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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

6. 2. 2012 - 16:41

Wenn das Schlachten vorbei ist

Wer hat das Recht, die Natur zu kontrollieren? Darf man eine Tierart ausrotten, um eine andere zu retten? T.C. Boyles neuer Roman stellt existentielle Fragen, und schildert einen bizarren Kampf zwischen Naturschützern.

Auf den Santa-Barbara-Inseln vor der Küste Südkaliforniens drohen vom Menschen eingeschleppte Tierarten die einheimischen zu verdrängen. Ratten fressen Eier und Küken vom Aussterben bedrohter Vögel, Wildschweine grasen für das Ökosystem wichtige Pflanzen ab. Beide vermehren sich unkontrolliert und gefährden die Artenvielfalt. Soll man nun das ursprüngliche Gleichgewicht wiederherstellen oder der Natur ihren Lauf lassen?

Wahre Begebenheiten

Dieses Dilemma ist der Ausgangspunkt für T.C. Boyles neues Buch "Wenn das Schlachten vorbei ist", dem eine wahre Begebenheit zugrunde liegt. In den letzten Jahren hat sich in der lokalen Presse, vor Gericht und direkt in der rauen Naturlandschaft von Anacapa und Santa Cruz - den beiden betroffenen der vier kalifornischen Kanalinseln - ein bizarrer Kampf zwischen Tierschützern abgespielt. Tausende Tiere sind dem menschlichen Eingreifen vor Ort zum Opfer gefallen, genauso viele hat es wahrscheinlich gerettet.

Der US-amerikanische Bestsellerautor macht aus diesem Stoff nun einen packenden Tatsachen-Roman, in dem er Vertreter beider Meinungen gegeneinander antreten lässt.

Der Videotrailer zum Buch bringt den Konflikt dramatisch auf den Punkt.

Biologen vs. Tierrechtsaktivisten

Da ist zum einen Alma Boyd Takesue, Biologin und Pressesprecherin des National Park Service. Sie und ihr Team glauben an wissenschaftliche Daten und das Ursache-Wirkung-Prinzip. Um Insel-Graufuchs und Alkenvögel zu retten - Arten, die es nirgends sonst auf der Welt gibt - müssen die Ratten vergiftet und die Schweine abgeschossen werden. Krankheitsüberträger, die die Inselpopulationen durch die Jahre der Isolation in sich tragen, lassen keine Alternative zu. Die Tiere lebendig aufs Festland zu überführen, würde bei den dortigen Nutztieren Seuchen auslösen. Die staatlich beauftragten Wissenschaftler sehen daher in dem Töten einen höheren Zweck: das Überleben bedrohter Spezies, den Erhalt der Biodiversität.

Zum anderen ist da Dave LaJoy, selbsternannter Tierrechtsaktivist und wütender Krawallmacher. An seiner Seite kämpft die vegane Singer-Songwriterin Anise Reed, die mit 4000 Schafen auf Santa Cruz aufgewachsen ist, und ganz persönliche Gründe hat, dem Schlachten auf den Santa-Barbara-Inseln ein Ende zu bereiten. Gemeinsam haben sie die Organisation "For the Protection of Animals" (FPA) gegründet, die in Duktus und Methode stark an umstrittene Tierrechtsbewegungen wie "People for the Ethical Treatment of Animals" (PETA) oder die "Animal Liberation Front" (ALF) erinnert. Sie boykottieren die Vorgänge auf den Inseln mit waghalsigen Guerilla-Aktionen, und stören die öffentlichen Informationsvorträge der Biologin mit unangenehmen Zwischenrufen:

Portrait T.C. Boyle

Milo Boyle

T.C. Boyle gehört zu den fleißigsten Autoren der US-amerikanischen Literaturszene. Seit 1979 hat er fast jährlich einen Roman oder einen Kurzgeschichtenband veröffentlicht. Zu seinen populärsten Werken gehören "World's End" (1987). "The Road to Wellville" (1993) oder zuletzt "The Women" (2009).
"Wenn das Schlachten vor bei ist" - im Original "When the Killing's done" - ist sein 13. Roman.

  • Am 2. Mai liest T.C. Boyle aus seinem neuen Buch im Rabenhof in Wien.

"Diese Ratten sind schon seit 250 Jahren auf der Insel!", ruft LaJoy (...). "Welche Welt wollen Sie wiederherstellen? Die von vor hundert Jahren? Tausend? Zehntausend? Warum (...) nicht gleich ein Zwergmammut klonen und auf der Insel aussetzen, wie in Jurassic Park?"

Diese Konstellation mag zunächst vielleicht klischeehaft erscheinen, der Dringlichkeit der Fragen, die sie aufwirft, kann man sich beim Lesen aber kaum entziehen.

Nachvollziehbare Argumente auf beiden Seiten

Mit weiteren Zusammenstößen der beiden Tierschutzfraktionen treibt T.C. Boyle die Handlung geschickt voran. Gleichzeitig schildert er, wie es zu diesem Konflikt überhaupt kommen konnte. Dazu verwebt er die ökologische Entwicklung der Inseln mit den persönlichen Geschichten seiner Figuren - in berührenden und dramatischen Szenen werden die Argumente und Motive beider Seiten nachvollziehbar.

Doch es wäre nicht Boyle, wenn er nicht auch die Widersprüche im Handeln seiner Protagonisten aufzeigen würde. Dave z.B. demonstriert zwar gegen das Schweineschlachten, stellt aber in seinem Garten in aller Ruhe Waschbär-Fallen auf. Und Alma wird schwanger:

In diese überbevölkerte Welt ein Kind zu setzen ist unverantwortlich, falsch, eigentlich nichts anderes als Sabotage... Aber warum fühlt sie sich dann so beschwingt? Warum fühlt sie sich mit einemmal so groß und gewaltig und den anderen Frauen, die keinen Schwangerschaftstest in den Händen halten, so weit überlegen? Weil sie ein Lebewesen ist, darum, und weil Lebewesen sich fortpflanzen. Der einzig erkennbare Zweck des Lebens ist es, weiteres Leben hervorzubringen – jeder Biologe weiß das.

Krone der Schöpfung oder Laune der Natur

Die Frage nach dem richtigen Leben im Falschen erörtert T.C. Boyle in seinem neuen Tatsachen-Roman gewohnt rasant, scharfzüngig und klug.

Buchcover "Wenn das Schlachten vorbei ist" von T.C. Boyle

Hanser Verlag

"Wenn das Schlachten vorbei ist" ist in der Übersetzung von Dirk van Gunsteren im Hanser Verlag erschienen.

Damit greift er ein Thema auf, dem er sich bereits in früheren Werken gewidmet hat. In "Ein Freund der Erde" (2000) z.B. setzt er sich mit der positiven bzw. abschreckenden Wirkung von Ökoterrorismus auseinander. In "América" (1995) verflicht er die illegale Einwanderung von Mexikanern in die USA mit dem unkontrollierten Vordringen der Natur in eine abgesicherte Wohnsiedlung in Los Angeles.

Doch damals wie heute überlässt der Schriftsteller das Urteil über die Vorgänge seinen Lesern. Auf welche Seite man sich in "Wenn das Schlachten vorbei ist" schlagen soll bleibt offen.

Klar wird nur eins: der Mensch als vermeintliche Krone der Schöpfung ist die invasivste aller Arten auf Erden. Dass allerdings ausgerechnet ihm die Entscheidung über Leben und Tod anderer Spezies überlassen bleibt, erscheint letztlich auch nur als eine Laune der Natur. Und Launen können sich bekanntlich ändern.