Erstellt am: 9. 2. 2012 - 11:32 Uhr
Und ewig rotiert die Discokugel
Not EDM
Ihr kennt sicher diesen Effekt, wenn die Discokugel in einer bestimmten Geschwindigkeit rotiert und die von den Spiegeln reflektierten Lichtpunkte an der Wand sich zunächst verlangsamen, dann zum Stillstand kommen und schließlich gegen die Laufrichtung davongaloppieren. Die kindliche Disco-Freude beginnt in der Regel mit einer optischen Täuschung. Oder den Muppets:
Disco und Elefanten
Der Elefant im Raum trägt Schlaghosen und ein Polyesterhemd mit Jumbokragen. Natürlich wollen die beiden DJs und Escort-Produzenten Eugene Cho und Dan Balis keine Gralshüter der reinen Lehre sein und als reaktionär und konservativ gelten. Wie zum Trotz tragen die neuen Disco-Dons von New York die unglamouröse Uniform aller Jungkreativen: Karohemden mit Baumwollstrick darüber. Und Eugene sagt pflichtschuldig, was er in allen Interviews sagt, nämlich, dass der Disco seines siebzehnköpfigen Ensembles auch „moderene Elemente“ enthalten würde.
Aber es ist ja auch so offensichtlich: Die beiden sind Disco-Puristen vor dem Herren. Sie verbieten sich selbst die Benutzung von Samples (ausgenommen davon sind Club-Rmxs), nehmen alle Instrumente analog auf und bemängeln an diversen Kollegen, dass jene bloß die „geschmackssicheren und coolen“ Elemente aus dem Quellcode herauslösen würden, anstatt die volle Länge der Tanzfläche zu durchschreiten. Der Disco der goldenen Ära der späten 70er und frühen 80er war ja auch funny, hysterisch, schmalzy und expressiv bis zum Anschlag. Drag und campy sowieso. Das alles kommt zusammen im namenlosen Debütalbum von Escort. Und wie das zusammenkommt.
Christian Lehner
Zwischen Paradise Garage und Love Boat
Sechs Jahre haben Cho und Balis für die Fertigstellung der Platte gebraucht. Fünf Jahre ist es her, seit die Band mit einer Live-Performance im Rahmen der schwerst legendären Outdoor-Serie „Warm Up“ im PS1-Museum zu Queens erstmals so richtige aufzeigte und so das Disco-Revival in NYC mitankicken half. Dazwischen liegen zwei Eheschließungen, unzählige Aufnahmesessions mit Musikern, im richtigen Winkel geschlagene Kuhglocken und Vermessungsstudien zur idealen Mikrofonpositionierung und Kickdrumdynamik. Wir sprechen von Hunderten durchwachten Nächten hinter dem Mischpult.
Grund zur Eile gab es kaum. Chos Brotberuf als Produzent für Werbemusik finanziert das Studio und kauft der Leidenschaft Zeit. Selten zuvor war ich in einem so großzügigen Office-Space zu Gast. Die Escort-Zentrale befindet sich am südwestlichen Ende von SoHo in unmittelbarer Nähe zu Labels wie Matador oder dem US-Ableger von WARP. Wer hier residiert, kann es sich auch leisten.
Cho und Balis schmunzeln, wenn sie darüber reden, dass sie wohl die gelebte Antithese zur aktuellen (digitalen) Mixtape-Kultur mit ihrem Veröffentlichunsstakkato wären. Am Ende der Mühsal steht ein Sound, der wie ein Fundstück aus einer Grabkammer mit Discokugel wirkt. Es lebt! Balis erklärt, dass ihm nur wenig so viel Freude bereite, wie die Kreation eines Quasi-Originals, das eben nicht von einer alten Platte stammen würde.
Christian Lehner
11 Fundstücke aus der Gegenwart
Das Escort-Debüt umfasst 11 Stücke, die vor allem den Disco der Spätphase Anfang der 80er, also bis zu Jacksons "Thriller", ausbuchstabieren. Es ist ein erfrischend gegen den Zeitgeist geschnittenes Album, das mit Plateau-Stampfern wie etwa "A Sailboat In The Moonlight" aufs Love Boat inklusive bunte Glühbirnen und Latino-Grooves entführt. Die obligatorischen Streicher-Tupfer legen in "Starlight" selbstleuchtende Stufen in den Discohimmel und mit der Variation des berühmten "Cocaine Blues"-Themas wenden sich Escort pflichtschuldig der Lieblingsbrause der altvorderen Tanzbären zu.
Ihr Ansatz, sich aus der Beschleunigung der digitalen Ära zu lösen und die Lichtpunkte in die gegensätzliche Richtung laufen zu lassen, hat – bei dementsprechendem Ergebnis – etwas zutiefst Sympathisches. Und die Kugel, sie dreht sich ohnehin ohne Unterlass immer weiter und weiter.