tetrahedonismus!

Hab ich schon gesagt: machst du so?

Die Liveauftritte sind noch in Planung, die Deichkinder machen alles selbst. Angeblich werden Lötstellen im Backofen bearbeitet. Der Teufel schläft im Detail, dort aber nicht sehr gut und deshalb wird die neue Show Roboter, autonome Säulen und eine komplett bewegliche Bühne beinhalten.

Marantjosef. Aber leider geil.

Anspieltipps:

1 - 12.
12. - 1.
1, 2, 3 und 4. dann aber auch 5 - 12.
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 11, 12.