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Burstup

Physische Welt, virtuelle Realität. Politik und Kultur.

8. 2. 2012 - 11:40

„Sicheres Internet? Dann stoppt ACTA!“

Schülerinnen und Schüler aus ganz Österreich nützten eine Einladung ins Parlament, um ihre Sorgen über ACTA zu deponieren.

Aktionstag gegen ACTA weltweit und in Österreich

Seit dem Jahr 2004 wird in zahlreichen Ländern der Welt der „Safer Internet Day“ begangen. Mit dem Aktionstag will Insafe, ein Netzwerk von staatlichen Organisationen, den „sicheren Umgang von Jugendlichen mit dem Internet“ fördern. In Österreich waren anlässlich des neunten „Safer Internet Day“ Schülerinnen und Schüler aus allen Bundesländern eingeladen, ins Parlament zu kommen. Dort sollten sie unter anderem die Möglichkeit erhalten, mit Abgeordneten über ihre Wünsche und Anliegen bezüglich des Internet zu sprechen.

Details über die Köpfe hinter ACTA in der EU-Kommission

SchülerInnen im Parlament

Koordinator des „Safer Internet Day“ in Österreich ist Johann Maier. Der Abgeordnete zum Nationalrat (SPÖ) ist auch Vorsitzender des Datenschutzrates. Ihm bereitet es sichtlich Vergnügen, die etwa 30 Schülerinnen und Schüler schon vor dem Beginn der eigentlichen Veranstaltung durch die Räume des Parlaments zu führen – inklusive Sitzprobe auf den Sesseln von Regierung und Abgeordneten.

Der vorläufige Text des ACTA-Abkommens auf Deutsch.

Demonstrantin mit verklebtem Mund

REUTERS (SRDJAN ZIVULOVIC)

Eine Demonstrantin in Polen. Dort wird ACTA wegen massiver Proteste im ganzen Land vorläufig nicht ratifiziert.

Einige bei dieser Gelegenheit ebenfalls gut gelaunte Teenager geben mir gleich bei meiner ersten Frage zu verstehen, warum sie eigentlich hier sind: „Wir wollen mit den Abgeordneten über ACTA sprechen“, sagt einer, der extra aus Salzburg gekommen ist, während ein anderer ein selbstgemaltes Plakat ausrollt - darauf aufgelistet sind Argumente gegen das Antipiraterie-Abkommen: „Damit wir nichts vergessen, wenn wir dann den Politikern gegenübersitzen.“ Die Gruppe hat sich über das Internet und auf der Zugfahrt von Salzburg nach Wien spontan gebildet.

Schluss mit der Geheimhaltung

ACT Against ACTA

Die Schüler stört unter anderem die Geheimhaltung, unter der ACTA jahrelang von Industrielobbys verhandelt wurde. So konnten etwa EU-Parlamentarier nach jahrelangen Verhandlungen nur Auszüge aus dem Text lesen – in einem abhörsicheren Raum und nur für wenige Minuten. Statt eines vollständigen Textes von offizieller Seite gibt es bis heute nur unvollständige Auszüge und Leaks, aufgrund derer Zusammenhänge mühsam rekonstruiert werden müssen. Die Schüler wollen eine öffentliche Diskussion über das von der österreichischen Botschaft in Japan bereits unterzeichnete Vertragswerk einfordern, und sie wollen über drohende Zensur und die durch ACTA steigende Gefahr der Überwachung sprechen. Aufgrund des Antipiraterie-Abkommens sollen unter anderem Internet-Provider für die von Usern hochgeladenen Inhalte verantwortlich gemacht werden.

Die Genese von ACTA in 118 Artikeln der ORF-Futurezone.

Doch bevor die Schüler ihren Protest darüber zum Ausdruck bringen können, müssen sie mehrere Ansprachen erdulden. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer tischt uns die Mär vom Erwachsenen, dem man ja vor kurzem noch erklären musste, „wo der Einschaltknopf des Computers ist“, auf. Vielleicht ist das als Aufforderung an die SchülerInnen gedacht, mit Netzpolitik überforderte Abgeordnete zu beraten – es wirkt aber wie ein misslungener Versuch der Anbiederung. Fast eine Stunde vergeht mit leeren Phrasen seitens mehrerer Politiker und Organisatoren, ohne dass etwas Substantielles geschieht.

Greift ACTA in das Grundrecht auf Datenschutz ein?

In den darauffolgenden Gesprächsrunden zeigt sich, wie ungeschickt die Aufteilung des Zeitbudgets war. Die Abgeordneten wechseln zwischen verschiedenen Tischen, die SchülerInnen der ACTA-Gruppe können nur mit einem Teil der anwesenden PolitikerInnen diskutieren. Dafür überrascht Johann Maier die Jugendlichen mit seinem Wissensstand über das Antipiraterie-Abkommen. Der Abgeordnete ist seit 2008 ein erklärter Gegner des Vertrags und hat seitdem jährlich eine parlamentarische Anfrage dazu gestellt – als einziger Politiker Österreichs. 2008 war jenes Jahr, in dem der ursprünglich als Maßnahmenpaket gegen Produktpiraterie wie Medikamentenfälschung gedachte Vertrag von der Unterhaltungsindustrie entdeckt und in der Folge mit immer mehr Maßnahmen zur Kontrolle des Internet gespickt wurde.

EPA

Demonstration gegen ACTA in Polen

Maier stimmt der Kritik zu, die die Schüler im Gespräch mit ihm vorbringen: „Ich will wissen, ob aufgrund von ACTA in das Grundrecht auf Datenschutz eingegriffen wird. Insbesondere wenn die Provider in Zukunft Aufgaben der Polizei übernehmen sollen.“ Einig ist sich der Abgeordnete mit den Schülern auch darüber, dass sich das Antipiraterie-Abkommen bereits jetzt, vor seiner endgültigen Ratifikation, auf die Politik der EU auswirkt: „Die Kommission hat vor wenigen Wochen angekündigt, eine neue Richtlinie über einen strafrechtlichen Teil bei Urheberrechtsverletzungen vorzulegen. Das entspricht dem, was in ACTA diskutiert worden ist aber noch keine Muss-Bestimmung darstellt.“

In Österreich: durchaus ein "Nein zu ACTA" möglich

Auch Tanja Windbüchler, Abgeordnete zum Nationalrat und Jugendsprecherin der Grünen, hört der Gruppe zu. Sie schaut sich das Anonymous-Video zu ACTA an. Und sie tritt dafür ein, dass Österreich den Vertrag blockieren soll – denn das vom Botschafter in Japan bereits unterzeichnete Abkommen wird erst gültig, wenn das Parlament positiv darüber abstimmt: „Ich bin davon überzeugt, dass das österreichische Parlament durchaus nein sagen könnte zu ACTA – und somit auch einen Diskussionsprozess eröffnet, was das eigentlich bedeutet. Was ist dieses Antipiraterie-Abkommen? Was bedeutet es in Richtung eines Überwachungsstaates? Notwendig ist auch eine breite Debatte über das Urheberrecht.“

Von den SchülerInnen und Schülern wird das Urheberrecht als unzeitgemäß betrachtet. Windbüchler tritt für das Modell einer Kulturflatrate ein. Die Zeit für Diskussionen ist viel zu kurz: „Die Einleitung hat sich zu sehr gezogen“, sagt ein Teilnehmer. „Es waren sechs Abgeordnete da, und wir konnten nur mit zweien von ihnen reden.“ Der Schüler packt seinen Rucksack und macht sich auf den Weg zum Bahnhof. In Salzburg wird er am 11. Februar an einer Demonstration teilnehmen - es ist der weltweite Aktionstag ACT Against ACTA.