Erstellt am: 7. 2. 2012 - 21:10 Uhr
Neue Heimat für alte Programme
Bevor Festplatten auf Miniaturgröße geschrumpft waren, und es handliche USB-Sticks gegeben hat, war bei der Datenspeicherung zwar alles komplizierter, aber irgendwie auch aufregender. Heute wird Software nur noch auf DVD ausgeliefert, oder man lädt sie gleich direkt aus dem Netz. Früher hat man Daten aber nur auf Disketten speichern können, und noch weiter in der Vergangenheit sind Computerprogramme und Games sogar auf MC-Kassetten gespeichert worden (Datasette).
All das ist für uns heute Geschichte, doch für Bibliothekare und Archivare sieht die Sache anders aus. Die haben ihre liebe Not, die alten Daten auf den vielen Disketten und Kassetten von damals am Leben zu erhalten. Ebenso schwer ist es, alte Computer vor dem Verfall zu retten. Zwar können Daten einfach kopiert werden, nicht aber die dazugehörige Hardware sowie das Zusammenspiel von Daten, Datenträgern und Betriebs- und Computersystemen. Anfang Februar hat in Berlin eine internationale Konferenz zur nachhaltigen Bewahrung von Videospieldaten stattgefunden, bei der sich spezialisierte Software-Entwickler, Betreiber von renommierten Universitätsbibliotheken und Videospielarchivierungsexperten ausgetauscht haben.
![© Robert Glashüttner Die Verpackung und die Disketten des Computerspiels "Space Quest II" aus dem Jahr 1988.](../../v2static/storyimages/site/fm4/2012026/sq2box.jpg)
Robert Glashüttner
Überholte Hardware, antike Software
Jeder kennt sie vom Sehen oder vom selbst spielen: Die mächtigen Videospielautomaten, die in den frühen 1980er Jahren ihre Blütezeit erlebten. Diese Maschinen stehen schon lange nicht mehr in den Spielhallen, doch sie leben in unseren Computern weiter. Das unkommerzielle Archivierungsprojekt MAME, kurz für "Multiple Arcade Machine Emulator", sorgt seit 15 Jahren dafür, dass "Pac-Man", "Space Invaders" und Konsorten originalgetreu auf jedem modernen Computer spielbar sind.
Rechtlicher Knoten
Ein Problem, mit dem das MAME-Projekt schon von Beginn an zu kämpfen hat, beschäftigt die Emulatoren-Szene weiterhin: jenes der Rechteabklärung alter Spiele-Software.
Auf Anfragen bei großen Konzernen, ob man bestimmte Games-Titel offiziell für Emulations-Projekte nutzen darf, kommt oft die Antwort, man wüsste gar nicht, ob man Rechteinhaber ist - und hätte keine Lust, die Anwälte zu bemühen, um es herauszufinden.
Ein Mann, der maßgeblich an MAME mitprogrammiert hat, ist Aaron Giles. Er war während der letzten sieben Jahre Leiter des MAME-Projektes. Bereits seit 1997 werken Geeks aus aller Welt ehrenamtlich daran, alte Videospielsysteme zu erhalten. MAME ist ein sogenannter Emulator, der einem modernen Computer beispielsweise vorgegaukelt, er sei ein "Pac-Man"-Automat. Dementsprechend originalgetreu ist anschließend auch das Spielerlebnis - vorausgesetzt, die Emulation funktioniert korrekt.
Die Herausforderung der Emulatorenszene ist es, verlorene Schätze zu heben, sie für moderne Computersysteme zu adaptieren und neu zu präsentieren. Von einem offiziellen Projekt zur Bewahrung digitaler Spiele war Ende der 1990er Jahre aber noch keine Rede. Es war vorerst eher so, als wenn man den Dachboden der Eltern nach kuriosen Artefakten durchstöbert und dabei obskure Gegenstände findet.
Lösungen für die nächsten Jahrhunderte
Seit einigen Jahren ist digitale Bewahrung auch auf institutioneller Ebene angekommen. Nach einigen mäßig erfolgreichen ersten Projekten, ist im Februar 2009 das von der EU geförderte Programm KEEP gestartet worden. KEEP steht für "Keeping Emulation Environments Portable", was frei übersetzt bedeutet, dass Emulations-Lösungen wie MAME künftig so nachhaltig gestaltet werden sollen, dass sie auch über Jahrzehnte hinweg noch gut nutzbar bzw. leicht auf neue Systeme adaptierbar sind.
Als wäre das alleine nicht schon eine schwierige Herausforderung, geht es bei KEEP auch darum, die Kompetenzen und Errungenschaften der alteingesessenen Emulatoren-Community mit jungen, institutionellen und geförderten Projekten in Verbindung zu bringen. Als eine Art Schnittstelle und Mediator zwischen diesen beiden Parteien fungiert Andreas Lange. Er ist Leiter des Computerspielemuseum Berlin, das ein Teilnehmer am KEEP-Projekt ist. Lange erzählt im FM4-Interview, dass die Skepsis der Emulatoren-Community anfangs groß war, aber im Laufe der Monate das gegenseitige Beschnuppern durchaus Früchte getragen hat. Er hat Aaron Giles als Vertreter der Emulatorenszene extra nach Berlin zur Fachkonferenz eingeladen. Giles soll in seiner Community ein Fürsprecher dafür sein, dass es eine gute Sache ist, mit den offiziellen Software-Archivaren auch über die nächsten Jahre hinweg zusammenzuarbeiten.
![© Nicola Salmoria / MAME Die Bezeichnung "MAME" als stilisierter Schriftzug, darunter der Untertitel "Multiple Arcade Machine Emulator".](../../v2static/storyimages/site/fm4/2012026/mame_body.jpg)
Nicola Salmoria / MAME
In diesem Monat läuft das KEEP-Projekt aus. Das Ergebnis ist ein sogenanntes Framework, das system- und institutionsunabhängig ist. So können alte Videospiele mit wenigen Klicks sowohl in Bibliotheken, auf Unis, daheim am Privatcomputer oder in Museen originalgetreu betrieben werden - und das hoffentlich auch noch in über 100 Jahren.