Erstellt am: 7. 2. 2012 - 17:31 Uhr
Journal 2012. Quality-TV.
Nach dem täglichen Journal 2011 wird 2012 diversifizierter. Es gibt bereits ein Journal zum Afrika-Cup, es kommt ein Fußball-Journal '12, es wird eines zur Europa-Meisterschaft, ein London-Olympics-Journal und anderes mehr geben.
Die "normalen" Einträge zum Journal 2012 erscheinen unregelmäßig und aus aktuellem Anlass.
Heute mit Anmerkungen zur eben angelaufenen 4. Staffel von Dexter.
Spät kommt ihr, doch ihr kommt.
Die 4. Season von Dexter stammt bereits aus dem Jahr 2009. Ein Jahr später war sie in England und im deutschen Sprachraum auf Sky zu sehen. Und jetzt läuft sie öffentlich, in der SRG und im ORF.
Und zwar spät, nach 23 Uhr.
Das ist nicht unbedingt dem nackten Arsch von John Lithgow geschuldet, der gleich in der ersten Folge ausführlich zu sehen war, sondern den durchaus bluttriefenden Gewaltszenen, die einen Einsatz zur Prime Time verunmöglichen - denn da sind diverse Schutzbestimmungen davor.
Ich stelle mir in solchen Fällen gern die Frage, wer sich das eigentlich anschaut.
Die harten Fans haben sich die DVD-Boxen im Original besorgt, die gesetzteren Serien-Junkies machen das via Bezahl-TV und die Auch-Irgendwie-Interessierten schauen sich das auf teilinkriminierten Provider-Portalen an. Trotzdem greift "Dexter" bei dieser Free-TV-Ausstrahlung deutlich am meisten Seher ab: fast 150.000 waren es gestern.
150.000 für den zwei Jahre alten Dexter um Mitternacht
150.000, die kein gezieltes Interesse am Schicksal der brillant gezeichneten Kunstfigur des Dexter Morgan, seinem komplizierten Doppelleben und dem Fortgang der deshalb nötigen Camouflage haben - aber sich trotzdem einem zu diesem Zweck ersonnenen und durchaus forderndem Dramaturgie-Universum an Personal, moralischen Codici und uramerikanischen Plots aussetzen, wenn es ihnen knapp vor Mitternacht via Mattscheibe vorgesetzt wird.
Dexter ist eine bewusst mit sehr filmischen Mitteln und komplexem Aufbau gestaltete, hochprofilierte TV-Serie in der Tradition epischer Serien; seine Produktions-Heimat findet sich bei "Showtime", einem von CBS für diese Zwecke geschaffenen Äquivalent zu HBO, der Königin unter den Abo-/Sparten-Sendern, die ihr Geschäft mit Qualität machen. Showtime hat unter anderem Weeds, Californication, Nurse Jackie, The L Word oder United States of Tara produziert.
Showtime-Hustling gegen die Kindheits-Traumata
"Dexter" ist definitiv das beste Pferd im Stall, auch weil es in seiner bewusst die klassischen Rhythmen brechenden Erzählweise am ehesten an die "Sopranos" oder "Six Feet Under" andocken kann. Auch das Dexter-Personal entspricht nicht den klassischen Serien-Kriterien: Die Hauptakteure sind nicht auf der sonst üblichen Suche nach Erhellung, Erfüllung und Verbesserung (der Jagd nach dem Persuit of Happiness), sondern schlichte Hustler, die versuchen ihren Traumata zu entkommen.
Die 4. Staffel nun bringt Dexter, den freundlichen Blutspuren-Experten des Miami Metro Police Department, der in seinem Schattenleben als Serial Killer Bösewichte der Gerechtigkeit zuführt, in grundlegende Schwierigkeiten. Seine ursprünglich als Coverage gedachte Liebschaft mit einer Alleinerzieherin ist in einer echten Beziehung samt neuem Baby geendet. Sein Versuch seine durch ein Kindheits-Trauma bedingte Mordsucht mit einem Soul Mate, einem Mitwisser zu teilen, ist in Staffel 3 brachial gescheitert (Jimmy Smits war ein wunderbarer Gaststar).
Das Auftauchen eines neuen Antagonisten, des sogenannten Trinity-Killers (der sonst aus Komödien bekannte John Lithgow wurde dafür zu Recht mit Preisen zugeschüttet), bringt Dexter dazu an der Philosophie, die er sich notdürftig für sein Überleben zusammengeschustert hat, zu zweifeln. Trinity ist nämlich nicht nur ein Monster, sondern ein Family Guy reinsten Wassers. Der überforderte Dexter geht bei ihm quasi zur Schule, nähert sich so dicht an ihn an wie noch nie an einen Antagonisten zuvor.
John Lithgow als Antagonist und Spiegelbild
Diese vielen gemeinsamen Szenen machen die 4. Staffel so speziell.
Das klassische Spiel von Jäger und Gejagtem, die einander maximal bei Verfolgungs- und Knapp-Entwischt-Szenen begegnen, wird von einer echten Beziehung ersetzt.
Das ist im Wortsinn gruselig.
Dazu kommt die dramaturgische Aufwertung von Debra Morgan, Dexters Halbschwester und Kollegin, die zunehmend nicht mehr nur Opfer, sondern handelnde Person wird (etwas, was sich im Staffel 5 noch bis zu einem furiosen Finale steigern wird), die durchaus differenzierte Darstellung der neuen Suburbia-Neighborhood, die Aufwertung der Charaktere von Masuka und Quinn und der zunehmende Realismus. Der hat die noch in der ersten Staffel präsenten miamitypischen Klischees völlig überwuchert.
Wie immer baut sich das in den paar ersten der diesmal zwölf Folgen der Staffel einmal langsam auf: die Figuren und Szenarios werden an Entwicklungs-Punkte gesetzt, und dann sehen wir ihnen bei ihren Versuchen, das Unausweichliche zu vermeiden, zu.
Dexter, Miamis Meister im "das Unausweichliche vermeiden"
Diesmal, in dieser famosen Staffel 4, sind die noch zu schlagenden Haken nicht nur frappant, sondern in ihrer Psychologie auch von höchster Glaubwürdigkeit. Auch weil das Thema (wie gehe ich mit der Familie um?) ein zentrales und wohl jeden Betreffendes ist. Manche Figuren haben nur eine einzige spooky-befremdliche Szene (Trinitys Tochter etwa ...) - allein die Erinnerung daran fröstelt mich.
Die nächsten Montage stehen noch zehn Folgen an; samt furiosem Finale; samt bösem Schock der Marke "Damit hätte ich nie gerechnet". Die fünfte Staffel schließt im Übrigen direkt an die vierte an - sie setzt noch am selben Tag fort. Das nur als Hinweis für alle, die dann nicht wieder übermäßig lange warten wollen. Es würde sich auszahlen das zu vermeiden.