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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

8. 2. 2012 - 18:29

Afrika-Cup-Journal '12. Eintrag 15.

Die zambische Überraschung und der Kampf der Systeme - der Semifinal-Tag beim CAN in der Live-Beobachtung.

Der 28. Afrika-Cup wird im Afrika-Cup-Journal '12 mit einem täglichen Eintrag begleitet.

Den täglichen Output des Vorjahres wird es 2012, wie immer in geraden Jahren, nicht geben. Was ansteht: ein Fußball-Journal '12, ein Journal zur Europameisterschaft, ein London-Olympics-Journal und auch ein Journal 2012, eines mit anlass-bezogenen Beiträgen zu Themen wie Jugend- und Popkultur, Demokratie- und Medienpolitik.

Heute machen sich die letzten vier beim Afrika-Cup in Bata (Äquatorial-Guinea) und Libreville (Gabun) die Finalisten aus. Und es kommt zum Kampf der Systeme: in beiden Semifinalspielen stehen einander Mannschaften mit einer vergleichbaren Philososphie gegenüber.

Halbfinale 1 sieht das Duell Ghana gegen Zambia; und beide Mannschaften spielen ein äußerst gepflegtes, defensiv solides und offensiv enorm gefährliches 4-2-3-1.

Halbfinale 2 wird die Begegnung zweier durchaus ähnlich angelegter Systeme. Sowohl die Cote d'Ivoire als auch Mali verlassen sich auf ihr lange geübtes 4-3-3.

Semifinale 1: Ghana trifft auf Zambia

Die Odds sind klar: Ghana als die spielerisch reifere, international auffälligere, durch eine WM-Turniererfahrung gestählte und den U-20 WM-Titel von 2009 unterfütterte Mannschaft sollte es gegen Außenseiter Zambia packen.
Die Südafrikaner sind aber nicht nur strategisch und taktisch gut aufgestellt, eine über Jahre gewachsene Einheit, sondern auch die konterstärkste Mannschaft des Turniers.

Über ihre Vorzüge habe ich bereits anlässlich des Viertelfinales Loblieder gesungen - wer ein Team das sich aus Spitzenspielern der südafrikanischen, kongolesischen und chinesischen Liga zusammensetzt, findet sich schnell im Flieger nach Hause wieder.

Team Ghana zeigt seine große Stärke aber bereits in der Aufstellung: man leistet sich die Ausfälle von Paintsil, Masahuda, Vorsah, Badu und Muntari und ist trotzdem erstklassig sortiert. Goran Stevanovic' Kader ist unglaublich gut besetzt, das strikte 4-2-3-1 hat sich fantastisch verselbstständigt, die Rollen, Laufwege und Aufgaben innerhalb dieses Systems sind allen Akteuren im Schlaf bekannt, selbst die Ausfälle der Stamm-Innenverteidigung macht keine Probleme.

Ghanesischer Nachdruck für 30 Minuten...

Mit dieser Selbstsicherheit drängt Team Ghana den zambischen Gegner die erste Halbzeit ziemlich hinten hinein. Herve Renard, französischer Coach von Zambia, wachelt sein Team lange Zeit recht vergeblich nach vorne, erst so ab der 30. Minute kann man sich befreien. Gut für Zambia: es ist kein Tor gefallen, einen etwas zu harten Foulelfer hat Asamoah Gyan etwas leichtfertig vergeben.
Seitdem und vor allem dann in der 2. Halbzeit neutralisieren die Teams einander, die gute Defensivarbeit lässt kaum Chancen zu, irgendwie riecht es schon Mitte der Halbzeit nach Verlängerung.

Dann, relativ aus dem Nichts, gelingt Mayuka, dem jungen Stürmer bei YB in der Schweiz in der 76. Minute mit einem Drehschuss an die lange Innenstange aus gut 20 Meter, der turnaround. Ghana muss jetzt alles nach vorne werfen, was die zambischen Konterstöße geradezu herausfordert.
Centerstürmer Mayuka war erst in der 2. Halbzeit gekommen, nachdem er (nach einem furiosen Turnierstart) zuletzt geschwächelt hatte.

... danach erlaubt die Sloppyness Zambia sein Kontertor

Sein Konterpart als Center, Gyan, war zu diesem Zeitpunkt schon draußen; auch er schwächelt in dieser Turnierphase. Zuletzt waren es die Ayew-Brüder Andre und Yordan (die Söhne des großen Abedi Pele), die etwa das Viertelfinale an sich rissen.

Stefanovic hat Prince Tagoe für Gyan gebracht und als letzte Waffe kommt fünf Minuten vor Schluss Sulley Muntari, der sich zuletzt mehr mit seinem Transfer (von Inter zu Milan) als mit dem Afrika-Cup beschäftigt hat.

Muntari ist das Musterbeispiel der als "sloppy" zu bezeichnenden Grundhaltung, mit der sich Ghana bislang durchs Turnier gespielt hat: meist war es kaum mehr als das unbedingt Notwendige.
Manchmal war das Gefühl immer noch einen Zahn zulegen zu können da; meist agierte man aber überaus kontrolliert. Wie sich in diesem Semifinale erweist: zu kontrolliert. Da nützt die fantastische Spielkultur über die das Team verfügt, dann auch nichts.

Und so liegt es nicht an John Mensahs Verletzung oder Derek Boatengs Ausschluss, sondern an der mangelnden Durchsetzungs-Fähigkeit, die Ghana in diesem Regen-Duell in Bata, an den Tag legte.

Der erste Finalist ist schon einmal eine kleine Sensation:

Herve Renards Zambia wirft somit nach dem Senegal den zweiten spielerisch eigentlich überlegenen Favoriten aus dem Bewerb.
Für Zambia ist das übrigens der größte Erfolg seit 1994, als das Team um den großen Kalusha Bwalya im Finale stand (wie nur 1974 einmal zuvor). Im Jahr davor war praktisch das gesamte Nationalteam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen.

Zambia ist bislang im Wesentlichen mit 13 Spielern ausgekommen, die anderen Subs kommen nur auf je ein paar Minuten - sie sind also das deutlich am engsten beieinanderstehende Team des Turniers.

Semifinale 2: Cote d'Ivoire muss sich gegen Mali beweisen

Francois Zahouis Startruppe war durch den Aussetzer von Ghana doppelt gewarnt. Und begegnete dieser Furcht, knapp vor dem Final-Ziel zu scheitern, mit der Flucht nach vorne. Im ersten Teil dieser ersten Halbzeit powerte man nach vorne, dass sich Giresse Team Mali kaum aus der eigenen Hälfte bewegen konnte. Erst ab der 25. Minute gelang die Befreiung, was zu etwas führte, was man einen offenen Schlagabtausch nennt und selten schon in der 1. Halbzeit eines wichtigen Spiels sieht.

Entscheidend an dieser Entwicklung beteiligt waren zwei zentrale Spieler, die man zuletzt zurecht heftig kritisiert hatte. Denn: allzu sehr hatten sich Yaya Toure (vormals Barca, jetzt Man City) bzw. Seydou Keita (immer noch Barca) zuvor versteckt. Manchmal waren sie ein ganzes Spiel lang nicht zu sehen.
Diesmal nahmen beide das Heft des Handelns in die Hand. Yaya ernannte sich zum vierten Angreifer, interpretierte seine Rolle im zentralen Mittelfeld (vor Zokora und dem gut aufgelegten Tiote) als sehr offensiv und brachte es nicht nur zu einem Stangenschuss, sondern war der Leiter der Attacke.
Seydou tat es ihm nach, setzte sich ebenfalls vor seine beiden Mitstreiter in der Mittelfeld-Zentrale und beackerte so das Feld hinter dem Dreier-Sturm.

Yaya Toure besiegt Seydou Keita

Beide Teams agieren wieder mit dem einst von Italien bei der WM 2006 zur Perfektion getriebenen 4-3-3, das sich vor allem aus der Wucht und Dynamik der Mittelfeldreihe speist, die sich sowohl als Bollwerk nach hinten, als auch als offensive Einleiter versteht.

Dass die Cote d'Ivoire zur Halbzeit führt, ist auch Ausdruck des Punktesieges von Yaya Toure über Seydou Keita, vor allem aber einer Energieleistung von Gervais Yao Kouassi, den die Welt unter dem Namen Gervinho kennt, zu verdanken.

Dass sich die ganze zweite Halbzeit über weder am Spielstand, noch an der Punktewertung dieses Duelle änderte, führte folgerichtig zu einer gewissen spielerischen Stagnation, aber auch dazu, dass die Ivoirer dieses zweite Semifinale recht sicher nach Hause schaukelten.

Das hatte auch damit zu tun, dass Giresse keine echten Alternativen auf der Bank hatte: Maiga und vor allem der spielstarke Abdou Traore waren ihm ausgefallen; der Rest des Kaders hat nicht die Klasse, die nötig ist um gegen den Turnier-Favoriten zu bestehen.

Der zweite Finalist ist der logische Sieger

Für die Cote d'Ivoire gilt es jetzt, endlich, den buislang einzigen Sieg beim Afrika-Cup, der bereits von 1992 datiert, zu wiederholen. Im Gegensatz zu heute war das damalige Team eines, das sich aus eher unbekannten Homeboys zusammensetzte, von denen mir außer dem großartigen Tormann Gouamené niemand mehr in Erinnerung ist.
Gegner war die stargespickte Mannschaft von Ghana (Lamptey, Baffoe, Yeboah). Insofern wäre ein Final-Duell gegen Ghana eine ganz besondere Sache gewesen.

Eine andere Gemeinsamkeit mit 1992 bleibt aber gegeben. Zum erstenmal seit 1992, als Martial Yéo das Team coachte, ist mit Francois Zahoui wieder ein Einheimischer Trainer der Ivoirer. Das ist angesichts der heutigen Entlassung von Senegals Amara Traore ein wichtiges Signal für den afrikanischen Fußball um aus der kolonialen Umklammerung zu entkommen.